Polen-Witze in Deutschland: Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Dieser „Polnische Globus“ nimmt den Nationalstolz der Polen aufs Korn.
Dieser „Polnische Globus“ nimmt den Nationalstolz der Polen aufs Korn.

Unternehmen wir einen Exkurs zum Langzeiteffekt von interkulturellen Begegnungen. Ein Tourist im Ausland lernt in der Regel weniger über die neue, fremde Kultur als über die eigene Herkunft. Die eigenen Lebensentwürfe, Werte und Erwartungen galten stets als unfehlbar, doch die Erfahrung von allerlei Widersprüchen führt zu ihrer Hinterfragung. Wer bin ich? Woher komme ich? Plötzlich stärkt sich das Bewusstsein für das eigene Selbst und das Ergebnis ist die Herausbildung einer kulturellen Identität. Wenn erstmals „zwei Welten aufeinanderprallen“ kommt es unvermeidlich zum „Kulturschock“ und um diesen Schock in sozial verträgliche Bahnen zu lenken, erweist sich das Gelächter als Ventil und dienen Witze zur Kompensation der eigenen Unsicherheit. 

Witze verraten weniger über den Bewitzelten als über den Witzelnden, so auch die deutschen Polen-Witze. Sie wollen und können nicht „das spezifisch Polnische“ dingfest machen, offenbaren dafür aber die Erwartungen und Sorgen der Deutschen. Nach der Wiedervereinigung schnellten überall in Deutschland die Arbeitslosenzahlen in die Höhe, viele sahen sich um ihre Existenz und um ihre Lebensleistung betrogen. Die Nachkriegszeit war endgültig vorüber, doch zurück blieb die Brüchigkeit der kulturellen Identität der Deutschen, wie Irene Götz in ihrer Habilitationsschrift nachweist.[8] In diesem historischen Kontext erweisen stumpfe Witze über vermeintliche Marotten der polnischen Nachbarn einen Disziplinierungseffekt. Schon erhebt sich der Zeigefinger: „Hier wird nicht herumgelungert und auch nicht ständig gesoffen! Haltet gefälligst das protestantische Arbeitsethos hoch und entsagt auf der Stelle allen irdischen Freuden!“

Polnische Spargelstecher sind so gut: Den holzigen Spargel verlegen die abends unaufgefordert als Parkett.

In Polen gibt es jetzt auch Viagra. Viele Polen nehmen es gar nicht selbst, weil – sie haben in der Hose keinen Platz für noch ’ne zweite Brechstange.

Harald Schmidt jedenfalls scheint seine berühmt-berüchtigten Polen-Witze nicht zu bereuen. Doch im Juni 2019 erklärt er bei einem Interview: „Heute würde ich mir sehr genau überlegen, was ich auf einer Bühne mache. (…) Mit den heutigen Maßstäben, auch der political correctness, der Sprachpolizei und des linksliberalen Mainstreams, hätte ich meine Show nach einer Woche abgenommen bekommen.“[9] Wer ist jetzt humorlos? Der Zeitgeist hat sich verändert, Minderheiten-Witze wie auch Polen-Witze gelten als hochgradig rassistisch und als eine Gefahr für die Völkerfreundschaft. 

Nicht, dass es ein „Recht auf Polen-Witze“ gibt, sehr wohl aber Beispiele für sozial akzeptierte Polen-Witze. Wenden wir dafür den Blick nach recht, was bei frontaler Ansicht der Weltkarte bedeutet: ins östliche Europa. Dort erfahren sämtliche Auswüchse des Nationalismus ihre Subversion. Dort scharen sich die Erben des Sozialismus gehässig zusammen. Dort sind alle Slawen.

Diese Slawen nimmt die „panslawistische“ Unterhaltungswebsite slavorum.org (kurz für: slavic forum) mit Memes und anderen Scherzbeiträgen gnadenlos auf die Schippe. Geistreich oder auch plump karikierte Gemeinsamkeiten und geteilte Lebenserfahrungen all dieser Völker und Nationen sind beispielsweise: die miserable Beschaffenheit von Verkehrsstraßen, verstörend-brillanter Erfinderreichtum mangels ausreichender finanzieller Rücklagen für Neuanschaffungen (has Slavicscience gone too far?), die stehender Ovationen würdigen Häkel-Fertigkeiten Kopftuch-tragender Babuschkas, gewaltige Essensmengen sowie allzu eitle Frauenzimmer, die mit Highheels in der Tatra wandern gehen oder regelmäßig das Ranking der absurdesten Brautkleider anführen (blyatiful). Doch auch nationale „Spezialitäten“ und Marotten werden berücksichtigt. So kursieren zum „großen Bruder“ Russland stets Bezüge zu dreigestreiften Trainingsanzügen oder handzahmen Bären, zur ikonischen „Russenhocke“ (nichts für schwache Knie) und selbstverständlich Anekdoten rund um Vladimir Vladimirovič. Im ehemaligen Jugoslawien wiederum scheint Schulmedizin als verdammungswürdiges Hexenwerk zu gelten, sodass jedwede Wehwehchen mit einem Wickel aus Kohlblättern bekämpft werden. Ob das helfen kann?

