Marek Pelc – Ein polnisch-jüdischer Dichter in Frankfurt am Main
Marek Pelc
Ich lebe in einer fremden Stadt
und wundere mich, dass die Straßen
Mir so bekannt vorkommen, dass das Laternenlicht
auf dem Pflaster leuchtet – wie gestern
wie vor einer Woche. Heute ging ich
wieder über den Eisernen Steg
auf die andere Seite des Mains.
Danach umhüllte mich ein unsichtbares Netz
unklarer Erinnerungen –
Brücken über dem Fluss meiner Heimatstadt.Die greifbare Realität einer fremden Stadt ist
immer schmerzhaft. Früh morgens zum Beispiel
kaufst du ein Bauernbrot in der Bäckerei um die Ecke
rechnest das Geld in einer fremden Sprache
spürst aber noch deutlich die schlummernden Laute
einer anderen in dir.Wie lange – fragst du – kann man
in einer fremden Stadt leben, ohne
ihr zu erlauben, in die Seele einzubrechen?
Wie lange kannst du in Gesichter schauen
und auf das Stimmgewirr der Straße lauschen
ohne zu spüren, dass sie ein Teil von dir ist?Und dennoch ist das eine fremde Stadt
du ahnst es und kannst es doch nicht erklären –
vielleicht, weil du an keinem Ort
zu Hause bist.Denn zu Hause ist kein Ort
sondern nur eine Beschwerde der Seele.
Aus dem Gedichtband „Czarnowidzenia“, Paris 2015 – aus dem Polnischen ins Deutsche vom Autor übersetzt.
***
wieder sind wir zusammen
in Jerusalem
ich halte dich
in offenen Armen
ohne Zweifel
dass es möglich ist
(im Traum ist alles möglich)morgens
öffne ich die eisernen Fensterläden
die Katzen wärmen sich schon
in der Sonne bei den Mülltonnen
ein junger Baum zittert leicht im Wind
der Ausschnitt des gemauerten Abhangs
vom Haus gegenüber
und an der Mauer schlängelt sich
die fingerähnliche Pflanze
genannt hier
„Wandernder Jude“10. Februar 1987
Aus der Anthologie „Napisane w Niemczech. Geschrieben in Deutschland“, Jestetten 2000 – aus dem Polnischen ins Deutsche vom Autor übersetzt.