Polnische Zwangsarbeiter an der „Reichsautobahn“ im Rheinland. Der Leidensweg des Norbert Widok
Informationen zum Lager Bassenheim
Das „Reichsautobahn-Lager“ Bassenheim wurde Anfang 1939 für deutsche Dienstverpflichtete errichtet. Das Lager erhielt seinen Namen „Eiserne Hand“ vom gleichnamigen Ausflugslokal, das ca. drei Kilometer von Bassenheim (in Richtung Wolken) und 50 Meter von der Autobahntrasse entfernt war. Das Zwangsarbeitslager lag knapp 500 Meter von der „Eisernen Hand“ im Waldstück Golobüsch. Das etwa einen halben Hektar große Gelände pachtete die Autobahn-Behörde von der Familie von Waldhausen. Das Lager bestand aus vier Wohnbaracken, einer Wirtschaftsbaracke, einer Waschbaracke und einer Abortbaracke. Vom 15. September 1940 bis 14. Oktober 1941 hatte das Lager die Funktion einer „Außenarbeitsstelle“ der Strafanstalt in Koblenz. Das Bewachungspersonal bestand aus einem Hauptwachtmeister mit Namen Birkenbeul, vier Oberwachtmeistern und zehn Hilfsaufsehern. Sie waren mit Karabinern bewaffnet und setzen Hunde gegen die Gefangenen ein. Von den Autobahn-Behörden war Konrad Krüger als Lagerleiter eingesetzt. Die Gefangenen mussten für die Firma Wassermann arbeiten.
Die Auflösung des Lagers hatte mit der Einstellung der Bauarbeiten auf diesem Streckenabschnitt zu tun. Der Großteil der polnischen Gefangenen, unter ihnen vermutlich auch Norbert Widok, wurde ins Lager Uersfeld bei Kaisersesch verlegt, weil hier die Arbeiten an der Autobahn weitergingen. 13 polnischen Zwangsarbeitern gelang es, von dort zu flüchten. Die Häftlinge wurden täglich mit der Bahn zur Autobahnbaustelle befördert, und einige konnten dabei dem Wachpersonal entkommen.
Der weitere Lebensweg von Norbert Widok
Nach Einstellung der Bauarbeiten an der „Reichsautobahn“ Anfang 1942 zwangen die Deutschen Norbert Widok zur Arbeit nach Siegburg in eine Fabrik, die Kunstwolle produzierte. Die 150 Zwangsarbeiter:innen mussten in Baracken neben der Firma wohnen. Die Arbeitsbedingungen waren lebensgefährlich, weil gehirnschädigende Chemikalien verwendet wurden. Es kam zu Massenerkrankungen, wie Norbert Widok in seinen Erinnerungen schreibt. Aus diesem Grund entschloss er sich im März 1943, mit seinem Freund, einen Fluchtversuch zu unternehmen (Video in der Mediathek). Mit Hilfe polnischer Zwangsarbeiterinnen gelang es ihnen, an Zivilkleidung zu kommen. Durch Kanäle entkamen sie aus der Fabrik. Zwar war der Fluchtversuch erfolgreich und sie kamen über Jena bis Trachenberg (Żmigród). Dort wurden sie jedoch festgenommen und zur Gestapo nach Breslau (Wrocław) gebracht. Am 1. Oktober 1943 überstellten die Deutschen Norbert Widok ins Konzentrationslager Groß-Rosen, wo er bis zur Lagerevakuierung blieb. Er war zunächst im Straßenbau eingesetzt, später in der „Effektenkammer“. Norbert Widok wurde ein Opfer medizinischer Versuche durch den KZ-Arzt Entress. Von den 14 betroffenen Häftlingen überlebten nur zwei. Ab 15. Februar 1945 war Norbert Widok Häftling des KZ Flossenbürg, Kommando Leitmeritz. Die Deutschen verpflichteten ihn als Dolmetscher im „Kommando Dachdecker“. Am 11. April konnte Norbert Widok aus dem Lager entkommen und versteckte sich in Tschechien. Nach der Befreiung kehrte er einem Sammeltransport über Ungarn in seine Heimat zurück.
Nach dem Krieg zog Norbert Widok nach Wyganów (heute Ostroszowice), wo er Leiter einer Möbelfabrik war. Im November 1946 heiratete er Krystyna Adamkiewicz, mit der er fünf Kinder hatte, der erste Sohn starb im Alter von 6 Monaten. Seit 1965 lebte er mit seiner Familie in Wągrowiec und ab 1988 in Wiry bei Poznań.
Im Jahr 2001 besuchte er als 79-Jähriger erstmals wieder die „Eiserne Hand“ bei Bassenheim. Im Bereich des ehemaligen Lagers fand er einen Stein mit der Aufschrift: „Das Chaos bändigen keine Mutlosen und eine Welt wird nicht von Feiglingen aufgebaut“. Nachforschungen des Bassenheimer Heimatvereins ergaben, dass dieser Stein vermutlich Teil des Eingangs des Lagers war und der Text auf Alfred Rosenberg zurückgeht. In Reval geboren, avancierte er zu einem der Chefideologen Hitlers, verfasste rassenideologische Schriften und war für Beutezüge in ganz Europa zum Raub von Kulturgütern verantwortlich. Im Juli 1941 wurde er Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Ebenso wie der zynische Spruch „Arbeit macht frei“ im Vernichtungslager Auschwitz verhöhnte der in Bassenheim die Autobahnarbeiter. So lesen wir es auf einer Gedenktafel, die der Verein vor ein paar Jahren im Wald aufstellte. Norbert Widok starb am 29. Januar 2008.
Wolfgang Schmitt-Kölzer, November 2022
Ich danke Adam Widok (Sohn von Norbert Widok), Joachim Hennig (Mahnmal Koblenz), Renata Paluch (Museum Groß-Rosen), Wolfgang Reinicke (Haus der Bayrischen Geschichte, Museum Regensburg) und Cord M. Sander (Bassenheim) für die freundliche Unterstützung.
Norbert Widok schildert seine Flucht aus Siegburg: (Video: Haus der bayrischen Geschichte, Museum Regensburg):
https://www.hdbg.eu/zeitzeugen/detail/kz-flossenbuerg/norbert-widok/285
Quellen
Informationen von Adam Widok: E-Mails September 2022.
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch Berlin): Best. R 3001, Nr. 22956.
Dokumente der Arolsen Archives, International Center on Nazi Persecution: Bestand 1.1.34 (Strafgefangenenlager Papenburg), Bestand 1.2.2 (Gefängnisse).
Landeshauptarchiv Koblenz (LHA Ko): Best. 605,4, Nr. 962 und 963.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland in Duisburg (LAV NRW R): Ger. Rep. 321, Nr. 1026 und 1027.
Haus der Bayrischen Geschichte, Wortprotoll des Zeitzeugen-Interviews mit Norbert Widok, geführt am 23. Juli 2004 in Flossenbürg.
Widok, Norbert: Überleben, Übersetzung: Jens Köber, Ewelina Filip, Museum Groß-Rosen, Wałbrzych 2007.
Moos, Oliver: Bassenheim im Nationalsozialismus 1933 bis 1942, Facharbeit in Geschichte, 1991.
Schmitt-Kölzer, Wolfgang: Bau der Reichsautobahn in der Eifel (1939–1941/42) – Eine Regionalstudie zur Zwangsarbeit, Berlin 2016.
Rhein-Zeitung: 01.09.2018: Steinmonument soll kein Rätsel mehr sein. Warum der Bassenheimer Heimatverein in der Nähe der „Eisernen Hand“ eine Gedenktafel anbrachte.