Das Lied vom „Polenmädchen“

Unüblich war es im Krieg nicht, dass sich Soldaten mit einheimischen Frauen einließen. Als die Deutschen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Polen einmarschierten, hatten sie womöglich auch positive Stereotype im Kopf, wie die deutsche Kulturwissenschaftlerin und Historikerin Maren Röger in ihrem Buch „Kriegsbeziehungen“[4] schreibt. Darin rekonstruiert sie, unter welchen Umständen deutsche Soldaten mit den besungenen „Polenmädchen“ verkehrten.
Neben Zwangs- und Gelegenheitsprostitution kam es durchaus auch zu echten Liebesbeziehungen. In einem Dorf bei Zamość beispielsweise fand während der Besatzungszeit 1941 ein traditioneller Tanz in den Mai statt, bei dem sich die deutschen Soldaten um polnische Frauen bemühten[5] – ein Szenario, das stark an den Liedtext vom „Polenmädchen“ erinnert. Beziehungen mit den deutschen Besatzern wurden von den polnischen Familien teils akzeptiert, teils aber auch vehement abgelehnt. In einem Fall soll eine Großmutter sogar versucht haben, ihr von einem Deutschen gezeugtes Enkelkind umzubringen. Andere Frauen waren selbst so verzweifelt und brachten ihr Kind um, nachdem sich die Erzeuger aus dem Staub gemacht hatten. Offiziell waren Beziehungen zu Polinnen für die deutschen Besatzer zwar untersagt, wurden aber stillschweigend toleriert. Die schlimmste Strafe stellte die Einweisung in ein Konzentrationslager dar, was aber nur für einige wenige Fälle belegt ist.[6]
Polinnen, die sich so wie im Soldatenlied „In einem Polenstädtchen“ mit Deutschen einließen, lebten unter ständiger Angst der Bestrafung. So schreibt Röger: „Für die Großstadt Warschau existierten Namenslisten von Frauen aller Gesellschaftsschichten. [...] Nach der Bespitzelung erfolgte eine eindringliche Ermahnung, und bei erneutem Zuwiderhandeln wandte die polnische Exekutive des Untergrunds die Ehrstrafpraktik der Kopfrasur an.“[7] Auch auf dem Land wurden solche Strafen angewendet, wo die soziale Kontrolle sogar noch enger war, da sich solche Beziehungen in dörflichen Gemeinschaften kaum verheimlichen ließen. In einigen wenigen dokumentierten Fällen mussten die Frauen sogar mit dem Leben dafür bezahlen, dass sie sich mit einem Deutschen eingelassen hatten.[8]
Diese Geschichten aus der deutschen Besatzungszeit in Polen werden mit dem Lied heute kaum mehr in Verbindung gebracht. Dennoch sorgt das „Polenmädchen“ mitunter für politische Diskussionen, wie ein Fall aus dem Jahr 2020 zeigt. Damals kritisierte die Linksfraktion im Braunschweiger Stadtrat, dass bei einem örtlichen Technikervereinstreffen das Lied gesungen wurde. Die Linke argumentierte, es sei davon auszugehen, dass es von Wehrmachtsangehörigen beim Überfall auf Polen gesungen wurde. Der Krieg selbst tat der Beliebtheit des Liedes also keinen Abbruch. Auch danach wurde es als Soldatenlied und Militärmarsch gesungen. Spätestens mit Heinos Mitsing-Version aus den 1970er-Jahren machte es dann auch als Stimmungslied Karriere.
Sebastian Garthoff, Februar 2025
Quellen:
Mang, Theo/Mang, Sunhilt: Der LiederQuell. Die schönsten Volkslieder aus Vergangenheit und Gegenwart, Eggolsheim 2014.
Röger, Maren: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen von 1939 bis 1945, Frankfurt am Main 2015.
https://www.deutschland-lese.de/streifzuege/lieder/volkslieder/in-einem-polenstaedtchen/
https://www.lieder-archiv.de/in_einem_polenstaedtchen-notenblatt_600904.html
https://www.volksliederarchiv.de/im-doerfchen-wo-ich-lebte-polonaise/
https://regionalheute.de/braunschweig/stadt-wirft-der-linken-versuche-der-skandalisierung-vor-1582121462/