Matthias Nawrat
2009 zog Matthias Nawrat in die Schweiz und begann dort ein Studium am Literaturinstitut in Biel. Seinen ersten Roman veröffentlicht er 2012 beim Schweizer Verlag „Nagel & Kimche“ unter dem Titel „Wir zwei allein“. Es handelt von dem kauzigen Studienabbrecher Benz, der in Freiburg Gemüse ausfährt und sich in die feenhafte Theres verliebt. Ein Rezensent der Neuen Züricher Zeitung bescheinigt Nawrat daraufhin alle nötigen Qualitäten eines guten Schriftstellers mitzubringen und lobt seine Figurenzeichnung, die Dialoge und den geschickten Umgang mit verschiedenen Erzählebenen. In einer Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird das Buch vor allem als „Liebeserklärung an den Schwarzwald“ in der Tradition romantischer Naturschwärmerei gelesen.
Noch im gleichen Jahr nimmt Matthias Nawrat auf Einladung von Hildegard Keller an den 36. Tagen der deutschsprachigen Literatur teil und gewinnt mit einem Auszug aus seinem folgenden Projekt den Kelag-Preis. Die gesamte Novelle erscheint 2014 mit dem Titel „Unternehmer“ bei Rowohlt. Sie handelt von der 13-jährigen Lipa, die mit Vater und Bruder in den Trümmern der Zivilisation nach verwertbaren Stoffen sucht. Der Rezensent der Süddeutschen Zeitung spricht von einem herausragenden Heimat- und Coming-of-Age-Roman, die Rezensentin der FAZ lobt die vor allem die Suggestivkraft der Sprache. Dabei fällt auf, dass Nawrat seinen Stil von Buch zu Buch verändert. So schlägt er mit seinem 2015 veröffentlichten Schelmenroman „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ einen ganz anderen Tonfall an, als im poetisch-dystopischen Vorgänger. Und auch „Der traurige Gast“ (Rowohlt 2019) und „Reise nach Main“ (Rowohlt 2021) zeigen jeweils neue Facetten des ungewöhnlich produktiven Schriftstellers.
Nawrat sagt dazu: „Früher habe ich gerne mit der Sprache gespielt. Ich dachte, dass sich das Poetische im Spiel mit der sprachlichen Form findet. Heute finde ich die Poesie eher in der wirklichen Welt und nicht mehr in besonders auffällig sprachlich-versch(r)obenen Parallelwelten.“ Für die Zukunft plant Nawrat, eine distanziertere Erzählhaltung einzunehmen: weniger persönlich, mehr wissenschaftlich-objektiv. Gerade hat er einen Gedichtband mit dem Arbeitstitel „Gebete für meine Vorfahren“ beendet und schreibt an einem literarischen Tagebuch sowie regelmäßig Essays. Ob er bald wieder einen Roman in Angriff nehmen wird, weiß Nawrat nicht. „Ein Stoff müsste mich davon überzeugen, dass er nur in dieser blöden Romanform erzählt werden kann. Dann würde ich mich darauf noch mal einlassen, aber nur widerwillig.“
Die Themen des Autors sind neben Außenseitergeschichten, das Verhältnis des Menschen zu den „letzten Dingen“ in der Religion und die Auswirkungen deutscher und russischer Kolonialbestrebungen in Ost- und Südeuropa. Ein Zeitgeist-Autor ist Nawrat damit nicht. „Man muss als Schriftsteller sein eigenes Land finden“, sagt er. „Darin herrschen eigene Gesetze. Wer sich zu sehr an aktuellen Debatten entlanghangelt, ist für mich uninteressant.“