Marek Pelc – Ein polnisch-jüdischer Dichter in Frankfurt am Main

Passfoto von Marek Pelc, Frankfurt am Main 2020, Privatbesitz
Passfoto von Marek Pelc, Frankfurt am Main 2020

In Frankfurt am Main
 

1982 kommt Marek Pelc nach Deutschland, um seinen Vater in Frankfurt am Main zu besuchen. Indessen bricht der Krieg zwischen dem Libanon und Israel (erster Libanonkrieg) aus. Marek beschließt, in Deutschland zu bleiben und sein Studium hier fortzusetzen. Zu diesem Zweck lernt er intensiv Deutsch. Nach dem Bestehen der Sprachprüfung schreibt er sich an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main im Fach Germanistik ein. Auch dieses Studium finanziert er überwiegend selbst. Die Pestalozzi-Stiftung hatte ihm nur vorrübergehend ein kleines Stipendium gewährt.

1983 lernt Marek dann polnische Emigrant:innen kennen, die infolge des Kriegsrechts in Polen nach Frankfurt migriert sind und dort in der Redaktion der auf Polnisch erscheinenden „Przegląd Tygodnia“ (Wochenrevue) arbeiten.[2] Er ist dann selbst sieben Jahre ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift und veröffentlicht in ihr kurze Erzählungen, feuilletonistische Beiträge und Gedichte. Der Redaktion gehören außerdem Wiesław Bicz, Urszula Wierzbicka und Krzysztof Wierzbicki an, der für das Layout verantwortlich ist. Das Blatt erscheint eben diese sieben Jahre und wird an typischen Treffpunkten von Polen wie der „polnischen“ Kirche vertrieben. 1989 schließt Marek Pelc sein Germanistikstudium mit der Gesamtnote „gut“ ab. Seine Magisterarbeit bei Professor Ralph-Rainer Wuthenow trägt den Titel „Elias Canetti als Feind des Todes“.

 

Das Schicksal der Juden und die eigene Identität
 

Ende der 1990er Jahre arbeitet Marek Pelc am Frankfurter Fritz Bauer Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust vier Jahre an einem Forschungsprojekt zu den 2.400 Fotos der Juden aus Będzin und Sosnowiec, die [nach 1945 - Anm. d. Übers.] in Auschwitz aufgefunden wurden und sich heute im Museum in Oświęcim (ehemals Auschwitz) befinden. Diese Bilder stellten den Grundstock für den Dokumentarfilm „... Verzeihung, ich lebe“ (Originaltitel „Przepraszam, że żyję“) dar, zu dem Marek Pelc und der Regisseur Andrzej Klamt das Drehbuch schrieben. Im Jahr 2000 wurden die Autoren dieses Films mit dem renommierten Hessischen Filmpreis ausgezeichnet.

Außerdem war Marek Pelc wissenschaftlicher Mitarbeiter des ersten jüdischen Kinderlesebuches in Deutschland nach 1945.[3] Nebenbei übersetzt er Prosa und Lyrik von Jehuda Amichai, Natan Zach, Admiel Kosman, Lea Goldberg und Dalia Ravikovitch aus dem Hebräischen ins Polnische.

1995 beginnt Marek Pelc eine Ausbildung am Frankfurter Psychoanalytischen Institut, in deren Verlauf er sich einer Lehranalyse unterzieht. Diese Ausbildung bricht er dann 2001 aus finanziellen Gründen ab. Parallel arbeitet er für die Shoah-Stiftung von Steven Spielberg, für die er über 30 mehrstündige Interviews mit Überlebenden des Holocaust in Deutschland und in Dänemark führt, die in professionellen Filmen festgehalten werden.

Privat ist Marek Pelc seit 2006 mit der Russin verheiratet, die er in Frankfurt kennengelernt hat, als sie nach ihrer Promotion im Fach Philosophie an der Universität St. Petersburg zu wissenschaftlichen Zwecken in die Stadt gekommen war. In Deutschland studierte sie dann noch, schon mit Marek Pelc liiert, Jura und arbeitet heute als Juristin. „Frankfurt liegt auf halbem Weg zwischen St. Petersburg und Tel Aviv“, merkt Marek Pelc gern an, wenn er von seiner Frau spricht.

Seine Reisen führen Marek Pelc in der Regel nach Israel und Polen. In Israel hat er Freunde und Familie, die er jedes Jahr besucht. Lachend stellt er fest, dass er „schon seit Jahren nach Lissabon reist und jedes Mal in Tel Aviv landet“. Mehrfach nahm er auch an den Treffen der polnisch-jüdischen Emigrant:innen von 1968 teil, die es in Israel im Rahmen der sogenannten Reunion-Initiative gibt.

