Mia Raben – Journalistin und Autorin
Mia Raben wollte seit sie denken kann, „etwas mit Sprache machen“. Sie machte einen Sprachkurs in Spanien und ging dann nach Amsterdam, um dort Spanisch, Europarecht und Politikwissenschaften zu studieren. Niederländisch lernte sie bei der Gelegenheit natürlich ebenfalls. Anschließend erhielt sie einen der begehrten Plätze an der Berliner Journalistenschule und vertiefte sich in das Handwerk ihrer Zunft. Gerne erinnert sie sich an ihren Mentor Christian Bommarius: „Er ist nicht nur ein messerscharfer Analytiker des politischen Zeitgeschehens, sondern auch ein literarischer Mensch. Als ich ihm sagte, dass ich vorhätte, nach Warschau zu gehen, um dort als freie Korrespondentin zu arbeiten, sagte er „Das ist großartig!“, und schenkte mir die dicke Fischer Taschenbuchausgabe von Witold Gombrowiczs Tagebüchern.“
Während ihrer Zeit in Warschau fühlte sich Mia Raben manchmal als Hochstaplerin, die nicht so polnisch ist, wie sie behauptet. Sie sagt: „Es war ein Herantasten an dieses mir auf die eine Art so vertraute und gleichzeitig fremde Land.“ Obwohl die Menschen ihr meist voller Wohlwollen begegneten und sich freuten, dass Mia Raben Polnisch lernte – sie selbst schämte sich, weil sie dachte, sie müsste es längst besser sprechen. Als wäre es ihre Schuld, dass in ihrer Kindheit zu Hause nur Deutsch gesprochen worden war. Vielleicht lag es auch an dem weniger positiven Polenbild, das sie in Deutschland kennengelernt hatte: „Auf Polen und alles Polnische reagierte man in Deutschland selten mit wahrhaftigem Interesse, mit Neugier oder Wohlwollen, sondern eher mit dieser sonderbaren Mischung aus Betroffenheit und Mitleid, die mir als Kind sehr unangenehm war, daran erinnere ich mich noch genau.“ Laut Mia Raben hat sich das glücklicherweise an manchen Stellen geändert. Aber für komplett überwunden hält sie die abwertenden Indoktrinationen aus der Nazizeit noch nicht: „Die Fabeln vom „slawischen Untermenschen“ oder dem „Bauernvolk“, dessen Arbeitskraft es auszubeuten gilt, haben viel Schaden angerichtet.“ Ihre Sicht auf die Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Deutschland hat Mia Raben 2022 in einem kritischen Text formuliert. Im gleichen Literatur-Blog publizierte sie auch ihr autobiografisches Essay „Wovon wir sprechen, wenn wir Versöhnung sagen“, indem sie sich mit ihrer Beziehung zu Polen und Deutschland auseinandersetzt.
Doch zurück nach Warschau in den Nuller-Jahren. Mia Raben erlebt sich hier keineswegs nur als fremd und beschämt, sondern oft auch als leicht und inspiriert. Beschwingt von der Lust am Kennenlernen, Entdecken und Erzählen erlebt sie Warschau als Goldgrube. Die spannenden Stoffe schienen an den Straßenecken auf sie zu warten. Sie schreibt über Milchbars, über die Orangene Revolution in der Ukraine, über Auschwitz, über die Kaczyński-Zwillinge. Dabei hat sie jedoch immer wieder das Gefühl, das Wesentliche nicht beschrieben zu haben. Sie findet, dass die journalistische Form nicht ausreicht, um ihre Eindrücke, Beobachtungen und auch eben subjektive Assoziationen und Mutmaßungen festzuhalten.
Sie beginnt kurze Geschichten zu schreiben, in denen sie reale Ereignisse und Erlebnisse weiterspinnt. Es entsteht ein ganzer Fundus von knappen Erzählungen, die auf die eine oder andere Weise alle mit dem Systemwechsel von 1989 zusammenhängen. Gleichzeitig arbeitet sie tagsüber journalistisch, schreibt beispielsweise über den Skandal um die sogenannte Wildstein-Liste oder über die „gefühlte Nachbarschaft“ zwischen Polen und Deutschland.