Massaker im Arnsberger Wald: NS-Verbrechen an russischen und polnischen Zwangsarbeiter:innen 1945

Der Erschießungsplatz im Langenbachtal bei Warstein.
Der Erschießungsplatz im Langenbachtal bei Warstein.

Frühjahr 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit der Einnahme der Ludendorff-Brücke bei Remagen und der Rheinüberquerung im Raum Wesel begannen die alliierten Truppen damit, das kriegswichtige Ruhrgebiet zangenförmig einzunehmen. Angesichts der vorausgegangenen massiven alliierten Luftangriffe und der prekären Versorgungslage hatten sich in dieser Endphase des Krieges die eh schon unzureichenden Lebensbedingungen der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Ruhrgebiet abermals dramatisch verschlechtert. Zu Tausenden versuchten sie sich daher aus den umkämpften Gebieten zu Fuß nach Osten durchzuschlagen. Obwohl geordnete Evakuierungen und Rückführungen verfügt wurden, stellte sich die Situation aber zunehmend chaotisch dar: Insbesondere im nördlichen Sauerland stauten sich die Trecks, sodass Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden mussten. Allein in der Sauerlandhalle in Warstein hielten sich im März 1945 täglich 800 bis 1.000 ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf. Unzureichende Bewachung und schlechte Versorgung führten dazu, dass größere und kleine Gruppen von Zwangsarbeitern sich von den Marschkolonnen abspalteten, um ihr Überleben und Fortkommen selbstständig zu organisieren, und sich „unkontrolliert“ abseits der Rückführungsstraßen durch die umliegenden Wälder schlugen.

Obwohl es im Raum Warstein zu keinen gravierenden Vorfällen wie Raub oder Gewalttaten gekommen war, veranlassten die sichtbar ungeordneten Gegebenheiten den zuständigen Kommandeur der aus Wehrmacht und Waffen-SS gebildeten „Division zur Vergeltung“, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler, zur Erteilung des Tötungsbefehls, da er laut späterer Zeugenaussagen in der hohen Zahl an zurückflutenden Zwangsarbeitern eine Gefahr für die militärische Verteidigung sowie für die Versorgung und Sicherheit der deutschen Zivilbevölkerung sah. Am 20. März 1945 gab Kammler daher „unter strengster Geheimhaltung“ den Befehl, „die Zahl der Fremdarbeiter kräftig zu dezimieren“ und zwar „ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht“. Innerhalb der nächsten drei Tage, bis zum 23. März 1945, sollten dieser Willkürpraxis insgesamt 208 russische und polnische Zwangsarbeiter – Männer, Frauen und auch Kinder – zum Opfer fallen.

Die Umsetzung des Tötungsbefehls übernahmen die SS- und Wehrmachts-Offiziere des Divisionsstabs in Eigenregie. Unter dem Vorwand Arbeitskräfte zu benötigen, holte so das Exekutionskommando unter dem beauftragten Befehlshaber SS-Oberfeldrichter Wolfgang Wetzling schubweise 71 Personen – 14 Männer, 56 Frauen und ein Kleinkind – aus der Warsteiner Schützenhalle, um diese noch in der Nacht im Langenbachtal zu erschießen und sie an Ort und Stelle zu verscharren. Am Morgen des nächsten Tages wurden unter dem Kommando von Wehrmachts-Oberleutnant Helmut Gaedt 80 Personen abgeholt und in Gruppen von 15-20 Personen zu einer vorbereiteten Exekutionsstelle bei Eversberg verbracht und erschossen. Zu einem weiteren, dritten Exzess kam es bei Suttrop, wo in der Waldgemarkung „Im Stein“ 35 Männer und 21 Frauen, die in der Suttroper Schule, d.h. in unmittelbarer Nähe des Divisionsstabs, untergebracht waren, durch einen Genickschuss ermordet wurden. Einen Säugling, der in der ausgehobenen Grube noch lebte, traute sich die Mannschaft nicht zu erschießen. SS-Rottenführer Anton Boos zerschmetterte daraufhin dem Kind vermutlich an einem Baum den Schädel. Der genaue Zeitpunkt der Erschießungsaktionen wie auch der Befehlshaber dieses dritten Erschießungskommandos sind noch unklar. Bis heute ist auch noch ungeklärt, ob ein Kommando der Division ebenfalls dafür verantwortlich zeichnet, in der Nacht des 22./23. März die mit rund 1.000 Menschen gefüllte Sauerlandhalle in Brand gesteckt zu haben, um damit ein Fanal der Vernichtung anzurichten. Die eingeschlossenen osteuropäischen Zwangsarbeiter wurden glücklicherweise von französischen Kriegsgefangenen aus der brennenden Halle befreit.

 

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  • LWL-Film: NS-Verbrechen an Zwangsarbeitern im Sauerland 1945

    LWL-Film: NS-Verbrechen an Zwangsarbeitern im Sauerland 1945
  • Vorbeimarsch der deutschen Ortsbevölkerung an den ermordeten Zwangsarbeitern, 1945

    Vorbeimarsch der deutschen Ortsbevölkerung an den ermordeten Zwangsarbeitern, 1945
  • Beerdigung einer ermordeten Zwangsarbeiterin durch deutsche Zivilisten in Suttrop, 1945

    Beerdigung einer ermordeten Zwangsarbeiterin durch deutsche Zivilisten in Suttrop, 1945
  • Dr. Marcus Weidner, Historiker im LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte

    Dr. Marcus Weidner, Historiker im LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte an der Grabungsstelle in Suttrop
  • Münze und Kreuz mit einer Fundnummer und den Standortkoordinaten

    Auch die Münze und das Kreuz wurden mit einer Fundnummer und den Standortkoordinaten versehen.
  • Restaurierung eines Schuhpaars

    Restaurierung eines Schuhpaars. Fundstelle Warstein.
  • Verschiedene Projektile

    Verschiedene Projektile. Fundstelle Meschede.
  • Metallflaschen

    Metallflaschen. Fundstelle Meschede.
  • Becher und Tassen

    Becher und Tassen. Fundstelle Warstein.
  • Besteck

    Besteck. Fundstelle Warstein.
  • Perlen, Knöpfe, Garnröllchen-Fragment

    Perlen, Knöpfe, Garnröllchen-Fragment. Fundstelle Warstein.
  • Kamm

    Kamm. Fundstelle Meschede.
  • LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner rekonstruierte mithilfe der gefundenen Objekte und seinen Unterlagen den Tathergang

    LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner, hier an einem der Erschießungsplätze bei Warstein-Suttrop, rekonstruierte mithilfe der gefundenen Objekte und seinen Unterlagen den Tathergang.
  • Mescheder Friedhof ‚Fulmecke‘

    LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner auf dem Mescheder Friedhof ‚Fulmecke‘