Halina Kłąb-Szwarc. Die jüngste Geheimagentin der Heimatarmee
Im Frühjahr 1943 wird Halina Kłąb zu einer zweiwöchigen Schulung in der Marineaufklärung geschickt. Dabei lernt sie, verschiedene Schiffstypen zu identifizieren, deren Waffensysteme sowie Wasserverdrängungswerte zu erkennen. Bald darauf begibt sie sich nach Hamburg. Dort sind bereits viele Agent:innen mit dem Auftrag unterwegs, Informationen über die deutsche Rüstungsindustrie zu sammeln und die Luftwaffenabwehrsysteme zu knacken. Die polnische Geheimagentin gibt sich als Touristin aus: Ein junges Mädchen mit Fotoapparat und Reiseführer erweckt keinen Verdacht. Sie lernt einen jungen Mann kennen, der beruflich eine Fähre für Werftarbeiter:innen betreibt. Dieser lädt sie zu einer Hafenrundfahrt ein. So kann sie diverse Anlagen entdecken und fotografieren, darunter auch Militäreinrichtungen.
Wie sich herausstellt, spielen die Informationen, die Halina Kłąb an die Alliierten liefert, eine Schlüsselrolle. Ende Juli und Anfang August 1943 führen die britische RAF und die amerikanischen USAAF eine Serie von flächendeckenden Bombenangriffen auf Hamburg durch – die sogenannte Operation Gomorrha. Nach den Luftangriffen, bei denen 1,7 Mio. Spreng- und Brandbomben auf die Stadt abgeworfen werden, liegen die meisten Gebäude in Schutt und Asche. Von einem Tag auf den anderen verlassen 1,2 Mio. Menschen Hamburg.[4] Den Alliierten gelingt es, sämtliche U-Boot-Werften sowie ein Dieselmotorenwerk zu zerstören. Dies beeinträchtigt die deutsche Rüstungskapazität erheblich und lässt die zweitgrößte Stadt Deutschlands kurzzeitig komplett stillstehen. Für ihren Verdienst um die Lokalisierung dieser Militäranlagen verleiht die polnische Exilregierung in London Halina Kłąb das Bronzene Verdienstkreuz mit Schwertern – eine Tapferkeitsmedaille für Taten, die nicht im unmittelbaren Kampf vollbracht wurden.
Halinas nächster Einsatzort ist Berlin. Sie meldet sich freiwillig zur Arbeit am Zentralarchiv für Wehrmedizin. Dort erhält sie Zugang zu sensiblen Daten über den Zustand der deutschen Armee. Sie soll Informationen über an der Ostfront verwundete Soldat:innen liefern. Zudem hat sie Zugriff auf Namen und Standorte von Militäreinheiten sowie die Anzahl von Verwundeten. Diese Informationen werden nach Polen und von dort aus an die Alliierten weitergegeben.
Im Mai 1944 reist Halina nach Łódź, um ihre Mutter zu besuchen. Zudem soll sie sich auf Geheiß ihres Vorgesetzten ausruhen. Kurz nach der Ankunft werden Mutter und Tochter jedoch in der elterlichen Wohnung von der Gestapo verhaftet. Halina wird konspirativer Aktivitäten beschuldigt. Später wird sich herausstellen, dass sie von einem Spitzel verraten wurde. Die beiden Frauen werden ins Gestapo-Gefängnis in der Danzigerstraße 13 (heute ul. Gdańska) in Łódź gebracht. Halina wird mehrmals brutal verhört. Die häufigste Foltermethode sind Schläge auf den Rücken und auf die Fersen. Schreien die Häftlinge zu laut, werden ihnen Gasmasken aufgesetzt. Doch Halina gibt trotz Folter und Demütigung keine Namen preis. Schließlich wird sie ohne Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt. Ihre Mutter wird ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert.
Halina Kłąb verbringt im Gefängnis acht Monate. Etwa ein Dutzend Tage lang muss sie in die sogenannte Dunkelzelle – einen stockdunklen Raum, der so niedrig ist, dass sie nicht aufrecht stehen kann. Als sich die sowjetischen Truppen bereits der Stadt nähern, beschließen die Deutschen daher Mitte Januar 1945, das Gefängnis zu „evakuieren“. Sie transportieren die Häftlinge in Richtung Westen, um sie dort zu „liquidieren“.
„Gegen Mitternacht wurden wir alle in Achterreihen aus dem Gefängnis geführt. Wir gingen die stockdunklen, menschenleeren Straßen entlang durch die Stadt in Richtung Chojny, die Pabianicka-Chaussee entlang Richtung Pabianice. Es war eine eiskalte, sternenklare Nacht. Durch sämtliche Straßen, die aus der Stadt herausführten, flüchteten Zivilisten mit ihrem ganzen Hab und Gut. Überall waren Fuhrwerke voller Kinder und alter Menschen. Alles Deutsche, die in den Bauernhöfen der vertriebenen polnischen Bauern angesiedelt worden waren.“[5] So beschreibt Barbara Cygańska-Wiland, eine Mitinsassin von Halina, die Situation in Łódź an diesem Tag. Beiden Frauen gelingt im Dunkeln der Nacht die Flucht. Bald darauf folgen weitere ihrem Beispiel. Die spürbar nervösen deutschen Aufseher:innen geraten auf der Flucht vor den Sowjets immer mehr unter Zeitdruck und verzichten darauf, sie zu suchen.
[4] Operacja Gomora, Wikipedia, URL: https://pl.wikipedia.org/wiki/Operacja_Gomora (zuletzt aufgerufen am 30.09.2024).
[5] Cygańska-Wiland, Barbara: Wspomnienia z czasów wojny (1939–1945), S. 86. Das Zitat wurde dem Manuskript der Verfasserin entnommen. 2019 wurden ihre Memoiren vom Museum der Unabhängigkeitstraditionen in Łódź unter dem Titel Danzigerstrasse 13. Wspomnienia z czasów wojny (1939–1945) [Danzigerstraße 13. Erinnerungen an die Kriegszeit 1939–1945], hrsg. Von Dr. Sylwia Wielichowska, veröffentlicht.