Deutsch-Polnische Schulbuchkommission
Die erste Tagung der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission fand vom 22. bis 26. Februar 1972 mit Historikern und Geographen aus beiden Ländern in Warschau statt. Da der Kalte Krieg und die fehlenden diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen einen offiziellen Dialog lange Zeit unmöglich machten, gingen diesem Treffen jahrelange informelle Kontakte und Bemühungen der Wissenschaftler voraus.
Wegbereiter der deutsch-polnischen Schulbuchdiskussion in der Nachkriegszeit war der Oldenburger Gymnasiallehrer Enno Meyer (1913-1996), der im Zweiten Weltkrieg Wehrmachtssoldat war. Seine Erlebnisse an der Ostfront bewogen Meyer in der Nachkriegszeit dazu, die polnische Geschichte zu erforschen. Sein Ziel bestand darin, in den Schulbüchern eine möglichst breit gefächerte Darstellung der deutsch-polnischen Themen zu erreichen, ohne sie einer nationalen, also einseitigen, Sichtweise preiszugeben. Diese Überlegungen stimmte Meyer mit polnischen Wissenschaftlern ab, die damals im Exil lebten. Daraufhin veröffentlichte das Internationale Schulbuchinstitut in Braunschweig 1956 seine 46 Thesen. Meyer warnte in ihnen unter anderem vor der übermäßigen Verherrlichung des Deutschen Ordens in den deutschen sowie vor der Herausstellung seiner militärischen Rolle in den polnischen Schulbüchern. Außerdem sprach er darauf an, dass die Deutschen auf das Leid der jüdischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg fokussiert seien, während sie über das Unrecht hinwegsähen, das den Polen und anderen Nationalitäten unter der deutschen Besatzung angetan worden war.
Meyers Thesen, die zu großen Kontroversen führten, stießen jedoch auf starke Resonanz der Wissenschaftler in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen. Sie formulierten das Kernproblem, obwohl es lange nicht gelang, einen offiziellen Dialog aufzunehmen. Einen ebenso wesentlichen Beitrag zu Gründung der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission leistete auf der deutschen Seite der Pädagoge, Ethnologe und Historiker Georg Eckert (1912-1974), seit 1964 Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission. Er knüpfte Kontakte in den mittel- und osteuropäischen Ländern und engagierte sich gemeinsam mit ihnen für die Gründung bilateraler Schulbuchkommissionen.
Dem ersten Treffen der Wissenschaftler im Rahmen der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission ging eine spürbare Verbesserung der Beziehungen auf Regierungsebene voraus. Am 7. Dezember 1970 wurde in Warschau der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen“ unterzeichnet, in dem die Bundesrepublik Deutschland die Westgrenze Polens an der Oder und Neiße anerkannte. Darüber hinaus verpflichteten sich die Regierungen beider Länder, sich für die Erweiterung ihrer wechselseitigen wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen einzusetzen. An diesem Tag kam es mit dem Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal der Helden des Ghettos in Warschau auch dazu, der ermordeten Menschen mit einer historischen Geste zu gedenken, die im Laufe der Zeit zu einem Symbol seiner Politik der Verständigung mit dem Osten wurde.