Polnische Technische Hochschule Esslingen (1945–1949)
Ein weiteres Problem bestand darin, dass nach der Auflösung des Esslinger Lagers für Displaced Persons (DPs) Ende 1945 dringend Unterkünfte für die Studierenden und für das Personal benötigt wurden. Nach vielen Bemühungen des Schulleiters Lepkaluk, zu denen unter anderem auch die Einrichtung eines Ausbildungszentrums auf dem Gelände des ehemaligen Lagers gehörte, beschloss die „Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen“ (UNRRA), der neuen Einrichtung in Esslingen den Status eines eigenständigen Lagers zu verleihen, so dass das Schreckgespenst der Schließung abgewandt und weitere Entwicklungen in Betracht gezogen werden konnten. Der Sitz des neuen „Campus“ wurde in die heute noch vorhandenen Betriebsgebäude der Firma Stiefelmayer in der Schelztorstrasse 54 verlegt, wobei die Überlassung weiterer Liegenschaften für akademische Zwecke den Betrieb der Hochschule wesentlich vorangebracht hat, da sich auf dem Werksgelände außer einer Küche auch eine Kantine, Duschen, eine Zentralheizung, ein Lebensmittellager und eine Poliklinik befanden. Die ehemaligen Fabrikhallen wurden in den oberen Etagen zu Zimmern umgebaut, so dass die ersten Studierenden dort schon im Januar 1946 einziehen konnten. Der Umbau der Fabrikhallen zu Wohnzwecken war mit enormen Anstrengungen der Schulleitung verbunden und gelang nur mit tatkräftiger Unterstützung der UNRRA, des Bürgermeisters von Esslingen und des Unternehmers Eberspächer, dem Eigentümer des Gebäudes in der Kanalstraße 33. Diese vereinten Bemühungen führten dazu, dass alle Mitarbeitenden und Studierenden untergebracht werden konnten. Die feierliche Eröffnung des ersten akademischen Jahres an der Polnischen Technischen Hochschule (PTH) in Esslingen (Polska Wyższa Szkoła Techniczna, kurz PWST) fand am 26. Januar 1946 in Anwesenheit von Vertretern der UNRRA und der Besatzungsmacht sowie der Studierenden statt, die häufig den Polnischen Wachkompanien oder den Einheiten der Polnischen Streitkräfte im Westen (Polskie Siły Zbrojne na Zachodzie, kurz PSZ) angehörten. Die rasche Entwicklung der PTH und die große Zahl der Studierenden machte es nach dem ersten offiziellen Semester im September 1946 möglich, die nächste strukturelle Einheit als Fakultät für Bauwesen zu begründen. Zudem gab es eine informelle Abteilung für Geisteswissenschaften, die das technische Studienprogramm mit ihrem Fächerangebot ergänzte.
Im März 1946 verließ der Spiritus movens des Hochschulprojekts in Esslingen, Ing. Lepkaluk, Deutschland. An seine Stelle trat für kurze Zeit Ing. Witold Skuba, der die Einrichtung bis Dezember 1946 leitete und damit ihr Fortbestehen sicherte. Die neue Fakultät für Bauwesen, deren Entstehung sich in erster Linie der Initiative von Oberst Wejtko verdankte, nahm ihre Arbeit mit Beginn des zweiten Semesters 1946 auf. Ihre Gründung fiel zeitlich mit der Auflösung der Polnischen Technischen Schule (Polska Szkoła Techniczna) in Aschaffenburg zusammen, die Ing. Alfred Ruebenbauer (1894-1977) errichtet hatte, der vor dem Krieg Stadtarchitekt von Lwów (dt. Lemberg, heute Lwiw) und akademischer Lehrer an der dortigen Nationalen Polytechnischen Universität (Politechnika Lwowska) gewesen war. Die Leitung der Fakultät lag in den Händen von Prof. Ing. Stanisław Marcinkowski, eines vormaligen Direktors einer Bauschule. Zum damaligen Lehrkörper gehörten: Ing. Alfred Ruebenbauer (Geometrie), Ing. Stefan Waldorf (Stahl- und Eisenbeton-Konstruktionen), Ing. Kazimierz Błaszczyński (technisches Zeichnen und Vermessungswesen). Aber auch die Fakultät für Mechanik hatte neue Lehrkräfte gewonnen. Kaplan der Schule wurde Pfarrer Henryk Kaliszan. Polnisch und die anderen geisteswissenschaftlichen Fächer unterrichtete fortan Magister Józef Moos.
Mitte 1946, als die UNRRA zunehmenden Druck ausübte, die DPs rascher in ihre Heimatländer zurückzuführen, zogen schwarze Wolken über der PTH auf, indem sich Tendenzen zeigten, die Arbeit der Hochschule mit der Mission der Repatriierung zu verknüpfen. In diesem Zusammenhang spielte der damalige Leiter der Einrichtung, Kapitän Florian Szczepański, eine besondere Rolle. Die disparaten Meinungen im Hinblick auf die Rückführung nach Polen liefen schließlich darauf hinaus, dass die meisten Lehrkräfte im besetzten Deutschland bleiben wollten, womit sie zum Ausdruck brachten, dass sie mit der Lage in Polen nicht einverstanden waren und der legalen Exilregierung in London nahestanden. Die drohende Schließung der Hochschule wurde dann im Herbst 1946 durch die Berufung eines neuen Leiters der Einrichtung einstweilen abgewandt. In dieser Auseinandersetzung ging es für die meisten DPs ganz grundsätzlich um die offene brennende Frage: zurückkehren oder bleiben? Ungeachtet dessen stand am 23. Oktober 1946 erneut das Ende der Einrichtung im Raum, da die Verwaltung der UNRRA ihre Schließung angeordnet hatte. Diese Entscheidung führte dazu, dass der Unterricht eine Woche lang ausgesetzt und die Ausgabe der Lebensmittelrationen an die Mitarbeitenden eingestellt wurden. Der Betrieb ging erst weiter als Karol Rozmark, der Vorsitzende des Kongresses der amerikanischen Polonia (Kongres Polonii Amerykańskiej), und Oberst Antoni Wiłejko von der Polnischen Militäreinheit (Polska Sekcja Wojskowa) bei der amerikanischen Besatzungsmacht in Frankfurt am Main gegen diesen Beschluss intervenierten.