„Von Breslau sind wir ungern abgereist“. Fryderyk Chopin in Schlesiens Hauptstadt
Eindrücke von diesem Aufenthalt
Bei diesem letzten Aufenthalt in Breslau hatte Chopin Zeit, sich mit seinem Freund den Kulturangeboten zu widmen und sich mit Elsners Freunden zu treffen. Bereits an ihrem ersten Tag in der niederschlesischen Metropole, am Samstag dem 6. November, besuchten sie das Stadttheater in der Taschenstrasse (heute an der Ecke der Straßen Oławska und Piotra Skargi) und sahen sich das Stück „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ des in Warschau sehr beliebten österreichischen Dramatikers Ferdinand Raimund an. Am Sonntag trafen sie sich mit dem Domkapellmeister, den Chopin schon kannte. Schnabel lud den Komponisten zu einer Konzertprobe ein, die am nächsten Tag im großen Redouten-Saal des „Hotels de Pologne“ in der Bischofsgasse (heute ulica Biskupia) angesetzt war. Chopin nahm diese Einladung an. Unter dem Vorwand, das Instrument ausprobieren zu sollen, überredete Schnabel Fryderyk zu spielen, wobei er sich mit dieser kleinen List des Laienmusikers Hellwig entledigte.
„Ehe Hellwig sich an das Instrument setzte – schrieb Chopin am 9. November 1830 in seinem Brief aus Breslau an die Familie –, bat mich Schnabel, der mich seit vier Jahren nicht gehört hatte, das Klavier zu probieren. Ich konnte nicht ablehnen, setzte mich also nieder und spielte einige Variationen. Schnabel war ungemein erfreut, Herr Hellwig verlor den Mut, die anderen aber begannen mich zu bitten, dass ich mich am Abend hören lassen möge.“
Chopins Darbietung am Montag wurde ein voller Erfolg. Ein Pressebericht blieb jedoch aus, da die Veranstaltung einem kleinen Publikum vorbehalten war. Das Abendprogramm sah zwar die Romanze aus Chopins Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-Moll (Op. 11) vor, doch er spielte nur das Rondo. Über das Konzert und den anschließenden Empfang berichtet der Musiker in dem bereits zitierten Brief:
„Außer dem Rondo habe ich für Kenner über ein Thema aus ‚Die Stumme von Portici‘ improvisiert. Zum Schluss wurde eine Ouvertüre gespielt und nachher getanzt. (…) Eine Dame – schreibt Chopin weiter –, der ich, als der ersten hiesigen Pianistin, nach dem Konzert von dem Direktor vorgestellt wurde, dankte mir sehr für die angenehme Überraschung und bedauerte, dass ich mich öffentlich nicht hören lasse.“
Näheres über die in den nächsten Tagen vom Chopin und seinem Freund besichtigten Orte ist nicht überliefert. Vermutlich wurde die Stadt den beiden von dem Kaufmann Scharff, den sie zufällig kennengelernt hatten, gezeigt:
„Er hat uns (...) in ganz Breslau herumgeführt, selbst eine Droschke gemietet und ist mit uns auf den schönsten Spazierwegen herumgefahren.“
Die Stadt beeindruckte den Komponisten offensichtlich sehr. Als er Breslau am 10. November 1830 verließ, konnte er sein Bedauern nicht verbergen.
„Von Breslau sind wir nur ungern abgereist“, schrieb Chopin aus Dresden.
Aber es wartete die Welthauptstadt Paris auf ihn. Zwanzig Tage später brach in Warschau der Novemberaufstand aus.
Krzysztof Ruchniewicz, Juni 2018
Die Zitate stammen aus:
Tadeusz Mikulski, Pod Złotą Gęsią, [in:] ders., Spotkania wrocławskie, Kraków 1954, Seite 121. Polskie podróże po Śląsku w XVIII i XIX wieku (bis 1863), ausgesucht und bearbeitet von Andrzej Zieliński, Wrocław 1974, Seite 161-163.
Aus den Briefen Chopins zitiert nach: Friedrich Chopins gesammelte Briefe. Zum ersten Mal herausgegeben und getreu ins Deutsche übertragen von Bernard Scharlitt, Leipzig 1911, Seite 105-107.