Polnische Zwangsarbeiter an der „Reichsautobahn“ im Rheinland. Der Leidensweg des Norbert Widok
Norbert Widoks Weg nach Bassenheim
Norbert Widok kam am 18. April 1921 in Roztworowo, etwa 30 Kilometer von Poznań entfernt, zur Welt und hatte vier Geschwister. Sein Vater war zunächst Gutsverwalter des Grafen Suski und kaufte 1923 eine „Landwirtschaft“ im Kreis Gniezno.
Ende August 1939 wurden Norbert Widok und sein Bruder Alfons in die sogenannte Bürgerwehr des Pfarrers Mateusz Zablocki einberufen. Diese war an Verteidigungskämpfen der Stadt Gniezno beteiligt. Eine deutsche Patrouille nahm die Brüder am 16. September bei Klecko fest und brachte sie ins Gefängnis. Dort wurden sie Verhören unterzogen und gefoltert. Norbert Widok kam Ende September frei, weil er minderjährig war und keine Beweise vorlagen. Er kehrte zu seiner Mutter zurück und erfuhr, dass sein Vater am 9. September 1939 von den Deutschen erschossen worden war und die Soldaten seine Mutter schwer verletzt hatten. Am 10. November 1939 wurde Norbert Widok erneut verhaftet und wegen „schwerem Landfriedensbruch“ angeklagt. Er musste mehrere Monate in den Gefängnissen von Gniezno, Poznań und Wronki verbringen.
Am 29. Juli 1940 verschleppten die Deutschen den 19-Jährigen ohne Urteil zusammen mit Hunderten weiteren Gefangenen in einem Güterzug ins Konzentrationslager Papenburg im Emsland, wo er im Lager V (Neusustrum) die Häftlingsnummer 1194 erhielt. Norbert Widok musste Zwangsarbeit leisten. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er von Grabenbefestigungen mit Reisig-Geflecht. Bei dieser Arbeit mussten die Häftlinge im Wasser stehen. Als „mörderisch“ empfand Norbert Widok das „Planieren“. Jeder bei dieser Arbeit eingesetzte Häftling musste am Tag ca. 12 Kubikmeter Moorboden abtragen und umschichten.
Am 26. Oktober 1940 brachten zwei Polizisten Norbert Widok in Handschellen in einem Personenzug nach Polen zurück ins Gefängnis von Poznań. Wenige Tage später fand das im Jahre 1939 begonnene Verfahren des „Sondergerichts II – Posen in Gnesen“ – seinen Abschluss. Im Urteil, das die Arolsen Archives im Internet veröffentlicht haben, wurden acht Pol:innen von den Deutschen zum Tode, verurteilt, elf erhielten Zuchthaus- und Gefängnisstrafen. Drei Häftlinge, darunter Norbert Widok, wurden freigesprochen. Die Deutschen ließen ihn jedoch nicht gehen, sondern verschleppten ihn Anfang 1941 mit vielen anderen erneut zur Zwangsarbeit nach Deutschland ins Arbeitslager „Eiserne Hand“ der „Reichsautobahn.“ Seine dortige Zeit beschreibt er in seinen Lebenserinnerungen:
„Wir fuhren in Güterwaggons, in denen vorher Vieh verfrachtet wurde, was man noch an vielen Stellen sehen konnte. [...] Der Zug hielt […] hinter einer großen Stadt, Köln, wie ich später erfuhr. Wir stiegen an einer kleinen Haltestelle mit Rampe aus. Der Entladungsprozess unterschied sich nicht von dem in Papenburg. [...] Nach Bildung der Kolonnen trieb man uns in die Richtung der kleinen Ortschaft Bassenheim. Dabei begleiteten uns die mir gut bekannten SS-Männer mit ihren Hunden, aber auch Schläge, Schreie und Schüsse […] Das Lager war mit doppeltem Stacheldraht umzäunt, und ich sah auch Draht auf Isolatoren und unter Hochspannung. Auf dem Gelände standen 6 bis 8 Baracken. Zirka fünf Meter vor dem Zaun lag eine Stacheldrahtrolle. Auf diese Weise war der Bereich bestimmt, dem sich niemand nähern durfte. […] Ich kam in Block 3. Meine Stube war Nr. 4 und ich hatte 30-40 Stubenkameraden. […] Mit dem Anstieg der Häftlingszahlen musste man sich eines (der Betten) zu zweit teilen. Es gab keine Waschbecken oder sonstige sanitäre Anlagen. Diese waren außerhalb der Blocks. So fand die Morgentoilette im Freien statt. Dort standen große Bottiche mit Wasserhähnen und kalten Wasser. Wir wuschen uns dort bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit. Die Toiletten waren daneben. Sie bestanden aus Stangen und tief ausgehobenen Gruben. […] Das Frühstück wurde in jede Stube gebracht. Jeder bekam zirka 200 Gramm Brot und alle zwei bis drei Tage Margarine oder Pferdewurst und manchmal Leberwurst. Dazu gab es Suppe oder schwarzen Kaffee. Der Kaffee war zwar nicht schmackhaft, doch wenigstens warm. [...] Wenn das Kommando weit weg vom Lager im Einsatz war, wurde das Essen dorthin gebracht. Es war völlig unzureichend für unsere körperlichen Anstrengungen – kaum ein Liter Suppe. Und nur wenn man Glück hatte, bekam man etwas dickere Suppe mit drei, vier Kartoffeln. Manchmal war auch ein Stückchen Fleisch dabei [...] Am meisten jedoch gab es Wasser mit Kohlrüben [...]. Ich arbeitete beim Autobahnbau. Eine Arbeitskolonne bestand aus 30 bis 40 Häftlingen und einem Wachmann. Wo diese Zahl überschritten wurde, war ein zweiter Wachmann. [...] Wir mussten, je nach Arbeitsstelle, zwischen zwei und drei Kilometern zurücklegen. [...] Die Erde schütteten wir auf Loren, kleine Waggons, mit denen der Inhalt ins Tal gefahren wurde, um dort Vertiefungen oder Sumpfgebiete aufzuschütten. Diese in einem mörderischen Tempo verrichtete Arbeit dauerte zehn bis zwölf Stunden täglich und sonntags bis Mittag. […]. Unser Kapo, ein Sadist, kein Mensch. […] Wenn eine beladene Lore nicht richtig auf den Schienen stand, sodass sie entgleiste, mussten wir sie zurück hieven. Dann brüllte der Kapo, fluchte und prügelte uns heftiger als jeder andere Wachmann. [...] ein SS Mann namens Kotecki [...] fand immer einen Vorwand, um seinen Hass an uns auszulassen.“