Maciej Rusinek: Auch das Unbewegliche tanzt

Maciej Rusinek
Maciej Rusinek

„Das Wasser, das jäh das Feuer flutet, führt zu einer unerwarteten bildlichen Explosion. Wenn ich meinen Fotoapparat in einer Theateraufführung [...] arbeiten lasse, dann ist das für mich wie dieser Moment, in dem sich ‚das Wasser über das brennende Feuer ergießt‘“. Barbara Kowalewska im Gespräch mit Maciej Rusinek über seine Fotografien des Butoh-Tanztheaters.

 

Barbara Kowalewska: Sie haben sich in der „Solidarność“ engagiert, gehörten zu den Mitbegründern des „Obserwator Wielkopolski“ und waren Mitarbeiter von Lech Raczak am Teatr Ósmego Dnia. Seit vielen Jahren leben Sie in Deutschland. Was hat Sie 1987 bewogen, Polen zu verlassen?

Maciej Rusinek: Ja, gerade letztes Jahr habe ich den Punkt erreicht, an dem ich sagen konnte, dass exakt die erste Hälfte meines Lebens in die „polnische Zeit“ fiel, während sich die zweite in Deutschland ereignet. Meine Ausreise war vorrangig familiär begründet, auch wenn die allgemeine politische Lage im damaligen Polen eine Rolle gespielt hat. Es war keine erzwungene Emigration (mit einem Reisepass, der nur für eine Richtung galt). Niemand warf uns raus, wie es einigen meiner Verwandten in diesen Jahren widerfuhr. Die Entscheidung, auszuwandern, reifte zwei bis drei Jahre. Meine damalige Frau hatte ein Stipendium an der Universität Frankfurt am Main. Ich kümmerte mich überwiegend um unseren dreijährigen Sohn und pendelte ich zwischen Posen und Frankfurt, abhängig von den „Launen“ der Passabteilung bei der Posener Kommandantur der Bürgermiliz (Komenda Milicji Obywatelskiej). „Launen“ verwende ich hier ironisch, denn selbst wenn es nie jemanden gab, der mir offen und ohne Umschweife gesagt hätte, dass man mir aus stiller Rache für meine, sagen wir mal oppositionelle, Tätigkeit mehrfach Reisen ins Ausland verweigerte und mich in Polen festsitzen ließ, wusste ich, dass dies der Hauptgrund für die Sicherheitsbehörden war. Ich will hier weder an die große Hoffnungslosigkeit in Polen in den Jahren 1985 bis 1987, noch an die ständige Abhängigkeit von den Sicherheitsbeamten erinnern. Es reicht zu sagen, dass meine Frau und ich irgendwann, als ich wieder mal auf der anderen Seite der Grenze war, die nicht einfache Entscheidung trafen, dauerhaft in Frankfurt am Main zu bleiben.

BK: Welche Beziehung hatten Sie später zu Posen?

MR: Der Auslandsaufenthalt hat nie zu einem automatischen Abbruch meiner Beziehungen zu Polen und zu Posen geführt. Ganz im Gegenteil. Abgesehen von den familiären Kontakten haben wir uns sehr bald, in mehreren Hilfsinitiativen für Polen engagiert, unter anderem für meine in Polen verbliebenen Kollegen, die ihre verlegerische Tätigkeit im Untergrund fortgesetzt haben und nach wie vor mit dem gravierenden Mangel an Equipment wie Papier, Druckmaschinen und Farben kämpften. Als 1989 die Wende kam, beschlichen uns einige Zweifel, so dass wir überlegten, ob wir zurückkehren sollten, doch wir blieben in Deutschland. Zum einen entwickelte sich jeder von uns beruflich in seinem Bereich, zum anderen gehörten wir zu den Mitinitiatoren und Mitorganisatoren (seit 1989) eines in Frankfurt am Main sehr aktiven Vereins – des Ost-Westeuropäischen Kulturzentrums „Palais Jalta“. In den fast vierzehn Jahren der Vereinsarbeit waren wir stets bemüht, die intellektuelle und politische Kluft zwischen Ost- und West-Europa zu überwinden, die nach den Beschlüssen der Konferenz in Jalta (1945) entstanden ist. Daher auch der Vereinsname.

BK: Dachten Sie an Rückkehr? Haben Sie Heimweh nach Ihrem Geburtsort und dem Ort Ihrer Jugend?

MR: Ich habe es nie bereut, dass wir uns nicht umentschieden haben. Und wenn ich jetzt sehe, was aktuell in Polen geschieht, werde ich es nie bereuen..., es sei denn, die AfD käme in Deutschland an die Macht. Dabei habe ich natürlich bei meinen häufigen Besuchen in Polen alle positiven Veränderungen, die einem Ankömmling aus dem Westen leicht ins Auge fielen, mit großem Interesse verfolgt. Ich war „verrückt“ vor Freude als es zur EU-Erweiterung kam und ich stürzte „Hals über Kopf“ nach der Flugkatastrophe von Smolensk und der Machtübernahme der PIS. Da ich die ganze Zeit in Europa lebe und arbeite, verspüre ich keine Sehnsucht nach etwas für mich so Abstraktem wie Heimatstadt, Heimatland, Patriotismus usw. Ich kann eher von der Sehnsucht nach konkreten, mir sehr nahen Menschen, sprechen.

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