Zehn Vergessene im Park
In einer Gräberliste nach § 5 Abs. 1 des Gräbergesetzes vom 1. Juli 1965 für öffentlich gepflegte Gräber des Regierungsbezirks Arnsberg findet sich ein als 8 m² ausgewiesenes „Sammelgrab“ von „über 10 Zivilpersonen (Fremdarbeiter), die während ihres Arbeitseinsatzes in Deutschland im II. Weltkrieg verstorben sind.“ Diese Gräberliste wurde am 16. November 1970 von dem Wetteraner Stadtdirektor Willi Reiber unterzeichnet. Gräber dieser Art sind dauerhaft und von den jeweiligen Ländern und Kommunen zu pflegen und zu unterhalten, für die der Bund die Kosten übernimmt.[2] Die Anlage mit ihrer alten Grabtafel liegt unter hohen Koniferen verborgen in einem kleinen Park im Herzen der Kleinstadt.
Fünf Inschriften der Holztafel sind durch Lichteinfluss zunehmend ausgeblichen und schwer lesbar:
1 Franziszek Zielinski, geboren am 3. November 1891, verstorben am 10. April 1945
2 Zygmund Kornatowski, geboren am 24. Januar 1926, verstorben am 12. April 1945
3 Felix Szmidt, geboren am 17. Juni 1907, verstorben am 12. April 1945
4 Josef Pietruszka, geboren am 19. März 1896, verstorben am 12. April 1945
5 Kazimierz Legau, geboren am 4. April 1904, verstorben am 12. April 1945
Neben den schwer zu entziffernden Geburts- und Sterbedaten ist jeweils die Nationalität „Pole“ beigefügt.[3] (Abb. 2)
Wer durch Gestrüpp und Unrat den Weg bahnt, findet auf der Rückseite der Grabtafel fünf weitere Inschriften, zwei wiederum von Polen. Es sind:
1 Pawel Bareja, geboren am 23.Januar 1904, verstorben am 12. April 1945
2 Josef Zdziarski, geboren am 22. Februar 1913, verstorben am 15. April 1945
Alle sieben Polen stammten aus Warschau und Umgebung. In der Arnsberger Gräberliste sowie den Sterbeurkunden wurden sie beruflich als „Hilfsarbeiter“ gelistet. Als sie starben, war der Älteste von ihnen 54 Jahre alt (Franziszek Zielinski), der Jüngste erst 19 (Zygmund Kornatowski). Alle waren katholisch, der Jüngste noch unverheiratet; bei sechs der Polen galten der Name und Wohnort der Ehefrau laut Sterbeurkunde als „unbekannt“. Es wurde vermutlich auch nicht nach Angehörigen gesucht – auch nicht nach den Eltern des Jüngsten.
Bei drei weiteren Bestatteten handelt es sich um:
3 Petrow Chubrinski, geboren am 18. Juni 1918, verstorben am 16. April 1945
4 Victor Dubin, geboren am 31. Januar 1896, verstorben am 13. April 1945
5 Dott. Salvatore Calò, geboren am 22. Juli 1913, verstorben am 12. April 1945[4]
Auch Petrow Chubrinski, gebürtig aus der Ukraine, wurde als Hilfsarbeiter geführt, Victor Dubin aus Stalingrad war Lageraufseher. Beide waren als konfessionslos eingetragen. Dottore Salvatore Calò, katholisch, stammte aus Leverano. Name, Beruf bzw. Titel, Geburtsdatum und Herkunftsort des 32-jährigen italienischen Arztes wurden erst lange nach dessen Tod von Bekannten auf der Holztafel ergänzt.[5] (Abb. 3)
Manche Daten der Grabtafel stimmen nicht mit dem Archivgut überein. Auch gibt es Abweichungen zwischen Sterbeurkunden, Gräberliste und einer älteren Publikation des ehemaligen Stadtarchivars. Die Autorin bezieht sich hier (Ausnahme Salvatore Calò) auf die Sterbeurkunden, da die Migration der arbeitenden ausländischen Kräfte amtlich gesichert verzeichnet wurde.
