Jan Łukasiewicz

Jan Łukasiewicz
Jan Łukasiewicz

Es ist eine mehr als erstaunliche Tatsache, dass ein ehemaliger polnischer Bildungsminister und mehrmaliger Rektor der Warschauer Universität im NS-Deutschland des Jahres 1938 einen Ehrendoktor erhält, noch im Frühjahr 1936 an der Münsteraner Universität doziert und schließlich das letzte Kriegsjahr mit Unterstützung befreundeter deutscher Mathematiker in Münster überlebt.

Jan Leopold Łukasiewicz wurde am 21. Dezember 1878 in Lemberg (Lwów), der damaligen Hauptstadt der österreichischen Provinz Galizien geboren. Auch wenn sein Vater Paweł Hauptmann der österreichischen Armee war und seine Mutter Leopoldine, Tochter eines österreichischen Beamten, wurde in der Familie zuhause nur Polnisch gesprochen. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums studierte er ab 1887 in Lemberg zunächst Jura, dann Mathematik und Philosophie. Mit der besonderen Auszeichnung „sub auspiciis Imperatoris“ (unter der Aufsicht des Kaisers) promovierte er 1902 bei Kazimierz Twardowski zum Dr. phil. und erhielt von Kaiser Franz Joseph I. einen mit Diamanten besetzten Promotionsring. Zwischen 1902 und 1906 betrieb Łukasiewicz philosophische Studien im Ausland und insbesondere in Berlin und Leuven. 1906 erfolgte seine Habilitation in Lemberg, wo er zunächst als Privatdozent und ab 1911 als außerordentlicher Professor tätig war.

1915 berief ihn die von den Zentralmächten (Deutsches Reich und Österreich-Ungarn) wiedereröffnete Warschauer Universität. 1918 wurde er zum Ministerialdirektor im polnischen Bildungsministerium ernannt und war von Januar bis Dezember 1919 Bildungsminister im Kabinett Paderewski. Von 1920 bis zum deutschen Einmarsch in Polen im September 1939 war Łukasiewicz Professor für mathematische Logik und Grundlagenforschung an der Warschauer Universität. Während dieser Zeit wurde er zwei Mal (1922/23 und 1931/32) zum Rektor der Universität gewählt.  Gemeinsam mit Stanisław Leśniewski war Łukasiewicz einer der führenden Köpfe der berühmten Lemberg-Warschauer Schule für Logik und Wissenschaftstheorie, der so bedeutende Wissenschaftler wie Alfred Tarski und Andrzej Mostowski angehörten. Zu Łukasiewicz Schülern zählen:  Mordechaj Wajsberg, Zygmunt Kobrzyński, Stanisław Jaśkowski, Bolesław Sobociński, Jerzy Słupecki und Józef Maria Bocheński.

Łukasiewicz verband eine enge Freundschaft mit dem deutschen Theologen und Mathematiker Heinrich Scholz (1884-1956), der an der Universität Münster den ersten Lehrstuhl für mathematische Logik in Deutschland innehatte. Zwischen den Logikern in Münster und Warschau entstand ein intensiver wissenschaftlicher Austausch, verknüpft mit gegenseitigen Vortragsreisen und gemeinsamen Forschungsvorhaben. Im Februar 1936 hielt Łukasiewicz auf Einladung der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät vier vielbeachtete Vorträge an der Universität Münster. Am 20.12. 1938, inmitten des sich zuspitzenden deutsch-polnischen Konfliktes, erhielt Łukasiewicz für seine Verdienste um die Durchsetzung der mathematischen Logik in Deutschland und um den Mathematiker Gottlob Frege die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Münster. Die Ehrenurkunde wurde ihm bei einem Festakt in der Deutschen Botschaft in Warschau durch den Deutschen Botschafter Hans Adolf von Moltke verliehen. An der Feierstunde nahmen neben dem Rektor der Warschauer Universität, zahlreiche Honoratioren aus Wissenschaft und Politik, sowie auch Adolf Kratzer, Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Münster, und Heinrich Scholz teil.

Durch die deutsche Bombardierung Warschaus wurde Łukasiewicz’ Wohnung im September 1939 völlig zerstört, seine gesamte Bibliothek und Korrespondenz und alle Manuskripte verbrannten.  Er und seine Frau Regina Barwińska fanden eine provisorische Bleibe in einer Unterkunft für Akademiker. Da die Universität von den deutschen Besatzern geschlossen wurde, befand sich Łukasiewicz auch in einer prekären finanziellen Situation. Durch die Vermittlung von Scholz, dem Philosophen Jürgen von Kempski und anderen, erhielt Łukasiewicz eine Stelle als Übersetzter am Warschauer Stadtarchiv. Zudem unterstützte ihn Scholz durch Geldzuwendungen, die er ihm durch Kontakte zum Deutschen Roten Kreuz zukommen ließ. Eine ihm auf Scholzens Initiative angebotene Stelle am „Institut für deutsche Ostarbeit“ lehnte Łukasiewicz aus politischen Gründen ab. Łukasiewicz lehrte an der geheimen Warschauer Untergrunduniversität (Tajny Uniwersytet Warszawski).

Mediathek
  • Ankündigung des Łukasiewicz-Vortrags

    Universität Münster
  • Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Münster

    In der Deutschen Botschaft in Warschau am 20.12.1938
  • Verleihung der Ehrendoktorwürde, Gruppenfoto

    Vordere Reihe links Heinrich Scholz, Mitte Jan Łukasiewicz, neben ihm seine Frau Regina Barwińska, hinter ihr Hans Adolf von Moltke. Zweite Reihe, vierter von rechts, Adolf Kratzer
  • Urkunde zur Verleihung der Ehrendoktorwürde

    Ausgestellt am 1. November 1938
  • Jan Łukasiewicz - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku"

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.