Jan Kiepura (1902–1966)
„Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n!“ Als dieser Schlager 1935 die Straßen und Hinterhöfe Deutschlands erobert, steht sein Sänger auf dem Höhepunkt seiner weltweiten Karriere – Jan Kiepura. Seinetwegen strömen Massen auch in die deutschen Kinos.
Jan Wiktor Kiepura wurde 1902 in Sosnowiec geboren, das damals noch zum Russischen Zarenreich gehörte und heute in Polen liegt. Er hatte einen katholische Vater (Fanciszek) und eine jüdische Mutter (Miriam). Seine Kindheit verbrachte er in eher ärmlichen Verhältnissen, hauptsächlich zwischen der Schule und der Arbeit in der familieneigenen Bäckerei. Früh war sein musikalisches Talent sichtbar und hörbar, was er gerne und oft in der Schule und zu Hause präsentierte. Früh war auch sein politisches Engagement sichtbar, er war Mitglied der „Polnischen Militärorganisation“ (Polska Organizacja Wojskowa / POW) und nahm am I. und II. Schlesienaufstand (I i II Powstanie Śląskie) teil. Mit viel Anstrengung bestand Jan Kiepura das Abitur im Jahre 1921 und begann sogleich und ganz nach dem Willen der Eltern mit einem Jurastudium an der Warschauer Universität, das er allerdings nicht beendete. Gleichzeitig nahm er Gesangsunterricht bei Władysław Brzeziński und Tadeusz Leliwa, das mit Sicherheit gegen den Willen seiner Eltern. Bereits nach vier Jahren trat er vor Publikum auf verschiedenen Bühnen in Lwów (Lemberg), Poznań (Posen) und Warszawa (Warschau) auf. 1926 verließ er Polen für eine internationale Karriere Richtung Wien, wo er im September 1926 in der Rolle Cavaradossis in Puccinis „Tosca“ mit Erfolg sein Wiener Debüt feierte. Von nun an eroberte Jan Kiepura die gesamte Opernwelt.
Die nächste Zäsur in der Karriere des großen Tenors war das Jahr 1930. Unter Regie von Carmine Gallone drehte er „Die singende Stadt“. Der Film wurde in drei Sprachversionen – deutsch, französisch und englisch – gedreht. Das war damals so üblich. Ungewöhnlich war allerdings, dass Jan Kiepura in seinen Filmen auch gleich die anderen Sprachversionen selbst sang. Der Erfolg war überwältigend und Jan Kiepura widmete sich nun zunehmend dem damals neuen Medium, dem Tonfilm, ohne jedoch die Bühne gänzlich zu verlassen. Nach wie vor sang er Konzerte und Opern und trat häufig bei Benefizgalas auf. Bekannt war er auch durch seine „spontanen“ Konzerte vor dem Hotel oder auf dem Autodach, überall dort, wo er von Massen seiner Fans erwartet wurde.
In den 1930er Jahren entstanden in Deutschland weitere Filme mit Jan Kiepura, die nicht nur sein Talent als Sänger und Schauspieler bezeugen, sondern bis heute zum Kanon der Musikfilmgeschichte gehören. Darunter: „Das Lied einer Nacht“ (1932, deutsche Produktion, Regie: Anatole Litvak, zusätzlich englische und französische Version), „Ein Lied für dich“ (1933, deutsch-französische Produktion, Regie: Joe May und Henri-Georges Clouzot, deutsche und französische Version), „Mein Herz ruft nach Dir“ (1934, deutsche Produktion, Regie: Carmine Gallone, zusätzlich französische und englische Version), „Ich liebe alle Frauen“ (1935, deutsch-französische Produktion, Regie: Carl Lamac, deutsche und französische Version), „Im Sonnenschein“ (1936, deutsche Produktion, Regie: Carmine Gallone), „Zauber der Bohème“ (1937, österreichische Produktion, Regie: Géza von Bolváry). Interessanterweise sang Jan Kiepura in fast jedem seiner Filme auch ein Lied auf Polnisch.
Übrigens, bei den Dreharbeiten zum Film „Mein Herz ruft nach Dir“ traf er auf die Frau, die von nun an nicht mehr von seiner Seite weichen würde - die große ungarische Sängerschauspielerin Marta Eggerth. Sie heirateten 1936 und blieben ein Leben lang zusammen. Sie galten als das Traumpaar. Sie sangen zusammen auf den größten Bühnen der Welt und drehten gemeinsam die erfolgreichsten Filme der damaligen Zeit. Den größten gemeinsamen Erfolg feierten Jan Kiepura und Marta Eggerth mit dem Film „Zauber der Bohème“.
Da sich Jan Kiepura Ende der dreissiger Jahre mehrmals negativ über Nazi-Deutschland in den polnischen Medien äußerte, wurden alle Filme des Ehepaars Kiepura - Eggerth ab Mitte 1938 in Deutschland verboten.