[1] Die Kleinstadt bezieht sich wegen des Lebens und Wirkens gern auf ihren bedeutenden Industriepionier Friedrich Harkort, der vor über 200 Jahren hoch über dem Fluss die Mechanische Werkstätte Harkort & Co gründete, die später in der Deutschen Maschinenbau Aktiengesellschaft (DEMAG) aufging;
vgl. Struchtemeier, Thea: Die Stadt Wetter an der Ruhr ist eine Wiege der Industriekultur – Ein Rundgang in der Freiheit, in: Lokalkompass.de, 15.05.2019, https://www.lokalkompass.de/bochum/c-kultur/die-stadt-wetter-an-der-ruhr-ist-eine-wiege-der-industriekultur-ein-rundgang-in-der-freiheit_a1136025; (zuletzt aufgerufen am 11.10.2021).
[2] Zum dauerhaften Ruherecht von Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz), siehe vor allem § 1, § 2, § 10.
[3] Wegen der Verwitterung der Tafeln bezieht sich die Autorin bei den Geburts- und Sterbedaten auf die Sterbeurkunden, Stadtarchiv Wetter/Ruhr.
[4] Die Sterbeurkunde des italienischen Arztes Salvatore Calò ist unvollständig, es heißt dort „Vorname unbekannt“. Allerdings war der Nachname unbekannt und wurde später ergänzt, siehe Weiteres Anm. 5.
[5] Görzel, Klaus: Fünf Mal „Herzschwäche“ an nur einem Tag, Westfalenpost, 18.11.2014.
Was machten sieben polnische und drei weitere Männer aus Italien und der Sowjetunion 1945 in Wetter an der Ruhr, um dort ihr Leben zu lassen?
Bereits kurz nach dem Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 benötigte die deutsche Rüstungsindustrie zahlreiche Arbeitskräfte. Einheimische, nunmehr zur Front verschickt, sollten durch ausländische zivile Arbeitskräfte, zunehmend brutal rekrutiert, und Kriegsgefangene[6] ersetzt werden, so auch in Wetter. Ein Schreiben des Reichsarbeitsministeriums vom 9. Oktober 1939 informierte erstmals die Stadt, Kriegsgefangene in der Land- und Fortwirtschaft einzusetzen; der Ennepe-Ruhr-Kreis rechnete mit ersten polnischen Kriegsgefangenen bereits am 13. November 1939 und traf rasche Vorbereitungen zur Unterbringung und Schaffung von Abortanlage, Bewachung, Kopfpolstern aus Stroh und der Umzäunung mit Stacheldraht – wegen Rohstoffmangels keine Sicherung aus Eisen –, damit „ein unmittelbarer Verkehr mit der Bevölkerung von vornherein unmöglich ist.“[7] Drei Monate nach Kriegsbeginn waren im deutschen Reich eine Viertelmillion polnische Kriegsgefangene und etwa 30.000 polnische zivile Arbeitskräfte, vor allem Frauen, eingesetzt.[8]
Wurden in Wetter kriegsgefangene Arbeiter anfangs in beschlagnahmten Lokalitäten untergebracht (Beispiel „Lager Bauer‘scher Saal“, „Lager Düllmann’scher Saal“), so später in errichteten Barackenlagern (wie in Oberwengern). Firmen wie die Aktiengesellschaft DEMAG, das Gussstahlwerk Carl Bönnhoff, das Gussstahlwerk Ludwig Bönnhoff, das Stahlwerk Mark A.G., die Gesenkschmiede und Feilenfabrik Carl und Walter Prinz, die Stahlwerke Harkort-Eicken Hagen mit Sitz in Wetter, das Bauunternehmen Geis und auch die Stadt Wetter forderten Kriegsgefangene an, ebenso die Färberei und chemische Reinigung Lindackers. Unternehmen und Stadt beteiligten sich an den Lagerkosten, und Wetteraner Kleinunternehmen schrieben Rechnungen für Nahrungsmittel, Wäschereidienste, Bürobedarf (Lagerstempel), Verdunklungspapiere, Medikamente und weiteres.[9]
