Polnische Malerei vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
AUSSTELLUNGSVORBEREITUNGEN
Die Dokumente zur Essener Ausstellung sind nicht nur zeithistorisch aufschlussreich, sie stellen auch kunsthistoriografische Gemeinplätze in Frage. Im Katalog zur Europa, Europa-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle von 1994 fragte Christoph Brockhaus: „Was haben wir von der Moderne östlicher Provenienz in den vergangenen Jahrzehnten im Westen gesehen?“ – und gab folgende Antwort: „doch in der Regel bestenfalls Werke, die durch staatliche Förderung belastet und eher einen bitteren Nachgeschmack hinterließen als Neugierde weckten“ sowie Ausstellungen, „die mehr auf dem Wege politischer oder wirtschaftlicher Vermittlung zustande kamen als durch fachliche Begründung“ (Band 1, S. 27). Wenn dies die Regel war, so bildeten bundesdeutsche Ausstellungen polnischer Gegenwartskunst regelmäßig eine Ausnahme. Auch die Folkwang-Ausstellung zeigt, dass staatlich geförderte nicht automatisch Staatskunst war, wie Brockhaus suggeriert, und dass sich zudem „politische oder wirtschaftliche Vermittlung“ und „fachliche Begründung“ nicht ausschlossen. Nicht allein die stilistische Vielfalt der in Essen präsentierten polnischen Gegenwartskunst durchkreuzte gängige Vorstellungen von Kunstausstellungen sozialistischer Provenienz, sondern auch die Entstehungsgeschichte der Ausstellung, wie aus den Ausstellungsakten in Warschau und Essen hervorgeht. Die Schau war vom Museum Folkwang und dem Nationalmuseum in Warschau gemeinsam erarbeitet worden; maßgeblich für die Zusammenstellung der Exponate waren dabei die Vorschläge des Folkwang-Direktors Heinz Köhn, sowohl was die Gesamtkonzeption betrifft als auch die Auswahl der einzelnen Künstler und Werke. Als eine von oben diktierte Propaganda- und Leistungsschau des polnischen Staates lässt sich die Ausstellung mithin kaum bezeichnen. Wenn daher die Kunstkritikerin Anna Klapheck 1963 in ihrer Besprechung schreibt, die Ausstellung sei „von offiziellen Stellen auf die Reise geschickt worden“ und zeige die polnische Kunst so, „wie diese Stellen sie im westlichen Ausland gesehen haben möchten“ (Freie Kunst aus Polen. „Polnische Malerei“ im Essener Folkwangmuseum, Rheinische Post, 4.2.1963), so ist dies zumindest nur die halbe Wahrheit.
Köhn reiste zweimal, im August 1961 und im Juni 1962, nach Warschau, um die Ausstellung vorzubereiten. Von beiden Aufenthalten kehrte er „mit tiefen Eindrücken und sehr erfreut“ zurück, wie er Lorentz am 29. Juni 1962 versichert (AMNW). In diesem Brief resümiert er das Ergebnis seiner Besprechungen mit Kurator Kozakiewicz und begründet noch einmal sein Ausstellungskonzept. Die dort erwähnte Liste der von ihm ausgewählten Werke hat sich nicht erhalten, Köhns Künstlervorschläge werden jedoch in einem Bericht im AMNW zitiert. Der Vergleich dieser Vorschläge mit dem Katalog bestätigt, dass die Ausstellung, wie vereinbart, gemäß Köhns Vorstellungen realisiert wurde. Köhn war es auch, auf dessen Wunsch hin die Ausstellung nicht nur Gegenwartskunst umfasste, wie ursprünglich geplant, sondern auch Werke der Jahrhundertwende und der klassischen Moderne. Da die polnische Malerei in der Bundesrepublik „nicht genügend bekannt“ sei, sollten die Besucher auf diese Weise „ein volleres und erst charakteristisches Bild von der polnischen Malerei des 20. Jahrhunderts bekommen“ (ebd.).
Die vorwiegend aus Beständen des Nationalmuseums zusammengestellte Ausstellung bemühte sich dementsprechend um einen repräsentativen Querschnitt durch die Hauptströmungen der polnischen Moderne: vom Postimpressionismus einer Olga Boznańska über Władysław Strzemińskis Konstruktivismus der 1930er Jahre bis zur Gegenwartskunst, die in einem breiten Spektrum abstrakter wie figurativer Tendenzen von Spielarten des Surrealismus bis zum Informel vorgestellt wurde; auch dem „Socrealizm“ wurde ein Plätzchen eingeräumt. Vertreten war die zeitgenössische Kunst insbesondere durch Mitglieder der wiedergegründeten „Grupa Krakowska“ wie Maria Jarema, Tadeusz Kantor, Alfred Lenica, Jerzy Nowosielski und Jonasz Stern, die bereits damals zum Kanon der polnischen Nachkriegsavantgarde zählten und zum Inbegriff des kulturellen Tauwetters wurden. Einige von ihnen waren als Teilnehmer und Preisträger von documenta und Biennale Venedig bereits einem internationalen Publikum bekannt und in den frühen 1960er Jahren wiederholt auch auf Ausstellungen in der Bundesrepublik zu sehen.
Freilich musste Köhns Wunschliste erst diverse Instanzen des polnischen Ministeriums für Kultur und Kunst (MKS) passieren, insgesamt aber scheinen sich die Behörden weniger für die Inhalte der Ausstellung als für die Frage nach der Kostenübernahme interessiert zu haben: Die Genehmigung sowohl für die Reisen von Lorentz und Kozakiewicz in die Bundesrepublik als auch für die Weiterreise der Ausstellung in andere Städte wurde vom Ministerium unter der Voraussetzung erteilt, dass – neben der Garantie bester konservatorischer Bedingungen – die Kosten vollständig von deutscher Seite getragen würden (Lorentz an MKS, 6.11.1962, ANMW; MKS an Lorentz, 3.12.1962, ANMW). Köhn selbst sollte die Ausstellung nicht mehr erleben: Er erkrankte im Herbst 1962 schwer und starb zwei Tage nach der Eröffnung. Um die letzte Etappe der Ausstellungsvorbereitung kümmerte sich sein Stellvertreter und späterer Nachfolger, der Kustos Paul Vogt.