Paulina Lemke – Nestorin der Polonia in der Nachkriegszeit
Paulina Lemke wurde 1924 im Dorf Polanówka bei Lublin geboren. Ihr Vater, Tomasz Kukiełka, ein ehemaliger Angehöriger der Armee von General Józef Haller, der mit dem „Virtuti Militari“-Orden[3] dekoriert worden war, betrieb eine Landwirtschaft und beschäftigte sich nebenbei auch mit Musik. Als Kind vaterlandstreu erzogen zeigte seine Tochter schon früh ihr Talent zu malen, was ihr später half, den Krieg zu überstehen. Nachdem sie die Grundschule als Klassenbeste abgeschlossen hatte, besuchte sie das Gymnasium in Tomaszów Lubelski, wo sie sich dem Polnischen Pfadfinderverband (Związek Harcerstwa Polskiego) verschrieb. Diese unbeschwerte Zeit wurde durch den Zweiten Weltkrieg beendet. Als er ausbrach, war Paulina 15 Jahre alt, wobei sie die ersten Kriegsjahre in ihrem Elternhaus verlebte. Da man wusste, wie gut sie zeichnen konnte, wollten damals viele Menschen von ihr gezeichnete Porträts. Dies sprach sich auch zu den Deutschen herum, die daraufhin massenhaft Bildnisse ihrer Nächsten bei ihr in Auftrag gaben, die Paulina Lemke auf Grundlage von vorgelegten Fotografien erstellte. In der Besatzungszeit entstanden so 680 Konterfeis. Diese Betätigung half ihr, ihr Leben zu retten und zugleich wertvolle Informationen für den polnischen Widerstand zu erlangen: Bezahlt wurde ihr das künstlerische Schaffen nicht, dafür aber konnte sie Kontakte knüpfen, dank derer es gelang, verhaftete Soldaten der Untergrundarmee zu befreien. In diesem Sinne hat es Paulina Lemke auch auf wundersame Weise verstanden, ihren Bruder aus dem Konzentrationslager Majdanek auszulösen.
Paulina Lemke besitzt heute nur noch ein einziges Werk aus dieser Zeit. Dabei handelt es sich um das Porträt der jungen Irene Lampe-Hartman aus Magdeburg, das sie 1941 auf Wunsch ihres Verlobten angefertigt hat. Beide Frauen überlebten den Krieg und kamen 1977 zusammen. Bei dieser Begegnung vermachte Irene Lampe-Hartman Paulina Lemke das Bild.
Die Deutschen hatten seinerzeit jedoch spezielle Pläne für die Gegend, in der sie lebte. Aufgrund der sehr fruchtbaren Böden im Raum Zamość beschloss die nationalsozialistische Regierung im Rahmen des „Generalplans Ost“, 60.000 Reichsangehörige dort anzusiedeln und die polnische Bevölkerung zu vertreiben oder sie zugunsten der neuen Siedler zu unterjochen. Zum ersten Mal sollte Paulina im November 1940 deportiert werden. Sie entging der Verhaftung und der Vertreibung nur, weil der Gendarmenführer sie noch aus der Vorkriegszeit bei den polnischen Pfadfindern kannte. Er arrangierte die Situation so, dass Paulina Lemke sich entziehen konnte. Unterschlupf fand sie im Spital in Tomaszów Mazowiecki, in dem sie als Krankenschwester wirkte. Dieses Krankenhaus unterstützte die polnische Widerstandsbewegung. Es versorgte verletzte Partisanen und war für die lokale Bevölkerung da – beides natürlich inoffiziell. Dank ihres Muts und ihrer deutschen Sprachkenntnisse schleuste Paulina Lemke Kranke und Verwundete an den deutschen Posten vorbei, nahm an Transporten teil und riskierte dabei ihr Leben. In ihrer knappen Freizeit, die ihr einmal im Monat gewährt wurde, malte sie für die Ordensschwestern. Darin war sie so gut, dass die Krankenhausleitung sie schließlich bis zum Ende des Kriegs von er Arbeit freistellte, damit sie lernen und ihre künstlerischen Fähigkeiten weiterentwickeln konnte. In dieser Zeit absolvierte sie das Untergrund-Gymnasium und nahm nach dem Ende des Kriegs eine Ausbildung an der pädagogischen Schule in Lublin auf.
[1] Polonia ist ein Sammelwort für Polen und aus Polen stammende Menschen, die auf der ganzen Welt in der Diaspora leben.
[2] Der Bund der Polen in Deutschland „Zgoda“ (Eintracht) ging 1950 aus der Spaltung des Bundes der Polen in Deutschland „Rodło“ hervor.
[3] Höchster polnischer Militärverdienstorden.