Magdalena Parys

Magdalena Parys, 2020
Magdalena Parys, 2020

Und schließlich wurde auch das Leben jenseits der Bücher besser und besser. Es dauerte nicht lange, und die kleine Familie konnte eine Wohnung in Rudow beziehen. Wie so oft integrierten sich die Kinder schneller als die Erwachsenen.

Bis die Mutter nach erneutem Schulbesuch und Fabrikarbeit schließlich an einer Waldorfschule angestellt wurde, verging einiges an Zeit. Magdalena Parys besuchte da längst die Gustav-Heinemann-Schule in Marienfelde, an die sie sich bis heute gerne erinnert. „Das war eine tolle Atmosphäre“, sagt sie. „Es gab großartige Lehrer, die meinen Lernwillen noch beflügelt haben. Und einige der Schüler stammten wie ich aus Polen.“

Parys fand schnell Freundinnen. Den einstündigen Schulweg nahm sie gerne in Kauf. Ärgerlich war nur, dass das aus Polen nachgeschickte Zeugnis deutlich schlechtere Zensuren zeigte, als sie tatsächlich gehabt hatte. Eine der typischen Schikanen, mit denen auch die Kinder von „Verrätern“ traktiert wurden. Dem zum Trotz machte Magdalena Parys ein gutes Abitur und studierte anschließend an der Humboldt-Universität Erziehungswissenschaften, Polonistik und Archäologie. In ihrem Studium begegnete sie vielen Menschen mit einem differenzierten Polenbild. Erst später erkannte sie, dass das keineswegs für die Mehrheit der Deutschen galt. „Bis heute gibt es Vorurteile und stark vereinfachende Sichtweisen“, sagt sie. „Ich würde mir wünschen, dass man hier erkennt, wie viele Menschen in Polen weltoffen und liberal sind. Die Regierungspartei PiS steht keineswegs für alle Menschen im Land meiner Geburt.“ 

Schließlich arbeitete Parys als wissenschaftliche Hilfskraft und schreib an einer Doktorarbeit. Das aber wurde ihr zunehmend langweilig und sie verfasste eine Erzählung auf Polnisch. Aus diesem Text wurde schließlich 2011 ihr hochgelobter und vielgelesener Debütroman „Der Tunnel“. Bis es jedoch so weit war, durchlief Parys bereits etliche Stationen ihrer literarischen Karriere. Sie debütierte 2001 im Literaturmagazin „Pogranicza“ und veröffentlichte dort im Lauf der Zeit Gedichte, Erzählungen, Buchbesprechungen und Essays.

Außerdem organisierte sie zusammen mit Isabella Potrykus einen internationalen Literaturwettbewerb und war von 2006 bis 2007 Chefredakteurin der deutsch-polnischen Literaturzeitschrift „Squaws“. Mit dem Erfolg von „Der Tunnel“ begann für Parys das hauptberufliche Leben als Autorin, Feuilletonistin und Podcasterin (unter anderem für „COSMO Radio“ beim WDR). Es folgten 2014 der politisch-historische Thriller „Magik“ (auf Deutsch „Der Magier) und 2016 der Familienroman „Biała Rika“. Dessen zentrale Figur ist „Oma Rita“, die deutschstämmige Mutter des Stiefvaters von Magdalena Parys. Die Bücher wurden in etliche Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung von „Magik“ übernahm Lothar Quinkenstein, der auch Werke von Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk aus dem Polnischen ins Deutsche überträgt. „Ich bin von seiner Übersetzungskunst völlig begeistert“, sagt Magdalena Parys. „Auch wenn er mir immer ein paar schmutzige Ausdrücke streichen will.“

Fragt man Magdalena Parys nach ihrer Heimat, dann nennt sie heute Berlin, wo sie mit ihrem Mann, zwei Söhnen und einer Tochter lebt. Sie sagt: „Immer wenn ich länger woanders bin, bekomme ich Sehnsucht nach Berlin. Berlin ist für mich aber auch ein wenig eine polnische Stadt. Die Architektur ist kaum anders als in Danzig oder Stettin.“ Wenn sich Magdalena Parys nach Polen sehnt, dann denkt sie vor allem an das Meer und die Orte ihrer Kindheit. Durch ihre zahlreichen Lesereisen durch Polen hat die Autorin aber auch andere Städte schätzen gelernt, etwa Warschau oder Krakau. Dort ist sie deutlich bekannter als in Deutschland. Mit einem Schmunzeln sagt Parys dazu: „Es scheint fast so, als ob sich die Pol*innen mehr für die Abgründe der deutschen Geschichte interessieren, als Deutsche für historische Thriller, die von einer Frau geschrieben werden.“

So oder so: Parys arbeitet bereits am dritten Teil der Berliner Trilogie, die mit „Der Magier“ begann. Vom Graben in der Vergangenheit und dem Erzählen spannender Geschichten hat sie noch lange nicht genug.    

 

Anselm Neft, Januar 2021

 

Die Autorin im Netz:

https://www.facebook.com/parysmagdalena/

https://www.instagram.com/magdalena_parys_official/