Vor diesem Hintergrund kamen auch jene zehn Männer ins Ruhrgebiet. Die sieben Männer aus Polen waren 1945 in einem Lager(Haus) in der Kaiserstraße 56 untergebracht. Diese Unterkunft beherbergte Hagener Adressbüchern zufolge elf Jahre zuvor einen katholischen Bürgerverein mit Vereinshaus, einen Kastellan sowie eine Modistin und muss sich unweit der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul befunden haben. Ab 1938 bis in die 1950er Jahre war unter dieser Anschrift der Gastwirt Wilhelm Dröge gemeldet, 1941/42 zusätzlich mit einem „Büffetfräulein“.[10] Die weiteren drei Männer wurden anderen Stätten zugewiesen: Der Ukrainer dem Lager Düllmann‘scher Saal in der Schöntaler Straße 40, der Russe aus Stalingrad dem Lager der Firmen Bönnhoff an der Wittener Straße 2 und der italienische Arzt dem großen Lager der DEMAG in Oberwengern.[11]
In den letzten Kriegstagen geriet das Industriestädtchen Wetter unter schweren amerikanischen Artilleriebeschuss. Neben Privathäusern und dem Krankenhaus wurden auch die Lager von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitenden getroffen. Fünf der auf der Holztafel verzeichneten Polen kamen mitternachts am 12. April 1945 beim Beschuss der Kaiserstraße 56 ums Leben, zwei weitere ebenso dort gemeldete Polen – zwei Tage zuvor der 54-jährige, drei Tage später ein 32-jähriger – durch weitere Gewaltumstände. Auch der italienische Arzt aus dem Oberwengerner Lager kam spätabends am 12. April 1945 bei Hilfeleistungen im Lager Düllmann’scher Saal durch Granatsplitter zu Tode. Der 27-jährige Ukrainer starb drei Tage nach der Kapitulation Wetters noch vor der Morgendämmerung am 16. April 1945 an schweren Schussverletzungen, die ihm „wegen Plünderns“ beigebracht worden waren.[12] Die Lebensmittelknappheit und folglich der schwere Hunger in Wetter wird vom damaligen Kriegschronisten mehrfach beschrieben; dazu herrschte eine Ausgangssperre von 18:00 bis 8:00 Uhr. Laut Aufruf des kommissarischen Bürgermeisters Lorek vom 14. April 1945 hatte die Wetteraner Bevölkerung die Verpflegung „der ausländischen Arbeiter“ mitzutragen.[13] Und auch der russische Lageraufseher im Lager Wittener Straße 2 überlebte die Niederlage der Stadt nur um wenige Stunden: An ihm nahmen seine Landsleute laut Sterbeurkunde blutige Rache.[14]
Es müssen chaotische, hektische Tage in Wetter gewesen sein: Am 13. April 1945 wird sie an Vertreter der amerikanischen Truppen übergeben. Die Lager von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitenden wurden aufgelöst und allerorten machten sich die in Knechtschaft Gehaltenen frei und forderten Brot und Rechte. Die Verlierer sorgten sich und vernichteten eiligst inkriminierende Unterlagen.
Die Stadt Wetter bestattete viele getötete Zwangsarbeiter:innen auf dem neuen Friedhof (heute: Park der Ruhe, Gartenstraße) sowie dem Evangelischen Friedhof in (Wetter-) Wengern. Die allerdings in den letzten Kriegstagen umgekommenen sieben Polen von der hölzernen Grabtafel fanden gemeinsam mit dem Italiener, dem Ukrainer und dem Russen zwei Straßenzüge entfernt auf dem alten Wetteraner Friedhof die letzte Ruhe. Am 14. Juni 1945 hatte der Bürgermeister Lorek die Außerbenutzungsetzung vom 2. August 1941 aufgehoben und beschlossen, den Platz an der Bornstraße wieder für Beerdigungen zuzulassen.[15] Das Sammelgrab der zehn Umgekommenen wurde folglich frühestens zwei Monate nach den tödlichen Ereignissen im April eingerichtet. (Abb. 4)
[6] Sie waren nach dem Genfer Abkommen 1929 zur Arbeit verpflichtet und konnten über lokale Arbeitsämter angefordert werden.
[7] siehe Stadtarchiv Wetter/Ruhr.
[8] Mentner, Regina: Die Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern für Aufgaben des „alten“ Ennepe-Ruhr-Kreises, Schwelm 2002, S. 6; https://www.enkreis.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/01/dokumentationzwangsarbeit.pdf (zuletzt aufgerufen am 11.10.2021.)
