Verengtes Gedenken: Das Gräberfeld mit dem Ehrenmal für sowjetische NS-Oper auf dem Mainz-Mombacher Waldfriedhof
Das größte Sammelgrab für NS-Opfer in der Region
Außerhalb von Mainz, zwischen dem Mainzer Stadtteil Mombach und dem westlich davon gelegenen Ort Budenheim, liegt der Mombacher Waldfriedhof, der an den Lennebergwald grenzt. Es ist nur Wenigen bekannt, dass sich an diesem idyllisch gelegenen Ort abseits des städtischen Trubels mit über 3.300 Toten das größte Sammelgrab für Opfer der NS-Zeit in der Region befindet. Wer waren diese Menschen von unterschiedlicher Herkunft, die dort am westlichen Rand des Waldfriedhofs nach dem Zweiten Weltkrieg dorthin umgebettet wurden? Nahezu in Vergessenheit geraten ist zudem, dass der Ort des Waldfriedhofs selbst unmittelbarer Schauplatz für Verbrechen war: Die SS erschoss dort noch am 19. März 1945 – Mainz wurde am 22. März 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit – 31 sowjetische Zwangsarbeiter, die von ihren Mördern für nicht mehr arbeitsfähig oder zu schwach gehalten wurden. Nach dem Krieg fand man zudem noch weitere 41 Einzelgräber.[1] Zwar weist vor Ort nichts explizit auf diese Verbrechen hin, doch wiederum das Gräberfeld mit seinem Mahnmal ist ein Ort des Gedenkens. Allerdings ist dieses Gedenken mit Blick auf die Herkunft der Opfer verengt, die historische Vielschichtigkeit wird nicht berücksichtigt.
Die Toten auf dem Waldfriedhof
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte in der französischen Besatzungszone die Betreuung von Displaced Persons, zumeist ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, zu den vordringlichen Aufgaben der französischen Militärverwaltung. In diesem Zusammenhang war es auch von großer Bedeutung, die in Deutschland verstorbenen und begrabenen Ausländerinnen und Ausländer möglichst lückenlos zu erfassen:
„Zu diesem Zweck ließ der französische Suchdienst Exhumierungen der auf den deutschen Friedhöfen bestatteten Ausländer durchführen, um die Identität der Begrabenen festzustellen, und sorgte für eine würdevolle Bestattung der Toten. Dies war ein zeit- und kostenaufwendiges Unternehmen, das sich über mehrere Jahre hinzog, weil ein Großteil der verstorbenen Ausländer […] von den deutschen Friedhofsverwaltungen abseits der übrigen Grabanlagen und vor allem ohne Särge beigesetzt worden war und deshalb umgebettet und neu eingesargt werden mußte.“[2]
Im Zuge dessen war man bestrebt, insbesondere um eine angemessene Grabpflege zu ermöglichen, auch die sowjetischen Grabstätten, die sich verstreut auf örtlichen Friedhöfen in der französischen Besatzungszone befanden, zusammenzulegen.[3] Auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz gehört der Mombacher Waldfriedhof dabei zu den Hauptorten. Denn bis zum Jahr 1950 ließ die französische Verwaltung, wie es im Folgenden auf der Seite des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. heißt „etwa 3.330 verstorbene sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter sowie deren Kinder, außerdem die sterblichen Überreste einer Reihe von Polen und Tschechen aus ganz Rheinland-Pfalz umbetten“.[4] Für die Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche werden als Todesursachen „harte Arbeits- und Lebensbedingungen, […] Entkräftung, Hunger, Krankheiten, Misshandlungen oder Bombenangriffen“[5] genannt, wobei auch Hinrichtungen als weitere Ursache angenommen werden müssen.
[1] http://www.mainz1933-1945.de/rundgang/teil-ii-ausserhalb-der-innenstadt/mombacher-waldfriedhof.html
[2] Scharf, Eginhard: „Man machte mit uns, was man wollte“. Ausländische Zwangsarbeiter in Ludwigshafen am Rhein 1939–1945. Heidelberg u.a. 2004, S. 278.
