Andrzej Szczypiorski
Sechs Jahre nach seinem Tod erhält eine Jugendbegegnungsstätte seinen Namen. Es ist das Jahr 2006, als die ehemalige Villa des „Inspekteurs“ im KZ Sachsenhausen, SS-Mann Theodor Eicke, in Andrzej-Szczypiorski-Haus umbenannt wurde. Eine Begegnungsstätte ganz nach seinem Geschmack: eine deutsch-polnische Annäherung an dem Ort, an dem Andrzej Szczypiorski als Häftling des Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Berlin die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten überlebte. Andrzej Szypiorski stammte aus einer Familie, die großen Wert auf Bildung legte. Sein Vater, Adam Szczypiorski, war Historiker und Mathematiker. Während des Zweiten Weltkrieges war er Mitbegründer und Professor einer Untergrunduniversität, an der auch sein Sohn Andrzej studierte. Früh schloss sich Andrzej Szypiorski der Volksarmee (Armia Ludowa) an und kämpfte beim Warschauer Aufstand mit. Nach dem blutigen Ende des Warschauer Aufstandes wurde Szczypiorski verhaftet und in das Konzentrationslagers Sachsenhausen gebracht. Dort traf er auch seinen Vater wieder. Nach der Befreiung des Lagers kehrte Andrzej Szczypiorski 1945 nach Warschau zurück.
Der polnische Schriftsteller erlebte das Grauen des Krieges, die menschenverachtenden Taten der deutschen Besatzer und das Leid der Zivilbevölkerung. Um so größer erscheinen heute seine Verdienste um die Versöhnung zwischen den Polen und den Deutschen. In seinen literarischen Werken betonte Szczypiorski stets seinen Glauben an das Gute in den Menschen und analysierte Ursachen und Folgen totalitärer Systeme. Bemerkenswert ist dabei die von ihm eingesetzte Perspektive von Opfern und Tätern, die die übliche Schwarz-Weiß-Malerei aufhebt. Andrzej Szczypiorski suchte dabei Antworten, die er jenseits der Fragen nach Gut und Böse fand. Mit den Bemühungen um die tatsächliche deutsch-polnische Aussöhnung war Andrzej Szczypiorski in seinem Leben nur konsequent.
Biographische Daten
- 3. Februar 1928 geboren in Warschau
- 1944 Teilnahme an dem Warschauer Aufstand
- 1944 Inhaftierung im KZ Sachsenhausen
- 1945 Befreiung, Rückkehr nach Warschau
- 1947 Absolvent der Akademie der Politischen Wissenschaften in Warschau, Studiengang Auslandsbeziehungen und konsularischer Dienst
- 1948–1951 Redakteur der Zeitschrift „Życie Warszawy“
- 1950–1955 Chefredakteur der Polnischen Rundfunkanstalt in Kattowitz
- 1956–1958 Berater und Kulturattaché an der polnischen Botschaft in Dänemark
- 1958–1964 Redakteur der Polnischen Rundfunkanstalt in Warschau
- 1965–1975 Redakteur der Wochenzeitschrift „Polityka“
- ab 1977 Oppositionsarbeit beim KOR Komitet Obrony Robotników (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) eine polnische Bürgerrechtsbewegung und eine der Keimzellen der Gewerkschaftsbewegung „Solidarność“. Oppositionsarbeit beim PPN Polskie Porozumienie Niepodległościowe (Polnische Allianz für Unabhängigkeit), eine Organisation für völlige Unabhängigkeit Polens von der UdSRR und für den Austritt Polens aus dem Warschauer Pakt, Publikationen in Untergrundzeitschriften
- 1981 Internierung (nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen)
- 1989–1991 politische Arbeit in den demokratischen Parteien „Komitet Obywatelski“ (Bürgerkomitee) und „Unia Demokratyczna“ (Demokratische Union)
- 1989 Nelly-Sachs-Preis (Literaturpreis)
- 1995 Andreas-Gryphius-Preis (Literaturpreis)
- 1995 Das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland für die Bemühungen um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen.
