Porta Polonica
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Das Lied vom „Polenmädchen“

Das Notenblatt der ersten Strophe von „In einem Polenstädtchen“ (etwa 1914)
Das Notenblatt der ersten Strophe von „In einem Polenstädtchen“ (etwa 1914)

In einem Polenstädtchen / da lebte einst ein Mädchen / das war so schön. 
Sie war das allerschönste Kind / das man in Polen findt. 
Aber nein, aber nein, sprach sie / ich küsse nie.[1]


Mit seiner markanten, tiefen Stimme schmettert Heino 1974 bei der ZDF-Hitparade aus Berlin das Lied vom „Polenmädchen“ in den Saal. Das Publikum klatscht begeistert. Wohl wenige wissen, dass das „Polenmädchen“ zu dieser Zeit bereits auf eine lange Geschichte zurückblickt, die über ein Jahrhundert zuvor begann und noch bis in unsere Zeit nachwirken sollte. Doch wovon handelt die Geschichte eigentlich?

Anhand des Textinhalts geht es unzweifelhaft um eine junge Frau, die von einem Mann verehrt und begehrt wird, wie sein beständiges Drängen nach einem Kuss nahelegt. Trotz aller Bemühungen verweigert sie ihrem Verehrer den Kuss. Im weiteren Verlauf wendet sich die Geschichte zum Tragischen. Schließlich findet man das „Polenmädchen“ leblos vor, je nach Textversion in einem Teich oder unter einer Eiche. Auf einem Zettel in ihrer Hand steht geschrieben: „Ich hab einmal geküsst und schwer gebüßt.“ Der Satz lässt Interpretationen zu, die einen sexuellen Übergriff mit entsprechenden Folgen nahelegen.

In den verschiedenen Versionen des Liedes wird das Mädchen als Anuschka (bei Heino) oder Maruschka (in der Version des österreichischen Schlagersängers Freddy Quinn) benannt, oft bleibt das Mädchen auch namenlos. Der Mann wird teils als „Kavalier“ bezeichnet, in anderen Versionen aber auch als Grenadier und damit als Soldat. Spätestens in der Zeit des Ersten Weltkriegs wurde „In einem Polenstädtchen“ zu einem beliebten Lied, das nicht nur in Soldatenkreisen gerne gesungen und als Marsch verwendet, sondern auch in der Bevölkerung populär wurde.

Über die Herkunft des Liedes gibt es unterschiedliche Angaben. Wo genau das Lied verfasst wurde, ist nicht überliefert. Eine ursprüngliche Version ist wohl am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden.[2] Im Jahr 1840 schrieb es ein älterer Lehrer aus der Erinnerung und unter dem Titel „Im Dörfchen, wo ich lebte“ nieder. Das gilt als Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung vom „Polenmädchen“, das seit dem Ersten Weltkrieg mit immer neuen Textvarianten überliefert wurde.[3]

 

Unüblich war es im Krieg nicht, dass sich Soldaten mit einheimischen Frauen einließen. Als die Deutschen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Polen einmarschierten, hatten sie womöglich auch positive Stereotype im Kopf, wie die deutsche Kulturwissenschaftlerin und Historikerin Maren Röger in ihrem Buch „Kriegsbeziehungen“[4] schreibt. Darin rekonstruiert sie, unter welchen Umständen deutsche Soldaten mit den besungenen „Polenmädchen“ verkehrten.

Neben Zwangs- und Gelegenheitsprostitution kam es durchaus auch zu echten Liebesbeziehungen. In einem Dorf bei Zamość beispielsweise fand während der Besatzungszeit 1941 ein traditioneller Tanz in den Mai statt, bei dem sich die deutschen Soldaten um polnische Frauen bemühten[5] – ein Szenario, das stark an den Liedtext vom „Polenmädchen“ erinnert. Beziehungen mit den deutschen Besatzern wurden von den polnischen Familien teils akzeptiert, teils aber auch vehement abgelehnt. In einem Fall soll eine Großmutter sogar versucht haben, ihr von einem Deutschen gezeugtes Enkelkind umzubringen. Andere Frauen waren selbst so verzweifelt und brachten ihr Kind um, nachdem sich die Erzeuger aus dem Staub gemacht hatten. Offiziell waren Beziehungen zu Polinnen für die deutschen Besatzer zwar untersagt, wurden aber stillschweigend toleriert. Die schlimmste Strafe stellte die Einweisung in ein Konzentrationslager dar, was aber nur für einige wenige Fälle belegt ist.[6]

Polinnen, die sich so wie im Soldatenlied „In einem Polenstädtchen“ mit Deutschen einließen, lebten unter ständiger Angst der Bestrafung. So schreibt Röger: „Für die Großstadt Warschau existierten Namenslisten von Frauen aller Gesellschaftsschichten. [...] Nach der Bespitzelung erfolgte eine eindringliche Ermahnung, und bei erneutem Zuwiderhandeln wandte die polnische Exekutive des Untergrunds die Ehrstrafpraktik der Kopfrasur an.“[7] Auch auf dem Land wurden solche Strafen angewendet, wo die soziale Kontrolle sogar noch enger war, da sich solche Beziehungen in dörflichen Gemeinschaften kaum verheimlichen ließen. In einigen wenigen dokumentierten Fällen mussten die Frauen sogar mit dem Leben dafür bezahlen, dass sie sich mit einem Deutschen eingelassen hatten.[8]

Diese Geschichten aus der deutschen Besatzungszeit in Polen werden mit dem Lied heute kaum mehr in Verbindung gebracht. Dennoch sorgt das „Polenmädchen“ mitunter für politische Diskussionen, wie ein Fall aus dem Jahr 2020 zeigt. Damals kritisierte die Linksfraktion im Braunschweiger Stadtrat, dass bei einem örtlichen Technikervereinstreffen das Lied gesungen wurde. Die Linke argumentierte, es sei davon auszugehen, dass es von Wehrmachtsangehörigen beim Überfall auf Polen gesungen wurde. Der Krieg selbst tat der Beliebtheit des Liedes also keinen Abbruch. Auch danach wurde es als Soldatenlied und Militärmarsch gesungen. Spätestens mit Heinos Mitsing-Version aus den 1970er-Jahren machte es dann auch als Stimmungslied Karriere.

 

Sebastian Garthoff, Februar 2025

 

Quellen:

Mang, Theo/Mang, Sunhilt: Der LiederQuell. Die schönsten Volkslieder aus Vergangenheit und Gegenwart, Eggolsheim 2014.
Röger, Maren: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen von 1939 bis 1945, Frankfurt am Main 2015.
https://www.deutschland-lese.de/streifzuege/lieder/volkslieder/in-einem-polenstaedtchen/
https://www.lieder-archiv.de/in_einem_polenstaedtchen-notenblatt_600904.html
https://www.volksliederarchiv.de/im-doerfchen-wo-ich-lebte-polonaise/
https://regionalheute.de/braunschweig/stadt-wirft-der-linken-versuche-der-skandalisierung-vor-1582121462/

 

Mediateka
  • Das Notenblatt der ersten Strophe von „In einem Polenstädtchen“

    Etwa 1914
  • Heino: Polenmädchen, ZDF-Hitparade 1974

    © EMI Electrola / Columbia, https://www.youtube.com/watch?v=7D2oIlyCgEc
  • Freddy Quinn: Die traurige Geschichte von einem Polenkind (Zu früh verschenkte Liebe), 1972

    Album „Bitte recht traurig“ © Universal Music GmbH, https://www.youtube.com/watch?v=oMeLQYCTFCo
  • Maren Röger: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, Frankfurt am Main 2015

    Buchcover