[9] siehe Briefwechsel Lindackers mit der Stadt Wetter/Ruhr, 09.09.1940; Abkommen zwischen den Firmen und Herrn Walter Düllmann (Lager) 22.05.1941, 04.02.1943; ans Kriegsgefangenenlager Düllmann bezahlte Rechnungen im Zeitraum vom 01.01. bis 17.03.1943; Stadtarchiv Wetter/Ruhr.
[10] Adressbücher der Stadt Hagen mit Einträgen der Stadt Wetter von 1934, 1938, 1941/42, 1951; Stadtarchiv Wetter/Ruhr. Siehe auch lokaler Verweis auf die Wirtschaft Dröge in: Thier, Dietrich (Hrsg.): Die Kriegschronik der Stadt Wetter (Ruhr) von Gustav Ebert. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Wetter (Ruhr) (Band 2), Wetter (Ruhr) 2000, S. 249.
[11] Die Zahl der im Lager Oberwengern festgesetzten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter:innen soll 1210 Personen betragen haben; es waren italienische Kriegsgefangene, „Ost- und Westarbeiter:innen“ (Zwangsarbeiter:innen) und auch Familien mit (Kleinst)Kindern; siehe: Thier, Dietrich: Kriegsgefangenen- und Fremdarbeiterlager in Wetter (Ruhr) zwischen 1939 und 1945, in: Kniehase, Hans-Friedrich / Thier, Dietrich (Hrsg.): PROJEKTE. Landeskundliche Studien im Bereich des mittleren Ruhrtales. Schriftenreihe der Friedrich-Harkort-Gesellschaft Wetter (Ruhr) und des Stadtarchivs Wetter (Ruhr), Wetter (Ruhr) 1996, S. 225–229.
[12] Sterbeurkunden, Stadtarchiv Wetter/Ruhr. Der 32-Jährige war zwei Tage nach der Kapitulation der Stadt hinterrücks erschossen worden. Nach Thier (1996) deute „Herzschwäche“ stets auf einen „unnatürlichen Tod“, siehe S. 71, 229, 231. Letzte Kriegstage erinnerten Wetteraner Bürger in der Westfalenpost bspw. 11.04.2021, 23.04.2021.
[13] Zum Hunger in der Stadt siehe auch: Die Kriegschronik der Stadt Wetter (Ruhr)(2000), passim, auch S. 209f.; der Aufruf ebd., S. 202.
[14] Die Gräberliste der Stadt enthält vermutlich einen Übertragungsfehler (Tippfehler).
[15] Aufhebung der Außerbenutzungsetzung des alten Friedhofes (Bornstraße) siehe Kriegschronik der Stadt Wetter (Ruhr). Auf Nachfrage ist dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Münster) keine Gedenkstätte bekannt, in deren nächster Nähe und nicht abgegrenzt sich diverse Spielgeräte befinden. Nur in Ysselsteyn (NL) gibt es in der Nähe der Kriegsgräberstätte eine Jugendbegegnungsstäte, die allerdings durch einen Zaun und eine Baumreihe abgetrennt ist. Nach dem Gräbergesetz gilt für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ein unbegrenztes Ruherecht. Der Spielplatz wurde nach Umbauarbeiten am 10.06.2019 wiedereröffnet, ohne die Kriegsgräberanlage zu berücksichtigen; vgl. https://www.wetter-ruhr.info/2019/07/spielplatz-alter-friedhof-wird-am-mittwoch-wiedereroeffnet/ (zuletzt aufgerufen am 11.10.2021).
