Polnischer Sozialrat in Berlin
1982. In Polen herrscht das Kriegsrecht. Immer mehr Polen kommen nach Westberlin, um Repressionen der kommunistischen Regierung zu entgehen und weil sie hoffen, ein neues, besseres Leben führen zu können. Die meisten von ihnen sprechen kein Deutsch und sie wissen nicht, welche Schritte nun zu tun sein werden. Die deutschen Behörden und die entsprechenden Institutionen sind auf diese neue Welle der Migranten aus dem Osten nicht vorbereitet. Es gibt keine Informationen in polnischer Sprache, selbst die grundlegendste Unterstützung fehlt. In dieser Gemengelage fangen die in Berlin lebenden Polen die Neuankömmlinge in informellen Hilfsgruppen auf. Telefonnummern und Anschriften von Privatleuten, bei denen man einen Rat einholen kann, werden von Mund zu Mund weitergegeben. Mitunter werden solche Informationen über Hilfsorganisationen und ihre Adressen sogar gehandelt.
„Das Telefon bei uns zu Hause klingelte bis ein Uhr nachts,“ erinnert sich Witold Kamiński, Mitbegründer, erster Vorsitzender und heute stellvertretender Vorsitzender des Polnischen Rates in Berlin. „Es ging immer um dieselben Probleme. Wir begleiteten die Neuankömmlinge bei Behördengängen, halfen ihnen bei der Erledigung verschiedenster Angelegenheiten und haben Wohnungen, Möbel sowie die dringendsten Dinge beschafft. Allen helfen konnten wir jedoch nicht.“
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, eine Organisation zur Unterstützung zu gründen, die auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe beruhen sollte. In diesem Sinne fand im September 1982 die Gründungssitzung des Polnischen Sozialrats statt, der seitdem als gemeinnütziger Verein wirkt. Seine Satzung entstand in Anlehnung an die Bestimmungen des Verbandsstatuts der Arbeiterwohlfahrt (AWO), der deutschen Wohlfahrtsorganisation. Dem Vorstand des Polnischen Sozialrats gehörten ursprünglich unter anderem auch die beiden Oppositionellen Edward Klimczak und Wojciech Gruszecki, die ihre Ämter jedoch bald wieder niederlegt haben, weil sie nicht einverstanden waren, dass der Rat apolitischen Charakter hatte.
Schon 1983 beginnt der Polnische Sozialrat dann damit an, neben seiner Akuthilfe für Bedürftige erste Kulturveranstaltungen zu organisieren, um das Image der Polen aufzubessern, die in dieser Zeit oft nur als Sozialhilfeempfänger wahrgenommen werden. Mit seinen Autorenabenden, Konzerten und Kabarettveranstaltungen will der Rat möglichst viele Menschen für sich gewinnen und eine lebendige polnische Szene etablieren. Nach Berlin kommen unter anderem Wojciech Młynarski, Jan Tadeusz Stanisławski und Jan Pietrzak. Auch die damals in Berlin lebende Lyrikerin Ewa Lipska war bereit, sich zu zeigen. Die Solodarbietungen ließen den Gedanken entstehen, ein Festival unter dem Namen „Polnische Kulturtage“ aus der Taufe zu heben, das 1987 Premiere feierte. An den zehn Festivaltagen fanden 26 Theateraufführungen, Musikveranstaltungen und Ausstellungen statt.
Im Laufe der Jahre kommen immer mehr Migranten aus Polen nach Berlin, so dass es in den 80er Jahren rund 80.000 sind. Der Höhepunkt der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen fällt in das Jahr 1989. Die Probleme der Polen sind indessen immer noch dieselben: fehlende Informationen und Perspektiven, ein unsicherer Rechtsstatus und kaum Kenntnisse der deutschen Sprache. Bei alledem eröffnet sich ein neuer Weg, um die Bedürftigen zu erreichen. Am 3 September 1989 strahlt der private, alternative Hörfunksender Radio 100 erstmals eine Sendung auf Polnisch aus. Die Redaktion arbeitet nach dem Prinzip des „offenen Kollektivs“, so dass sich den Mitgliedern des Polnischen Sozialrats andere Menschen hinzugesellen, die ihm zwar nicht angehören, aber radiobegeistert sind. Die einstündige Sendung berichtet in der Muttersprache über aktuelle Themen sowie über gesellschaftliche und politische Strukturen in Deutschland, um die Integration zu fördern und die aktive Teilhabe an der Gesellschaft zu stärken ohne die eigene Identität zu verleugnen. Dieses Programm bestand bis in den Februar 1991, als der Sendebetrieb wegen finanzieller Schwierigkeiten eingestellt wurde.
Die Förderung der aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entwickelte sich zu einer Aufgabe des Rats, der heute besondere Bedeutung beigemessen wird. Diesem Zweck dienen unter anderem Beratungen in rechtlichen, sozialen und psychologische Fragen, berufliche Weiterbildungskurse und soziale Kompetenztrainings bis hin zu Hilfen zur Lösung von Generationenkonflikten. Dieses Angebot wird nicht nur von den polnischen Einwohnern Berlins, sondern auch von Polen aus anderen Bundesländern wahrgenommen. Inzwischen engagiert sich der Polnische Sozialrat auch in der Flüchtlingshilfe, indem er seit April 2016 mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland das Projekt „Gemeinsam. Schaffen!“ koordiniert, das sich der Fürsorge für Asylantenfamilien verschrieben hat. In diesem Rahmen sind bisher 250 Patenschaften entstanden. Unter den „Paten“ sind oft Polen, die einst selbst eine solche Hilfe benötigt haben. Das Projekt wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
Um die neuen Ankömmlinge aus Polen auf ihrem beruflichen Weg zu unterstützen und Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen, die ihren Qualifikationen nicht entsprechen, erweitert der Polnische Sozialrat sein Schulungsangebot kontinuierlich. 2014 wurde in Zusammenarbeit mit dem Rat das Polnische Kompetenzzentrum (Polskie Centrum Kompetencyjne) ins Leben gerufen, das vom Außenministerium der Republik Polen finanziert wird. Es bietet verschiedenste Schulungen an, unter anderem im Arbeitsrecht, zum Thema der Zweisprachigkeit, zur Existenzgründungen, zur Stressbewältigung und im Kontext der Vereinsamung in der Emigration. Ziel des Projekts ist, die Lage der Polen in Deutschland zu verbessern, wobei dies weniger durch die Forderung geschieht, ihren Minderheitenstatus anzuerkennen, als durch die Stärkung ihrer Potentiale.
Obwohl sich die Zeiten geändert haben, während weitere Migranten nach Deutschland kamen, liegt der Arbeit des Polnischen Sozialrates weiterhin dieselbe Idee zu Grunde: auf dringende Bedürfnisse und aktuelle Probleme der Migranten einzugehen. In Anbetracht der immer noch zunehmenden Zahl von Ankömmlingen aus Polen nimmt das Arbeitspensum der sozial engagierten Helfer in der Oranienstraße in Berlin jedenfalls nicht ab.
Monika Stefanek, Oktober 2017
Internetpräsenz des Polnischen Sozialrats: www.polskarada.de