Massaker im Arnsberger Wald: NS-Verbrechen an russischen und polnischen Zwangsarbeiter:innen 1945
Kurz nach der Besetzung Warsteins durch die US-Truppen, Ende April 1945, wurden zwei dieser drei grausamen Massaker nach einem Hinweis der Bürgerwehr bekannt, das dritte, Eversberger Massaker wurde erst Ende 1946 offenbart. Im Langenbachtal und in Suttrop ließen die US-Soldaten die Ermordeten von den ehemaligen NSDAP-Parteimitgliedern exhumieren und zwangen die Bewohner der umliegenden Orte zum Vorbeimarsch an den Leichnamen. Ob diese Schockform der „Reeducation“, die von den Alliierten zur Entnazifizierung durch Konfrontation mit den NS-Verbrechen kurz nach Ende des Krieges praktiziert wurde, wirklich ein Umdenken auslöste oder eher eine Abwehrreaktion hervorrief, ist umstritten: Die Reaktionen der örtlichen Bevölkerung auf diese Massaker fiel im gesellschaftlich-politischen Klima der Adenauer-Zeit aber überwiegend abwehrend aus und war geprägt von Verleugnung, Stilisierung der eigenen Opferrolle, von „Schlussstrichmentalität“ und dem Verweis darauf, dass diese Ereignisse nichts mit der Bevölkerung selbst zu tun gehabt haben. Diese Haltung zeigte sich auch an dem breiten Protest gegen das 1947 aufgestellte „Sühnekreuz“, das nach Bekanntwerden des dritten Massengrabs in Meschede errichtet worden war. Nach kurzer Zeit und aufgeheizten Debatten um Schuld und Verantwortung wurde es aufgrund mehrfacher Beschädigung vergraben und erst 1981 wieder öffentlich in der Maria-Himmelfahrt-Kirche in Meschede ausgestellt.
Sowohl die Bemühungen der „Reeducation“ als auch die Auseinandersetzungen und Proteste gegen das „Sühnekreuz“ waren regional begrenzte Ereignisse. Der Prozess gegen die Täter dagegen, der 1957 begann, wurde nicht nur regional, sondern deutschlandweit aufmerksam von den Medien verfolgt: Der Hauptverantwortliche Hans Kammler war nicht mehr greifbar, da er bei Kriegsende Suizid begangen haben soll. Das Urteil an den nur sechs übrigen Angeklagten fiel in erster Instanz skandalös niedrig aus und offenbarte das damals noch vorherrschende eklatante Missverhältnis von Tat und Strafe. Erst in einem Revisionsverfahren wurden die Urteile durch das Schwurgericht Hagen deutlich angehoben.
Im Jahr 1964 bettete man die ermordeten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Suttrop und Warstein auf den Waldfriedhof „Fulmecke“ in Meschede um – bis auf sieben Leichen, die man in Suttrop nicht mehr finden konnte. Hierbei konnten, wie schon 1947, einige Leichen anhand ihrer Papiere identifiziert werden, dennoch setzte man diese – ungeachtet gesetzlicher Regelungen – am neuen Grabort anonym bei. Irreführende Inschriften auf den Erinnerungssteinen verschleierten zudem den Bezug zur Mordtat. Und damit rückten die Opfer des Massakers im Arnsberger Wald allmählich in Vergessenheit.
Jetzt, über 70 Jahren nach den schrecklichen Taten, lebt das Gedenken an die Opfer und die Auseinandersetzungen mit den NS-Verbrechen wieder auf: Nach mehrjähriger historischer Forschung durch Dr. Marcus Weidner fanden in 2018 und 2019 an gezielten Standorten im Arnsberger Wald archäologische Ausgrabungen durch die LWL-Archäologie für Westfalen in Zusammenarbeit mit dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe statt, die zur Rekonstruktion der genauen Tatumstände beitragen sollten und die Verbrechen des Nationalsozialismus im Arnsberger Wald weiter aufhellen. Die jüngsten Funde – u. a. Projektile und Munition, aber auch Alltagsgegenstände wie ein Gebetsbuch und ein Wörterbuch auf Polnisch, Schuhe und Teile der Kleidung, bunte Knöpfe und Perlen, Geschirr und Besteck – zeugen dabei nicht nur von den letzten Stunden im Leben der Ermordeten, sondern geben auch Aufschlüsse über den Ablauf der grausamen Taten. Bisher sind nur wenige Namen der Mordopfer von März 1945 bekannt. Im Rahmen der noch nicht abgeschlossenen Forschungen im In- und Ausland ist es gelungen, bislang 14 Namen ausfindig zu machen und den anonym bestatteten Opfern eine Identität zu geben. Diese Arbeit eröffne die Chance, Kontakt zu ihren Nachfahren aufzunehmen und die Erinnerung an die lange „vergessenen Opfergruppe“ der ausländischen Zwangsarbeiter wachzuhalten.
Marcus Weidner/Katarzyna Salski, Juni 2019
Literatur:
Marcus Weidner: Kriegsendphaseverbrechen an Zwangsarbeitern im Sauerland 1945, in: 200 Jahre Westfalen. Jetzt!, Münster 2015, S. 342-347.
Matthias Frese, Marcus Weidner: Verhandelte Erinnerungen. Der Umgang mit Ehrungen, Denkmälern und Gedenkorten nach 1945, Paderborn 2017.
Film zum Vorbeimarsch der Deutschen an den aufgereihten Leichen sowie weitere Fotos und Dokumente im Internet-Portal „Westfälische Geschichte“, https://www.westfaelische-geschichte.de/web1048
Presseartikel:
Naziverbrechen: Das Massaker im Arnsberger Wald. Erschienen am Mittwoch, 20.03.2019 in SPIEGEL ONLINE: https://www.spiegel.de/einestages/massaker-im-arnsberger-wald-nazi-verbrechen-im-sauerland-a-1258548.html