Die Stätten von Zwangsarbeit in Wetter/Ruhr als Erinnerungsorte
Im Zeitraum zwischen 1939 und 1945 gab es in Wetter zahlreiche Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende, auch für Frauen, Familien und Kinder. Wetteraner Unternehmen meldeten für ihre Industrien erhöhten Bedarf an ausländischen Arbeitskräften an, auch die Stadt Wetter. Arbeit und Leben der Internierten fanden unter kontrollierten, eingeschränkten und unmenschlichen Bedingungen statt. Deren Entlohnung und Ernährung unterlag einer rassistischen Hierarchie: „Ostarbeiter“ erhielten am wenigsten Lohn und die geringste Nahrung.[16] In Wetter verstarben zwischen dem 25. April 1942 und 29. Juni 1945 über 75 Zwangsinternierte.[17] Das Stadtarchiv ermittelte mittlerweile weitere Verstorbene, die nicht direkt in die Sterbebücher eingetragen worden waren und deren Schicksal sich erst nach Beendigung des Krieges klärte. Der letzte Eintrag eines verstorbenen Kriegsgefangenen wurde im Mai 1966 vorgenommen.[18] Die vielen jungen Menschen aus dem Ausland, die zwischen 1939 und 1945 angesichts totalitärer Bedingungen in Wetter ihr Leben lassen mussten, besaßen eine Identität ohne Zukunft. Historisch und ethisch resultieren daraus für die Stadt Verpflichtungen, diese Zeiten erlittenen Unrechts und erlebter Gewaltherrschaft zu erinnern und dies in ihrer städtischen Kultur- und Bildungsarbeit zu verankern. Die Firmen, in denen die vielen Arbeitskräfte aus der Fremde schufteten, bestehen teilweise noch heute. Die Lager, in denen sie ihre wenige freie Zeit fristeten, sind teils mit neuen Wohnhäusern überbaut. Die Straßenzüge gibt es allerdings noch, doch dort deutet nichts auf die Stätten des Unrechts und der dort erlebten Gewaltherrschaft hin. Einzig die abgelegenen Friedhöfe der Stadt offenbaren öffentlich sichtbare, aber für nachfolgende und neu hinzukommende Generationen oft unbekannte Zeichen einer Topografie vergangenen Terrors. Historisches Erinnern spielt auch für gutes generationelles Altern eine zunehmend wichtige Rolle, wie und was Menschen erinnern und sich selbst dabei wahrnehmen.[19]
Um die konkreten Umstände von Zwangsarbeit in Wetter zu erinnern und ins öffentliche Blickfeld zu rücken, regte die Autorin im September 2019 beim Rat der Stadt an, die Pflege der Grabanlagen von Krieg und Gewalt nicht zu vernachlässigen, den Toten (sofern möglich) ihre Namen vergleichbar anderer Kriegstoter wiederzugeben und an den Grabanlagen erklärende Hinweistafeln über die historischen Hintergründe aufzustellen; desgleichen dort, wo in Wetter Lager und Orte von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeit bestanden, erklärende Plaketten mit historischen Verweisen anzubringen, um an das Schicksal dieser multiethnischen, arbeitenden Menschen in der Industriestadt zu erinnern.
Laut Ratsbeschluss vom 22. Oktober 2019 wurde bei einem Ortstermin mit der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen auch beim „Ehrenmal für die Zwangsarbeiter; Alter Friedhof, Bornstraße“ der „Denkmalwert im Sinne des Denkmalschutzgesetzes erkannt.“ Am 12. Dezember 2019 folgte der Rat der Stadt einstimmig den Anträgen der Autorin und beschloss: „1. Die Verwaltung wird beauftragt, mehrere geeignete Orte im Stadtgebiet zu finden, an denen auf die Geschichte der Zwangsarbeiterlager hingewiesen werden kann. 2. Die Verwaltung wird gebeten, den Kontakt zum polnischen Konsulat erneut aufzunehmen und die Bitte des Rates der Stadt Wetter (Ruhr) auf Zustimmung einer würdigen Aufarbeitung der Tafel auf dem Friedhof Bornstraße zu übermitteln“.
Bis Oktober 2021 waren die Beschlüsse nicht umgesetzt. Allerdings verschwand im Sommer desselben Jahres unter den Koniferen die hölzerne Grabtafel der zehn Toten, die inzwischen von der Autorin in den Stadtbetrieben geortet wurde.
Eine Fortsetzung der Erinnerungsarbeit in Wetter wird folgen.
Thea Struchtemeier, Oktober 2021
[16] Fritzsche, Jörg: Zwangsarbeit in Hagen während des Zweiten Weltkriegs, Marburg 2005, S. 62–68.
[17] Thier (1996), S. 217.
[18] Stadt Wetter Beschlussvorlage v. 14.11.2019.
[19] Die Journalistin und Autorin Sabine Bode befragte viele Kriegskinder und -enkel, die durch das Nicht-Erinnern-Wollen oder -Können ihrer (Groß-)Eltern traumatisiert wurden; siehe auch: Gutes Altern durch Erinnern siehe das Projekt von Stefan Berger https://news.rub.de/studium/2021-07-30-unic-citylab-gutes-altern-durch-erinnern; (zuletzt aufgerufen am 11.10.2021).