[3] Ebd., S. 278f.
[4] http://www.mainz1933-1945.de/rundgang/teil-ii-ausserhalb-der-innenstadt/mombacher-waldfriedhof.html
[5] Ebd.
Ein „russisches“ Ehrenfeld?
In der umfassenden, erstmals 1987 von der Bundeszentrale für politische Bildung erschienenen Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“ wird vermutet, dass es sich um „ehemalige Häftlinge eines Arbeitslagers, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene“[6] handelt, die in der „abgelegenen Grabanlage“ bestattet wurden. Polnische und tschechische Opfer finden dabei allerdings keine Erwähnung und ihrer wird auch vor Ort nicht gedacht: Der Gedenkstein vor einer großen Rasenfläche ohne Grabsteine mit in den Boden eingelassenen Nummernplatten, die die anonyme Ruhestätte tausender Menschen einteilen, erinnert einzig an die sowjetischen Opfer. Das Mahnmal wurde im Jahre 1950 von der sowjetischen Militärmission aufgestellt, und in russischer Sprache mit kyrillischen Buchstaben – die deutsche Übersetzung ist auf einer Metalltafel am Fuße des Gedenksteines angebracht – heißt es dort:
„Ewiger Ruhm den Kämpfern für die Freiheit!
Hier sind begraben 3.330 sowjetische Bürger,
gestorben in faschistischer Gefangenschaft.
14.3.1950“
Es ist damit ganz ähnlich einem kleineren Gedenkstein vom 4. März 1950 auf dem Ludwigshafener Hauptfriedhof, der ebenfalls an sowjetische Opfer erinnert. Gleichzeitig existiert dort allerdings auch ein separates polnisches Gräberfeld mit einem Mahnmal für die polnischen Opfer. Bemerkenswert für den so bedeutsamen Erinnerungsort in Mainz-Mombach ist außerdem, dass zu diesem abgelegenen Ort auf dem Friedhof ein Hinweisschild mit der Inschrift „Russisches Ehrenfeld“ führt. Dieses Schild verweist dabei aber auch symptomatisch auf die Defizite im deutschen Erinnerungsbewusstsein mit Blick auf die Heterogenität, und überhaupt auf die Präsenz von NS-Opfergruppen aus dem östlichen Europa, in dem es hier von deutscher Seite zu einer fälschlichen Gleichsetzung von „sowjetisch“ und „russisch“ kommt. Beispielsweise wird von ukrainischer Seite hierbei seit Jahren eine Differenzierung angemahnt. Ist das Wissen innerhalb der deutschen Bevölkerung um die deutsche Besatzungszeit und den Vernichtungskrieg im östlichen Europa im Allgemeinen gering, bleiben nun in Bezug auf das sowjetische Mahnmal die Opfer anderer Völker, wie Belarusinnen und Belarusen oder Ukrainerinnen und Ukrainer, die ebenfalls Teil der Sowjetunion waren und derer mit dem Mahnmal gedacht wird, durch den Hinweis ausgeklammert. Damit nicht genug, weitere dort bestattete Opfer aus dem östlichen Europa, darunter auch aus Polen, sind nicht Teil dieser Erinnerung; sie bleiben an diesem Ort vergessen. Das ist umso schmerzlicher, weil diese Stätte die Chance böte, die europäische Dimension der deutschen Verbrechen, gerade vor der Auseinandersetzung mit der Geschichte in der Region selbst, vor Augen zu führen. Zumal von Seiten der Politik am Volkstrauertag dort Kränze niedergelegt werden, um damit die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit wachzuhalten – doch geschieht dies vor einem sowjetischen Denkmal bei der Grabstätte, in der auch die Toten anderer Herkunft ihre Ruhe gefunden haben. Die Geschichte und die Schicksale der dort Bestatteten und heute Namenlosen bleiben bisher unerzählt.
Christof Schimsheimer, Februar 2022
[6] Puvogel, Ulrike; Stankowski, Martin [u.a.]: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Bd. 1. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Bonn 1995, S. 676.