Magdalena Parys
Leicht sind die Themen nicht, mit denen sich Magdalena Parys befasst. Schon als Kind schrieb sie Geschichten und bekam von der Mutter die Frage gestellt: „Warum muss das denn so düster sein?“ Bis heute treiben sie dunkle Kapitel vor allem der deutschen Geschichte um. Ihre Romane „Der Tunnel“ (2011) und „Der Magier“ (2014) beginnen mit Kriminalfällen in der Gegenwart. Die Ermittlungen aber führen zurück in die Untiefen der Geschichte und belegen die peinlich genaue Recherche der Autorin. Letztlich handelt es sich bei den beiden Büchern weder um klassische Krimis noch um Historienromane. Vielmehr erkundet Parys darin anhand geschichtlicher Ereignisse die Abgründe von Systemen, die zwar von Menschen gemacht werden, diese aber zugleich ihrerseits stark prägen. Auch wenn er in ihren bisherigen Romanen lediglich im Hintergrund eine Rolle spielt: Besonders fasziniert ist Magdalena Parys von Reinhard Gehlen, jenem 1902 in Erfurt geborenen Gründer der „Organisation Gehlen“, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst hervorging. Gefördert von der Besatzungsmacht USA leitete Gehlen diesen deutschen Geheimdienst bis 1968. Für Parys verdichten sich in der Person des ehemaligen Generalmajors der Wehrmacht, der unter Mithilfe der amerikanischen Regierung einen antikommunistischen Geheimdienst aufbaute, große Konfliktlinien und Widersprüche des 20. Jahrhunderts. Woher aber rührt das Interesse der Autorin am Kampf der Systeme, wie er im Kalten Krieg fortdauerte?
Geboren wurde Magdalena Parys 1971 in Danzig. Da sich ihre Eltern trennten, als sie noch ein Kind war, wuchs sie sowohl in Danzig-Langfuhr im Haus der Großeltern mütterlicherseits als auch in Stettin im Haus der Eltern des Stiefvaters auf. „Es ist seltsam“, sagt sie zu ihren Kindheitserinnerungen. „Während ich mich an Danzig wie an einen wunderschönen Farbfilm erinnere, ist Stettin für mich im Rückblick schwarz-weiß und trist.“ Magdalena Parys war neun Jahre alt, als von Danzig aus lokale Streiks auf das ganze Land übergriffen. Auslöser war die Erhöhung des Fleischpreises. In den Streiks entlud sich jedoch eine viel tiefergehende Frustration gegenüber dem von vielen als repressiv empfundenen System. Aus ihnen ging die Gewerkschaft Solidarność („Solidarität“) hervor, die sich unter der Führung von Lech Wałęsa zur zentralen reformerischen und revolutionären Bewegung Polens entwickelte. Gerade der Mutter, die zunächst in Stettin Theaterwissenschaften studierte und sich dann zur Grundschullehrerin ausbilden ließ, galt Freiheit als das höchste Gut – und das polnische System als unfrei. Sie stand entschlossen hinter Solidarność. Magdalena Parys hinterfragte als Kind diese Haltungen nicht. Noch nach der Flucht nach West-Berlin dachte sie, alle Menschen in Polen dächten so, wie ihre Mutter. Weil das aber keineswegs so war, beschlossen die Mutter und ihr neuer Lebensgefährte „rüberzumachen“, während Magdalenas Vater als Lehrer in Stettin blieb und sich dort zunehmend für den Umweltschutz engagierte. Der Stiefvater hatte eine deutsche Mutter, die noch während des Krieges im elterlichen Unternehmen einen charmanten polnischen Zwangsarbeiter kennengelernt und später geheiratet hatte. Sie ging mit ihm nach Stettin, das damals noch zu Deutschland gehörte, dann aber nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen fiel.
Laut Magdalena Parys wurde „Oma Rita“ so in den Augen deutscher Behörden automatisch zur Verräterin, der man die Staatsangehörigkeit aberkannte. Schließlich gelang es ihrem Stiefvater dennoch eine Einladung von deutschen Bekannten nach West-Berlin zu erhalten. Die polnischen Behörden stellten ihm und Magdalenas Mutter die Papiere für den Besuch aus.
Anders sah das für Magdalena Parys und ihren zehn Jahre jüngeren Halbbruder Michael aus. Sie blieb in Stettin bei den Großeltern und musste wiederholt demütigende Gänge zu den Behörden unternehmen. Dort saßen ihr zufolge nicht gemütliche Beamte sondern Soldaten, die es richtig fanden, ein Kind zu schikanieren, um Druck auf dessen Mutter auszuüben. Ihre Mutter organisierte unterdessen eine Fluchtmöglichkeit für Magdalena und den erst dreijährigen Bruder. Durch Kontakte konnte sie einen Oppositionellen dafür gewinnen, bei einem seiner Grenzübertritte Magdalena und Michael nach West-Berlin zu bringen. Mitnehmen durften sie dabei fast nichts, um nicht das Misstrauen der Grenzbeamten zu erregen. Magdalena Parys erinnert diesen Trip als Alptraum: „Es war kurz vor Heiligabend, die Grenze wirkte ausgestorben, aber Soldaten und Hunde machten mir große Angst. Mein kleiner Bruder war ganz starr vor Furcht.“ Sie erinnert sich daran, wie die Grenzbeamten das Auto ihres „Reiseleiters“ auseinandernahmen, und wie unheimlich die Schäferhunde auf sie wirkten. Sie musste dabei an furchteinflößende Geschichten über die Nazis denken, von denen man sich in Polen viele zu erzählen hatte. Aber alles ging gut und Magdalena Parys kam nach West-Berlin. Die Begeisterung von Mutter und Stiefvater konnte sie jedoch nicht nachvollziehen. Sie vermisste ihre Freunde, ihre Großeltern, ihre vertraute Umgebung. Nun wohnten sie in beengten Verhältnissen in einem Flüchtlingsheim am Tempelhofer Ufer. Der Kühlschrank stand auf dem Flur, Küche und Bad mussten sie sich mit anderen teilen. Von der vielgepriesenen Freiheit merkte Magdalena Parys nicht viel. Im Gegenteil: West-Berlin erschien ihr wie ein großes Freiluftgefängnis, das früher oder später an der Mauer endete. Gerade in ihrer ersten, niederschmetternden Zeit in West-Berlin empfand Magdalena Parys das Lesen und Schreiben von Geschichten als befreiend. Die Weite, die sie im Alltag vermisste, fand sie in der Literatur.