 

Das poetische Schaffen
 

Marek Pelc schrieb schon in seiner frühesten Jugend Gedichte in polnischer Sprache. Heute verfasst er seine Texte auch in Hebräisch und Deutsch. Sein literarisches Debüt fand 1982 in der „Przegląd Tygodnia“ in Frankfurt statt, wobei er damals auch in Polen in der Zeitschrift „Czas Kultury“ (Zeit der Kultur) publizierte.[4] Einige seiner Gedichte finden sich auch in der zweisprachige Anthologie „Napisane w Niemczech. Geschrieben in Deutschland“, die im Jahr 2000 erschien.[5] 2015 publizierte der Pariser Verlag Éditions yot-art in seiner Reihe „Recogito“ den Gedichtband „Czarnowidzenia“ (Schwarzsehereien), herausgegeben von dem Pallottiner Marek Wittbrot, dem Chefredakteur der polnischsprachigen Zeitschrift „Recogito“ in Frankreich und einer treibenden Kraft im Zentrum für Dialog (Centre du Dialogue) in Paris, der auch das Nachwort schrieb.[6] Die Illustrationen dieses Bandes von Marek Pelc stammen von Artur Majka.

Marek Pelc greift in seiner Dichtung immer wieder Motive wie Erinnerung, Vergänglichkeit und Fremdheit auf, Archetypen der jüdisch-christlichen Kultur, in denen der Holocaust bisweilen wie ein Echo in seiner Poesie wiederhallt. „Wie die Juden, die sich auf die Suche nach einem neuen Land begaben, das so viel mehr und doch etwas anderes als den ägyptischen Wohlstand bot, und wie Aeneas, der Troja verließ und ins Ungewisse aufbrach, wählte Marek Pelc, ‚durch Schicksalsspruch, ein Flüchtling‘[7], als Nachkomme und Erbe der Wenigen, die der Vernichtung entkamen, einen gefährlichen Weg. Die lavinische Küste hat er zwar nicht erreicht, dafür kam er im hessischen Bergvorland an, gewissermaßen in die von Tacitus erwähnte Grenzfeste in monte tauno, wo menschliche Schicksale sich schon oft in der Geschichte gekreuzt haben. Von der Vergangenheit hat er sich jedoch nie abgewandt, ist stets bei seinen Wurzeln geblieben. Seine Gedichte sind wie ein Band aus Licht / über einem Dickicht / aus dunklen Konturen. Ein weiterer stummer Schrei, der sich nicht in Worte fassen lässt. Doch es gibt ihn durchaus. Er lässt sich nicht unterdrücken. Er füllt nicht nur das Dasein, nicht nur die Erinnerung, nicht nur die Körper aus“, schreibt Marek Wittbrot in seinem Nachwort zu dem Gedichtband „Czarnowidzenia“.[8]

 

Joanna de Vincenz, August 2022

 

[2]     Vincenz, Joanna de: Polnische Medien in der Region, in: Lebenspfade. Ścieżki życia. Polnische Spuren in RheinMain. Ein historisches Mosaik, herausgegeben von Peter Oliver Loew, Darmstadt 2019, Seite 193.

[3]     Brum, Alexa/ Heuberger, Rachel u.a.: Kinderwelten. Ein jüdisches Lesebuch, Hennef 1996.

[4]     Pelc, Marek: Żyję w obcym mieście, in: „Czas Kultury“, Nr. 3, 1993, Seite 25.

[5]     Pelc, Marek: Elias Canetti, W Prowincji człowieka, Jesteśmy znowu razem, Frankfurt, Ósmy Maja, Zdrajców miłości..., in: Napisane w Niemczech. Geschrieben in Deutschland, herausgegeben von Piotr Piaszczyński und Krzysztof Maria Załuski (Auswahl und Vorwort), Jestetten 2000.

[6]     Pelc, Marek: Czarnowidzenia, Reihe „Recogito“, Band 5, Éditions yot-art, Paris 2015.

[7]     Vergil: Aeneis, übersetz und herausgegeben von Edith und Gerhard Binder, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18918, Stuttgart 2008, Seite 7.

[8]     Wittbrot, Marek: Czarno/jasnowidzenia (Vorwort), in: Marek Pelc, Czarnowidzenia, Paris 2015, Seite 32.

Mediathek
  • Marek Pelc als zehnjähriger Junge

    Wrocław 1963
  • Marek Pelc im Alter von 19 Jahren

    Israel 1971
  • Marek Pelc (rechts) mit dem Regisseur Andrzej Falber

    Frankfurt am Main Ende der 1990er Jahre
  • Privates Treffen anlässlich der Frankfurter Buchmesse, Frankfurt am Main 2004.

    Vorderste Reihe: Andrzej Stasiuk und Jurij Andruchowytsch; dahinter links Agata Przyborowska-Stolz, daneben Monika Sznajderman; in der Mitte Ewa Kobylińska und Wolfgang Dehe; dahinter links (im weißen...
  • Marek Pelc am See Genezareth

    Israel 2007
  • Buchcover des 2015 in Paris erschienenen Lyrikbandes „Czarnowidzenia“

    Buchcover des 2015 in Paris erschienenen Lyrikbandes „Czarnowidzenia“
  • Marek Pelc auf dem Balkon seiner Wohnung

    Frankfurt am Main um 2010
  • Passfoto von Marek Pelc

    Frankfurt am Main 2020