Verengtes Gedenken: Das Gräberfeld mit dem Ehrenmal für sowjetische NS-Oper auf dem Mainz-Mombacher Waldfriedhof

Sammelgrab für Opfer der NS-Zeit, 2016
Sammelgrab für Opfer der NS-Zeit, 2016

Ein „russisches“ Ehrenfeld?

In der umfassenden, erstmals 1987 von der Bundeszentrale für politische Bildung erschienenen Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“ wird vermutet, dass es sich um „ehemalige Häftlinge eines Arbeitslagers, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene“[6] handelt, die in der „abgelegenen Grabanlage“ bestattet wurden. Polnische und tschechische Opfer finden dabei allerdings keine Erwähnung und ihrer wird auch vor Ort nicht gedacht: Der Gedenkstein vor einer großen Rasenfläche ohne Grabsteine mit in den Boden eingelassenen Nummernplatten, die die anonyme Ruhestätte tausender Menschen einteilen, erinnert einzig an die sowjetischen Opfer. Das Mahnmal wurde im Jahre 1950 von der sowjetischen Militärmission aufgestellt, und in russischer Sprache mit kyrillischen Buchstaben – die deutsche Übersetzung ist auf einer Metalltafel am Fuße des Gedenksteines angebracht – heißt es dort:

„Ewiger Ruhm den Kämpfern für die Freiheit!

Hier sind begraben 3.330 sowjetische Bürger,

gestorben in faschistischer Gefangenschaft.

14.3.1950“

Es ist damit ganz ähnlich einem kleineren Gedenkstein vom 4. März 1950 auf dem Ludwigshafener Hauptfriedhof, der ebenfalls an sowjetische Opfer erinnert. Gleichzeitig existiert dort allerdings auch ein separates polnisches Gräberfeld mit einem Mahnmal für die polnischen Opfer. Bemerkenswert für den so bedeutsamen Erinnerungsort in Mainz-Mombach ist außerdem, dass zu diesem abgelegenen Ort auf dem Friedhof ein Hinweisschild mit der Inschrift „Russisches Ehrenfeld“ führt. Dieses Schild verweist dabei aber auch symptomatisch auf die Defizite im deutschen Erinnerungsbewusstsein mit Blick auf die Heterogenität, und überhaupt auf die Präsenz von NS-Opfergruppen aus dem östlichen Europa, in dem es hier von deutscher Seite zu einer fälschlichen Gleichsetzung von „sowjetisch“ und „russisch“ kommt. Beispielsweise wird von ukrainischer Seite hierbei seit Jahren eine Differenzierung angemahnt. Ist das Wissen innerhalb der deutschen Bevölkerung um die deutsche Besatzungszeit und den Vernichtungskrieg im östlichen Europa im Allgemeinen gering, bleiben nun in Bezug auf das sowjetische Mahnmal die Opfer anderer Völker, wie Belarusinnen und Belarusen oder Ukrainerinnen und Ukrainer, die ebenfalls Teil der Sowjetunion waren und derer mit dem Mahnmal gedacht wird, durch den Hinweis ausgeklammert. Damit nicht genug, weitere dort bestattete Opfer aus dem östlichen Europa, darunter auch aus Polen, sind nicht Teil dieser Erinnerung; sie bleiben an diesem Ort vergessen. Das ist umso schmerzlicher, weil diese Stätte die Chance böte, die europäische Dimension der deutschen Verbrechen, gerade vor der Auseinandersetzung mit der Geschichte in der Region selbst, vor Augen zu führen. Zumal von Seiten der Politik am Volkstrauertag dort Kränze niedergelegt werden, um damit die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit wachzuhalten – doch geschieht dies vor einem sowjetischen Denkmal bei der Grabstätte, in der auch die Toten anderer Herkunft ihre Ruhe gefunden haben. Die Geschichte und die Schicksale der dort Bestatteten und heute Namenlosen bleiben bisher unerzählt.

 

Christof Schimsheimer, Februar 2022

 

[6] Puvogel, Ulrike; Stankowski, Martin [u.a.]: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Bd. 1. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Bonn 1995, S. 676.