- 1997 Orden Polonia Restituta (Order Odrodzenia Polski / Orden der Wiedergeburt Polens)
- am 16. Mai 2000 stirbt Andrzej Szczypiorski in Warschau
Bibliographie / Auswahl der Publikationen in deutscher Sprache
- 1979 Eine Messe für die Stadt Arras
- 1988 Die schöne Frau Seidenman
- 1989 Amerikanischer Whiskey
- 1990 Notizen zum Stand der Dinge
- 1991 Nacht, Tag und Nacht
- 1993 Der Teufel im Graben
- 1994 Selbstporträt mit Frau
- 1993 Den Schatten fangen
- 2000 Feuerspiele
Biographische Ergänzungen
Andrzej Szczypiorski bemühte sich nicht nur um die deutsch-polnische Aussöhnung. Er engagierte sich ebenfalls für die „Gesellschaft für Polnisch-Israelische Freundschaft“ (Towarzystwo Przyjaźni Polsko-Izraelskiej TPPI).
Die „Polnische Stiftung für Kinder und Jugendliche“, deren Vorsitzender Andrzej Szczypiorski war, vergibt seit 2000 den Andrzej-Szczypiorski-Preis an Menschen, die einen „positiven Einfluss auf ihr soziales Umfeld“ haben.
Im Jahre 2007 sendet das polnische Fernsehen eine Folge der beliebten Serie zu historischen Themen „Errata do biografii“ (Korrektur der Biographie). Diese Folge widmet sich dem Leben von Andrzej Szczypiorski und vor allem seiner Mitarbeit für die Staatssicherheitsbehörde (Służba Bezpieczeństwa) seit 1955. Die Filmemacher beziehen sich auf die Aktenlage des polnischen „Institutes für Nationales Gedenken“ (IPN). Aus den Akten geht hervor, dass Andrzej Szczypiorski als aktiver Mitarbeiter der Sicherheitsbehörde vor allem die Aufgabe hatte, seinen Vater, Adam Szczypiorski, einen führenden Politiker der PPS (Sozialistische Partei Polens) im Londoner Exil, zur Rückkehr nach Polen zu bewegen. Die kommunistische Regierung in Polen wollte den Fakt der Rückkehr eines prominenten Emigranten propagandistisch nutzen. Mit viel Geschick, bewegenden Briefen über die Bedeutung einer vereinten Familie, mit der Zusicherung einer sicheren Zukunft in Warschau sowie der Hilfe der polnischen Staatssicherheit ist es Andrzej Szczypiorski tatsächlich gelungen, seinen Vater von den Vorzügen des Lebens im kommunistischen Polen zu überzeugen. Noch 1955 fliegt Adam Szczypiorski von London nach Warschau.
Die durchgeführte Aktion und das Engagement von Andrzej Szczypiorski wurden in den Berichten der Staatssicherheit gelobt. Er selbst soll den Wunsch geäußert haben, für den diplomatischen Dienst arbeiten zu wollen. 1956 wurde Andrzej Szczypiorski Kulturattaché der Volksrepublik Polen in Kopenhagen, eine Art Auszeichnung für die gute Zusammenarbeit mit der Staatsicherheit. In Kopenhagen arbeitete er bis 1958. In den Akten des IPN finden sich ebenso Hinweise, dass die Rückkehr des Vaters nicht das Ende der Zusammenarbeit mit der Behörde bedeutete. Es gibt insgesamt neun Berichte von Andrzej Szczypiorski über spätere Gespräche mit Adam Szczypiorski. In ihnen beschreibt Andrzej Szczypiorski nicht nur seinen Vater, sondern auch die Lage der polnischen Emigration und die Spannungen zwischen den einzelnen Exilgruppen.
Adam Gusowski, Dezember 2013
Quellen:
Encyklopedia PWN
Instytut Pamięci Narodowej IPN
Haus der Begegnung „Andrzej Szczypiorski“ in Sachsenhausen
Krzysztof Kurek „Polskiej Fundacji Dzieci i Młodzieży“ (Polnische Stiftung für Kinder und Jugendliche) in Warschau
Deutsche Nationalbibliothek