Kinderzwangsarbeit in Hessen – Die Geschichte von Tomasz Kiryłłow
Aus dem Stammlager Buchenwald wurde Tomasz Kiryłłow zu Arbeitskommandos in Außenlager geschickt. Er wog nur noch 48 Kilogramm,[25] war krank und an den Beinen verletzt[26]. Er zweifelte daran, dass er überleben würde. Im Mai 1944 arbeitete er in einem Außenlager von Buchenwald in Nordfrankreich (Hesdin[27], Kommando Baubrigade V). Sein Überleben verdankt er polnischen, sowjetischen und französischen Hilfsnetzwerken, die ihn mit zusätzlichen Lebensmitteln versorgten. Schließlich gelang ihm am 12. Mai 1944 die Flucht und er schloss sich der französischen Résistance an. Dank der Widerstandsbewegung in Nordfrankreich überlebt er bis zum Ende des Krieges[28].
Nach dem Krieg kam Tomasz Kiryłłow mehrere Male aus Polen nach Frankreich und Deutschland, um ehemalige Widerstandskämpfer oder Zwangsarbeiter zu treffen, die er in Hessen kennengelernt hatte, und um sich auf die Suche nach anderen ehemaligen Häftlingen aus Buchenwald zu machen. Seine Erinnerungen wurden zuerst 1980 in der Volksrepublik Polen veröffentlicht, unter dem Titel I tak przegracie wojnę. Die deutsche Übersetzung Und ihr werdet doch verlieren. Erinnerungen eines polnischen Antifaschisten (1985), die in der DDR im Berliner Dietz-Verlag erschien, muss natürlich auch vor dem Hintergrund eines heroischen Narrativs gelesen werden, welches vom Kampf der Kommunisten gegen den Faschismus handelt, insbesondere in Bezug auf Buchenwald, das Sinnbild für die Erinnerungskultur des Antifaschismus war. Der deutsche Verleger fügte Anmerkungen hinzu, um den politischen Diskurs des Textes in diese Richtung zu radikalisieren. Aber dank weiterer historischer Forschung gibt es heute die Möglichkeit, diesen Text auch mit anderen Aussagen von ehemaligen Zwangsarbeitskräften zu vergleichen, die als Kinder oder Jugendliche deportiert wurden. Ein Forschungsprojekt an der University of Wolverhampton[29] etwa hat 54 lebensgeschichtliche Interviews mit ehemaligen polnischen Kinderzwangsarbeiter:innen ausgewertet.
Seit 2019 befindet sich in Wetzlar eine Erinnerungstafel[30] zur Erinnerung an Tomasz Kiryłłow.
Emmanuel Delille, Juli 2022
Weiterführenden Informationen:
https://wetzlar-erinnert.de/ns-zwangsarbeit/neue-ausstellung/tafel-4/
Video:
Der Besuch von Tomasz Kiryłłow 1987 in Wetzlar, 30:21
https://www.youtube.com/watch?v=4OSrVPDbvrs
[25] Kiryłłow 1985, S. 103.
[26] Sein Bericht über das Krankenrevier in Buchenwald wird von mindestens zwei Aussagen beeinflusst, die er vor dem Verfassen seiner Memoiren gelesen hat: Ostańkowicz, Czeslaw: Porażeni nie chcą umierać, Wrocław 1973; Zonik, Zygmunt: Opowieści z nieprawdopodobnego rewiru, Warszawa 1974. In diesem letzten Buch ist es vor allem der Zeitzeugenbericht eines ehemaligen deportierten Arztes (Władyslaw Wikler), die ihn erschüttert hat. Die Bedeutung dieser Zeugnisse ist relativ: es gibt viele Zeitzeugenberichte über die Krankenstationen in Buchenwald, die in mehreren europäischen Sprachen veröffentlicht wurden. Diese Texte zitieren sich gegenseitig. Sie sind retrospektive Erzählungen, die sowohl auf anderen Büchern als auch auf eigenen Erinnerungen beruhen.
[27] Vgl. https://www.aussenlager-buchenwald.de/details.html?camp=101 (zuletzt abgerufen am 27.06.2023).
[28] Kiryłłow berichtet, dass ein großer Teil der Zwangsarbeitskräfte des Kommandos Baubrigade V, mit denen er 1944 nach Hesdin verschleppt wurde, ermordet wurden. Kiryłłow 1985, S. 194–195. Vgl. Arolsen Archives.
[29] „Child Forced Labourers in Occupied Poland: Experiences, resilience and post-war discourses“, University of Wolverhampton, unterstützt durch die Stiftung EVZ. Vgl. Steinert 2013.
[30] https://www.hessenkolleg-wetzlar.de/2019/11/29/wir-erinnern-tomasz-kiryllow/ (zuletzt abgerufen am 27.06.2023); https://wetzlar-erinnert.de/gedenken/gedenktafeln/tomasz-kiryllow/ (zuletzt abgerufen am 27.06.2023).