Die Nachricht vom Ausbruch des II. Weltkrieges am 1. September 1939 erreichte Marta Eggerth und Jan Kiepura während der Dreharbeiten an einer Verfilmung des Romans „Manon“ in Frankreich. Nach einem kurzen Intermezzo bei der polnischen Exilarmee, entschied sich Jan Kiepura über Südfrankreich in die USA zu reisen. Diese Entscheidung dürfte ihm nicht leicht gefallen sein. Stets betonte er seine polnische Herkunft, seine Liebe zur polnischen Heimat. Kiepura engagierte sich dennoch auf seine Weise stark für die polnische Bevölkerung. Er sang auf vielen Benefizkonzerten und sammelte so Geld für die Polen in Not, so z. B. für den „Fundusz Pomocy Polsce“ (Hilfsfond für Polen). Zusammen mit seiner Frau unterstützte er europäische Flüchtlinge bei ihrer Immigration in die USA. Zahlreiche Menschen erhielten so von ihnen große Hilfe in schwierigen Zeiten.
In Amerika übernahm Jan Kiepura ein Engagement an der Metropolitan Opera in New York. Ab diesem Zeitpunkt wirkte er vor allem in Amerika, 1953 nahm er sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Er lebte nun in den USA, bis auf seinen sechsjährigen Aufenthalt in Paris (1948 - 1954). Von Paris aus organisierte er seine Europatournee,und besuchte gerne auch Deutschland, so z.B. als Stargast bei den Berliner Filmfestspielen 1952. 1958 kam Jan Kiepura nach 19 Jahren endlich auch wieder nach Polen. In seinem Heimatland gab er gleich 15 Konzerte. Bei allen wurde er von begeisterten Menschenmassen gefeiert. Das war für ihn und seine Anhänger auch besonders wichtig, denn die kommunistische Propaganda versuchte immer wieder Kiepura als Vaterlandsverräter zu diskreditieren.
Auch wenn Jan Kiepura seine Hauptbeschäftigung im Film fand, war er bis zum seinem Tod auch ein erfolgreicher Opernsänger. Noch im Juni 1966 unterschrieb er einen neuen Vertrag mit der Metropolitan Opera in New York. Am 15. August 1966 starb er nach einem Herzinfarkt in seinem Haus in Harrison (USA). Sein Begräbnis fand in Warschau statt. Dem Trauerzug auf dem prominentesten Warschauer Friedhof „Powązki“ schlossen sich 100 000 Menschen an.
Adam Gusowski, März 2016
Tabellarischer Lebenslauf:
16.05.1902 in Sosnowiec geboren
1912 - 1916 Handelsschule (Die Ausbildung wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen)
1916 Mitglied bei der geheimen Polnischen Militärorganisation (Polska Organisacja Wojskowa)
1916 Mitglied der Freien Schule für Offiziersanwärter (Wolna Szkoła Podchorążych)
1919 Mitglied beim I. Beuthener Schützenregiment der polnischen Armee (I pułk Strzelców Bytomskich)
1919 Teilnahme am I. Schlesienaufstand (wird verwundet und kehrt nach Hause zurück)
1920 Teilnahme am II. Schlesienaufstand
1920 Rückkehr von der Front
1921 Abitur in Sosnowiec
1921 Beginn des Jurastudiums an der Warschauer Universität
1921 Beginn der Gesangsausbildung bei Prof. Wacław Brzeziński
1924 Engagement an der Oper in Warschau (Chor)
1924 Exmatrikulation vom Jurastudium an der Warschauer Universität
1925 öffentliche Auftritte in Lemberg, Posen und Warschau
1926 Engagement in Wien, später Paris und Mailand
1927 Konzerte in Krakau, Warschau, Breslau
1930 - 1937 verschiedene Filmarbeiten in Deutschland
1936 Heirat mit der Schauspielerin und Sängerin Marta Eggerth
1938 Engagement an der Metropolitan Opera in New York
1940 endgültige Emigration nach Amerika
1953 amerikanische Staatsbürgerschaft
1948 - 1954 Aufenthalt in Paris, Auftritte in ganz Europa
1965 - Gastspiele in Köln und West-Berlin (Lustige Witwe)
am 15. August 1966 stirbt Jan Kiepura an den Folgen eines Herzinfarkts in Harrison (New York)
Zusatzinformationen:
1935 sang Jan Kiepura ein Konzert bei der Eröffnung des deutsch-polnischen Instituts an der Lessing-Hochschule in Berlin. In der ersten Reihe des Gala-Konzertes klatschte der Propagandaminister Joseph Goebbels begeistert und der Reichsminister Hermann Göring schüttelte Kiepuras Hand direkt nach seinem Auftritt energisch. Die Begeisterung für den Polen Kiepura war im deutschen Volk und bei den deutschen Machthabern in den 30er Jahren schier grenzenlos. Der Krieg änderte dies dramatisch.
Die von Jan Kiepura so begeisterten Wiener haben sich bei ihm auf eine besondere Art und Weise bedankt. In dem 14. Wiener Bezirk Hütteldorf heißt seit dem 12. Mai 1975 eine Straße „Jan-Kiepura-Gasse“.
Ein EuroNight-Expresszug der polnischen Bahn von Warschau über Deutschland nach Amsterdam heißt „Jan Kiepura”.