Polenbegeisterung 1830
Das Interesse und die Sympathie für das so vielfach „geschundene“ Polen nach den Teilungen von 1772ff hat in Deutschland eine längere Tradition. Sie ist insbesondere mit dem „Polenfreund“ Karl von Holtei aus Breslau verbunden. Mit seinem Singspiel „Der alte Feldherr“ von 1825 und seinem berühmten Zitat „Denkst Du daran mein tapfrer Lagienka…“ knüpfte er nicht nur an die revolutionäre Tradition Frankreichs in der Person Napoleons an, sondern assoziierte sie übertragend mit dem Schicksal des polnischen Freiheitskämpfers Tadeusz Kościuszko. Tragik und Freiheitswille vereinigten sich hier mit dem polnischen Schicksal nach den drei Teilungen und vor allem nach dem Novemberaufstand von 1830.
Der Aufstand des unterdrückten Polen wurde in Deutschland früh als Teil einer europäischen Freiheitsbewegung erkannt. Polen signalisierte einen Freiheitswillen gegen jegliche Unterdrückung, die im Deutschland des Vormärzes als Teil der eigenen Freiheitssehnsucht empfunden wurde, und die Polen stellvertretend in ihrem Aufbegehren für Deutschland vorlebte. Ein populärer Bilderbogen des Nürnberger Verlegers Johann Andreas Endter reihte die Warschauer Ereignisse in die europäischen Aufstände ein, die von der Julirevolution in Paris ausgehend gleich einem Flächenbrand über Brüssel schließlich das von Russland besetzte Warschau erreichte. Die Öffentlichkeit in Deutschland nahm von Anfang an daran Anteil. Auch wenn sich besonders die populären Bilderverlage im Gebiet Preußens – so die Bilderbogen aus dem brandenburgischen Neuruppin - mit Kommentaren zurückhielten und nur die kriegerischen Ereignisse dokumentierten, zeigten doch schon bald Sympathieadressen aus allen Teilen der deutschen Staaten, welche Aufmerksamkeit Polen fand.
In anonymen Flugblättern verbreitet, musste man doch in den Nachwirkungen der Karlsbader Beschlüsse allerorten die Zensur befürchten, riefen sie zur Solidarität auf. So forderte ein anonymer „Schlesischer Landwehrmann“ „Schlesische und Preußische Kameraden“ auf, nicht gegen die polnischen Patrioten einer „civilisirten Nation“ zu kämpfen. Insbesondere der heldenhafte Kampf Polens gegen das zarische Weltreich Russlands wurde vielfach dem Kampf Davids gegen Goliath gleichgesetzt. Der Mut, gegen eine europäische Weltmacht anzurennen verstärkte sich noch durch die ungleichen Waffen ihrer Heere. Hier symbolisierten die zu Stichwaffen umgeschmiedeten bäuerlichen Sensen der Polen den ungleichen Kampf wie den Freiheitswillen des „gemeinen Mannes“ im Sinne eines Volksaufstandes; legendär war es im Aufstand von Tadeusz Kościuszko vierzig Jahre vorher schon einmal in Deutschland als Bild der tapferen Polen vorbereitet.
Die rasche Verbreitung der Nachricht vom Fall Warschaus am 8. September 1831 durch den Einzug der russischen Truppen in der Stadt mit allen damit verbundenen Leiden ihrer Bewohner, sollte das Mitleiden in Deutschland verstärken. Die Zeitschrift „Der deutsche Horizont“ aus München titelte am 15. September: „Am 8ten September sind die Russen in Warschau eingezogen! Am 8ten September sind in Berlin 17 Menschen an der Cholera gestorben! Der Despotismus hat gesiegt; die Freiheit hat geendet! Wehe! Wehe! Wehe!“. In der heute als „Grande Émigration ( poln. Wielka Emigracja) bezeichneten Flucht polnischer Eliten, Soldaten, Offiziere, Literaten und Künstler auf ihrem Weg ins westliche Europa, insbesondere nach Frankreich, die Schweiz, Italien und Großbritannien, wurde ihr Schicksal in den deutschen Staaten, Städten und Gemeinden augenfällig Zu ihrer Unterstützung bildeten sich Hilfsvereinigungen, die die Durchziehenden mit Wohlfahrtsveranstaltungen empfingen, sie verköstigten und mit entsprechender Wegzehrung versorgt auf ihrem Weg Richtung Westen begleiteten.