Zehn Vergessene im Park

Hölzerne Grabtafel unter Koniferen, Alter Friedhof Bornstraße Wetter/Ruhr
Hölzerne Grabtafel unter Koniferen, Alter Friedhof Bornstraße Wetter/Ruhr

Die Stätten von Zwangsarbeit in Wetter/Ruhr als Erinnerungsorte

 

Im Zeitraum zwischen 1939 und 1945 gab es in Wetter zahlreiche Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende, auch für Frauen, Familien und Kinder. Wetteraner Unternehmen meldeten für ihre Industrien erhöhten Bedarf an ausländischen Arbeitskräften an, auch die Stadt Wetter. Arbeit und Leben der Internierten fanden unter kontrollierten, eingeschränkten und unmenschlichen Bedingungen statt. Deren Entlohnung und Ernährung unterlag einer rassistischen Hierarchie: „Ostarbeiter“ erhielten am wenigsten Lohn und die geringste Nahrung.[16] In Wetter verstarben zwischen dem 25. April 1942 und 29. Juni 1945 über 75 Zwangsinternierte.[17] Das Stadtarchiv ermittelte mittlerweile weitere Verstorbene, die nicht direkt in die Sterbebücher eingetragen worden waren und deren Schicksal sich erst nach Beendigung des Krieges klärte. Der letzte Eintrag eines verstorbenen Kriegsgefangenen wurde im Mai 1966 vorgenommen.[18] Die vielen jungen Menschen aus dem Ausland, die zwischen 1939 und 1945 angesichts totalitärer Bedingungen in Wetter ihr Leben lassen mussten, besaßen eine Identität ohne Zukunft. Historisch und ethisch resultieren daraus für die Stadt Verpflichtungen, diese Zeiten erlittenen Unrechts und erlebter Gewaltherrschaft zu erinnern und dies in ihrer städtischen Kultur- und Bildungsarbeit zu verankern. Die Firmen, in denen die vielen Arbeitskräfte aus der Fremde schufteten, bestehen teilweise noch heute. Die Lager, in denen sie ihre wenige freie Zeit fristeten, sind teils mit neuen Wohnhäusern überbaut. Die Straßenzüge gibt es allerdings noch, doch dort deutet nichts auf die Stätten des Unrechts und der dort erlebten Gewaltherrschaft hin. Einzig die abgelegenen Friedhöfe der Stadt offenbaren öffentlich sichtbare, aber für nachfolgende und neu hinzukommende Generationen oft unbekannte Zeichen einer Topografie vergangenen Terrors. Historisches Erinnern spielt auch für gutes generationelles Altern eine zunehmend wichtige Rolle, wie und was Menschen erinnern und sich selbst dabei wahrnehmen.[19]

Um die konkreten Umstände von Zwangsarbeit in Wetter zu erinnern und ins öffentliche Blickfeld zu rücken, regte die Autorin im September 2019 beim Rat der Stadt an, die Pflege der Grabanlagen von Krieg und Gewalt nicht zu vernachlässigen, den Toten (sofern möglich) ihre Namen vergleichbar anderer Kriegstoter wiederzugeben und an den Grabanlagen erklärende Hinweistafeln über die historischen Hintergründe aufzustellen; desgleichen dort, wo in Wetter Lager und Orte von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeit bestanden, erklärende Plaketten mit historischen Verweisen anzubringen, um an das Schicksal dieser multiethnischen, arbeitenden Menschen in der Industriestadt zu erinnern.

Laut Ratsbeschluss vom 22. Oktober 2019 wurde bei einem Ortstermin mit der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen auch beim „Ehrenmal für die Zwangsarbeiter; Alter Friedhof, Bornstraße“ der „Denkmalwert im Sinne des Denkmalschutzgesetzes erkannt.“ Am 12. Dezember 2019 folgte der Rat der Stadt einstimmig den Anträgen der Autorin und beschloss: „1. Die Verwaltung wird beauftragt, mehrere geeignete Orte im Stadtgebiet zu finden, an denen auf die Geschichte der Zwangsarbeiterlager hingewiesen werden kann. 2. Die Verwaltung wird gebeten, den Kontakt zum polnischen Konsulat erneut aufzunehmen und die Bitte des Rates der Stadt Wetter (Ruhr) auf Zustimmung einer würdigen Aufarbeitung der Tafel auf dem Friedhof Bornstraße zu übermitteln“.

Bis Oktober 2021 waren die Beschlüsse nicht umgesetzt. Allerdings verschwand im Sommer desselben Jahres unter den Koniferen die hölzerne Grabtafel der zehn Toten, die inzwischen von der Autorin in den Stadtbetrieben geortet wurde.

Eine Fortsetzung der Erinnerungsarbeit in Wetter wird folgen.

 

Thea Struchtemeier, Oktober 2021

 

[16] Fritzsche, Jörg: Zwangsarbeit in Hagen während des Zweiten Weltkriegs, Marburg 2005, S. 62–68.

[17] Thier (1996), S. 217.

[18] Stadt Wetter Beschlussvorlage v. 14.11.2019.

[19] Die Journalistin und Autorin Sabine Bode befragte viele Kriegskinder und -enkel, die durch das Nicht-Erinnern-Wollen oder -Können ihrer (Groß-)Eltern traumatisiert wurden; siehe auch: Gutes Altern durch Erinnern siehe das Projekt von Stefan Berger https://news.rub.de/studium/2021-07-30-unic-citylab-gutes-altern-durch-…; (zuletzt aufgerufen am 11.10.2021).

Mediathek
  • Abb. 1: Hölzerne Grabtafel unter Koniferen

    Hölzerne Grabtafel unter Koniferen, Alter Friedhof Bornstraße Wetter/Ruhr.
  • Abb. 2: Vorderseite der Grabtafel

    Vorderseite der Grabtafel Sammelgrab, Alter Friedhof Bornstraße Wetter/Ruhr.
  • Abb. 3: Rückseite der Grabtafel

    Rückseite der Grabtafel Sammelgrab, Alter Friedhof Bornstraße Wetter/Ruhr.
  • Abb. 4: Alter Friedhof Bornstraße, etwa 70er/80er Jahre

    Alter Friedhof Bornstraße Wetter/Ruhr, undatiert (etwa 70er/80er Jahre).