Was aber sind die Marotten der Polen? Dazu gehört die Liebe zu deftigem Essen und Wurstwaren jedweder Couleur (siehe Abb. 1,2 und 3). Weitere Memes drehen sich um die Teilungen Polens und den polnischen Nationalstolz (siehe Abb. 4, 5 und 6). Bemerkenswert ist die Kompilation von Schlagzeilen zu den Abenteuern des „polish man“ (siehe Abb. 7) und schließlich drehen sich zahlreiche Memes um die Fallstricke des polnischen Spracherwerbs (siehe Abb. 8, 9 und 10).

Apropos, Sprache. Dass ausgerechnet das Englische zur lingua franca von Slavorum auserkoren wurde, hat gleich zwei praktische Vorteile. Einerseits bietet das Englische als weltweit häufigste Zweitsprache eine neutrale Metaebene, auf der der Kulturaustausch stattfindet – das wäre mit der emotional vorbelasteten, von weiten Teilen der post-sowjetischen Bevölkerung Osteuropas zurückgedrängten russischen Sprache schwieriger. Andererseits, und das scheint das Hauptanliegen von Slavorum zu sein, können nationale, kulturelle oder sprachliche Marotten (sich seiner) selbst-bewusst artikuliert werden. Denn Selbstironie führt wohl kaum zu denselben Debatten um Nationalehre und Stolz, wie sie Witze von Dritten befeuert hätten.

Was aber sagt das über den heutigen Zeitgeist? Die deutsche Redewendung „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“ scheint inzwischen obsolet. Dabei hat beides durchaus seine Daseins-Berechtigung, nämlich sich ihrer kulturellen Identität rückversichernde deutsche Polen-Witze à la Harald Schmidt als auch polnische beziehungsweise „panslawistische“ Selbstironie auf slavorum.org. Nicht umsonst heißt es: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“. Fegen wir endlich die nationalen Animositäten beiseite und trinken auf die Völkerfreundschaft! Na zdrowie!

Zu-ga-be! Zu-ga-be! Und weil es so schön war, kommt hier noch ein etwas längerer Polen-Witz aus Deutschland:

Kommt das kleine Teufelchen nach Afrika: „Guten Tag, ich bin das kleine Teufelchen mit dem kleinen Eimerchen und möchte klauen.“ – „Was willst du hier klauen? Wir haben ja selber nichts.“
Geht das kleine Teufelchen nach Deutschland: „Guten Tag, ich bin das kleine Teufelchen mit dem kleinen Eimerchen und möchte klauen.“ – „Keinen Zweck, wir Deutschen haben alles versichert.“
Geht das kleine Teufelchen nach Polen: „Guten Tag, ich bin das kleine Teufelchen mit dem kleinen ... huch ... wo ist denn mein kleines Eimerchen?“

 

Tatjana Schmalz, August 2019

 

[8] Vgl. Götz, Irene: Deutsche Identitäten. Die Wiederentdeckung des Nationalen nach 1989 ( = alltag & kultur 14). Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011.

[9] Globetrotter (Hrsg.): HARALD SCHMIDT im Gespräch mit Peter Fässlacher. URL: (Veröffentlicht am 04.07.2019) https://www.youtube.com/watch?v=ZN_Tr13_qUQ (Verwendet am 04.07.2019).

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  • Abb.1: „Normale DNA / Polnische DNA“

    Zur Leibspeise vieler Polen gehören wohl Räucherwürste und Piroggen. „Normale DNA / Polnische DNA“.
  • Abb. 2: „Die ultimativ romantische Geste eines Polen“

    „Die ultimativ romantische Geste eines Polen“.
  • Abb. 3: Wurstkoffer

    Ein umfunktionierter Waffenkoffer mit allerlei Wurst- und Fleischwaren sowie polnischem Bier und Wodka.
  • Abb. 4: „Deutschland – Polen – Russland“

    „Deutschland – Polen – Russland“
  • Abb. 5: „Die Polen in den sozialen Netzwerken“

    „Die Polen in den sozialen Netzwerken“
  • Abb. 6: „Polnischer Globus“

    „Polnischer Globus“
  • Abb. 7: "Polish man ..."

    "Polish man ..."
  • Abb. 8: Wie spricht man polnische Wörter aus?

    Wie spricht man polnische Wörter aus?
  • Abb. 9: „Ein Hoch auf die Polen. Aus den letzten fünf Buchstaben des Alphabets schufen sie eine vollständige Sprache.“

    „Ein Hoch auf die Polen. Aus den letzten fünf Buchstaben des Alphabets schufen sie eine vollständige Sprache.“
  • Abb. 10: „ (…) / Er spricht die Sprache der Götter.“

    „ (…) / Er spricht die Sprache der Götter.“