Mariusz Hoffmann – Vom schlesischen Dorf über Werne nach Berlin

Mariusz Hoffmann, Foto: Lionel Kreglinger, 2022
Mariusz Hoffmann

Mariusz Hoffmann kam 1986 im Krankenhaus von Strzelce Opolskie (Groß Strehlitz) zur Welt. Seine Familie lebte im nahegelegenen Dorf Zalesie (Salesche). Dort wohnten die Hoffmanns in einer Siedlung, die aus ganzen vier Plattenbauten bestand. Drumherum Felder, Wiesen, vereinzelte Häuschen, viel Landwirtschaft. Vor Ort gab es im Großen und Ganzen alles, was man brauchte: eine Schule, einen Kindergarten, einen damals noch aktiven Bahnhof, einen Friedhof, natürlich eine Kapelle, die Freiwillige Feuerwehr und gegenüber die Dorfschänke. Hoffmanns Kindheit in Polen beschränkte sich auf diese kleine Welt. Damals kam sie ihm nach eigener Aussage noch ziemlich groß und aufregend vor. Eine Tendenz zum Weggehen attestiert er sich im Rückblick allerdings schon als Dreikäsehoch. Eine seiner frühesten Erinnerungen erzählt das Einzelkind so: „Ich war keine vier Jahre alt, mein Freund Mirek gerade mal fünf, und wir versuchten, zu Fuß ins nächste Dorf zu kommen, in dem Mireks Mutter damals lebte. Wir gingen ganz allein im Straßengraben die Landstraße entlang. Aber ein Nachbar kam auf seinem Traktor vorbeigefahren und aus der hohen Position erblickte er uns und beendete unseren Ausflug.“

Eine weitaus größere Reise trat der kleine Mariusz 1990 an. Auf Einladung der Großmutter verließ er mit seinen Eltern das kleine Dorf und reiste nach Deutschland aus. Offiziell musste es bei den polnischen Behörden umständlich als Urlaub beantragt werden. Tatsächlich aber lösten die Hoffmanns ihren Haushalt in Zalesie auf, ließen sich von einem Bekannten aus Deutschland abholen und zusammen mit ein paar Habseligkeiten nach Nordrhein-Westfalen fahren, um dort zu bleiben. In Polen hatte die Mutter als Buchhalterin im örtlichen großlandwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet, der Vater als Bergmann. In Deutschland suchten sie ein besseres Leben für sich und ihren Sohn. Mariusz Hoffmann erklärt es so: „Die 70er und 80er Jahre waren in Polen harte Zeiten. Wirtschaftlich, politisch. Als sich dann die Möglichkeit ergab, Polen zu verlassen und in Deutschland das Glück herauszufordern, ergriffen meine Eltern die Gelegenheit.“ Deutschland galt damals laut Mariusz Hoffmann vielen Menschen in Polen als gelobtes Land. Gerade in einem kleinen schlesischen Dorf, dessen Name wörtlich übersetzt „hinterm Wald“ bedeutet, verklärte man das ferne Nachbarland zu einem märchenhaften Ort, in dem alles möglich war. 

„Es gab diesen Witz“, erinnert sich Mariusz Hoffmann, „in dem ein alter Mann ein Päckchen aus Deutschland bekommt. Darin ist ein Brillengestell ohne Gläser. Er setzt es auf und sagt: Großartig. Dank des deutschen Gestells kann ich schon viel besser sehen!“

Die Erwartungen der Hoffmanns waren realistischer. Sie kannten finanzielle Engpässe und wirtschaftlich Not und waren dafür gewappnet, sich ein neues Leben aufzubauen. Auch unter schwierigen Bedingungen. Frau Hoffmann gelang es schließlich durch Umschulungen und Weiterbildungen als Bürokauffrau Fuß zu fassen. Herr Hoffmann fand eine Anstellung als Beschichtungstechniker. Die Stationen bis in ein bürgerliches Leben in Deutschland waren recht typisch: eine Nacht in Hamm, dann ins Lager Unna-Massen, danach in die Sporthalle der Barbaraschule in Werne, dann an den Stadtrand in eine Notwohnung bis die Hoffmanns nach über zwei Jahren in eine richtige Wohnung (mit eigener Toilette und Küche) ziehen konnten. Der kleine Mariusz fühlte sich anfangs in dem fremden Land gar nicht wohl. Im Kindergarten spielte er allein, weil die anderen Kinder nichts von dem verstanden, was er sagte. Zwar lernte Mariusz Hoffmann die deutsche Sprache ziemlich schnell, aber die Zeit der Isolation und Ausgrenzung war lang genug, um einen Eindruck bei ihm zu hinterlassen. Da half es ihm wenig, dass er väterlicherseits einen deutschen Nachnamen vererbt bekommen hatte und seine beiden Großmütter Deutsch sprachen, wenn auch ein recht altertümliches. Außerdem war Deutsch für die Großeltern mit Erinnerungen an den 2. Weltkrieg verbunden, man sprach nach Möglichkeit lieber Polnisch.

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  • Mariusz Hoffmann: Polnischer Abgang, Berlin/München 2023

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