Dorota Danielewicz – Kulturmanagerin, Slawistin, Schriftstellerin und Journalistin
Dorota Danielewicz [veröffentlichte auch als Dorota Kerski und Dorota Danielewicz-Kerski] wurde am 30. Oktober1964 in Poznań (Posen) als erstes Kind von Marian Danielewicz – einem diplomierten Physiker, Erfinder und einem der ersten Spezialisten für Computerprogrammierung in Polen – und Małgorzata Danielewicz, einer Absolventin der Biowissenschaften, geboren. Ihre Schwester Emanuela wurde im Jahr 1971 geboren.
Die Familie lebte im Stadtteil Jeżyce in Poznań; den Großteil ihrer frühen Kindheit verbrachte Dorota bei ihren Großeltern in Rawicz und Nowy Tomyśl.
Bereits im Alter von neun Jahren entdeckte sie ihre Liebe für Fremdsprachen. Über ihren Onkel, der an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań Professor für Klassische Philologie war, kam sie in eine von Pädagog:innen der Universität gegründete Experimentalgruppe. Ein großer Anreiz fürs Lernen war für sie die Aussicht auf eine Reise zu ihrer Verwandtschaft in England. Ihre erste Auslandsreise im Alter von 10 Jahren – eine Exkursion mit der Universität für Biowissenschaften – führte sie jedoch nach Rügen in die DDR. Dank Ihrer Kontaktfreudigkeit, die ihr auch als Erwachsene erhalten bleibt, schloss sie Freundschaft mit den gleichaltrigen Zwillingen Diggi und Daggi, deren Vater an der Landwirtschaftlichen Fakultät in Halle arbeitete. Die Mädchen standen mehrere Jahre lang in Kontakt miteinander.
Als Kind liebte Dorota das Lesen. Auch zeichnete sie viel. Sie schrieb schon immer, auch Gedichte. Sie spielte gerne Szenen mit selbstgenähten Puppen nach. „Ich hatte viele Freiheiten“, sagt sie im Gespräch mit „Porta Polonica“. „Ich habe viel Zeit mit Gleichaltrigen im Freien verbracht. Wir spielten an der Teppichstange, im Hof, machten Abzählreime“, erzählt sie.
Für die Sekundarstufe wählte sie das Jan-Paderewski-Gymnasium in Poznań mit Schwerpunkt auf Mathematik, Physik und Englisch. Sie war eine gute Schülerin, die viel schrieb und an Rezitationswettbewerben teilnahm. So wurde sie auch für die Teilnahme an einem Fernsehprogramm für Jugendliche ausgewählt, das im Herbst 1981 beginnen sollte.
Dauerhafter Umzug nach Deutschland
Im Alter von 16 Jahren wanderte Dorota Danielewicz mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Westdeutschland aus. Die Zugfahrt in ein neues Leben von Poznań nach Berlin fand am 3. Juli 1981 statt.
Einige Monate zuvor hatte Dorotas Vater an seinem Arbeitsplatz in Poznań eine Zweigstelle der unabhängigen, freien Gewerkschaft „Solidarność“ gegründet. Er hatte sich zuvor bereits mit den Behörden der Volksrepublik Polen angelegt, die ihn zu überwachen versuchten. Als Ingenieur arbeitete er im Auftrag seiner Firma mit dem renommierten Göttinger Unternehmen „Sartorius“ zusammen. Er reiste einmal im Jahr zur beruflichen Weiterbildung nach Westdeutschland. Deutsche Kolleg:innen, die seine Kompetenz zu schätzen wussten, boten ihm einen Arbeitsplatz an, sofern er sich zum Auswandern entschließen würde. Als bekannt wurde, dass Marian Danielewicz von einer Internierung bedroht war, beschlossen Dorotas Eltern zu emigrieren. Der Vater ging wie üblich im Frühsommer zur Weiterbildung mit einem Arbeitsvisum nach Deutschland. Nach drei Wochen kamen seine Frau und seine beiden Töchter nach. Sie bekamen einen Pass, um ihre ehemaligen Nachbarn zu besuchen, die einige Wochen zuvor nach Berlin gegangen waren. Dorota und ihre Schwester dachten, dass sie für ein paar Wochen in den Urlaub nach Berlin fahren würden. Sie war sehr überrascht, als sich herausstellte, dass sie vom Bahnhof in Berlin zum Durchgangslager in der Marienfelder Allee fuhren! Dort wartete ihr Vater auf sie, der bald eine Stelle bei „Sartorius“ antreten würde. Er sollte dort bis zu seiner Pensionierung beschäftigt sein.
Dorota war damals vor Ort entsetzt. Sie fand sich in einem Lager wieder – in einem heruntergekommenen Gebäude voller Zimmer mit Etagenbetten. „Ich war im Jahr zuvor in England. Ich hatte keinen Bezug zu Deutschland“, sagt sie im Gespräch mit „Porta Polonica“. „Ich fühlte mich wie auf einem fremden Planeten, als wäre ich entführt worden. Ich war wahrscheinlich depressiv. Meine Eltern haben die Entscheidung selbst getroffen, keine Erklärungen abgegeben. Sie wiederholten nur immer: ‚Hier bist du besser aufgehoben‘, fertig“, erzählt sie.
Der Anfang in Deutschland war für die 16-Jährige geprägt von einer großen Sehnsucht nach Freund:innen aus Poznań, aber auch nach ihrem ersten Freund. Die Familie verbrachte zwei Monate in dem Lager an der Marienfelder Allee. Von hier aus zog Familie Danielewicz in eine Unterkunft für Umsiedler:innen und fand noch im Herbst 1981 eine Wohnung im Bezirk Schöneberg.
In den Labyrinthen der schulischen Integration
In Berlin wird Dorota in einen Sprachkurs für geflüchtete Kinder von 13–18 Jahren aufgenommen. Da sie schnell lernt, kommt sie nach drei Monaten in eine Gruppe mit Kindern, die in Polen Deutsch gelernt hatten. Ein halbes Jahr später wird sie in die Deutschklasse versetzt, in die 10. Klasse. Nach dem Ende des Schuljahres will Dorota eine neue Schule suchen. Sie findet ein Gymnasium, zu dem sie eine Stunde lang durch Berlin fährt, aber bald merkt sie, dass es in der Schule eine strikte Trennung zwischen polnischen und deutschen Kindern gibt. Und sie möchte sich sehr gerne integrieren. Sie fühlt sich dort nicht wohl. So sucht sie wieder nach einer neuen Schule und entscheidet sich für eine private Schule, in der 300 Mark pro Monat zu zahlen sind. Doch auch hier fühlt sie sich unwohl. Die anderen Jugendlichen sind allesamt wohlhabend und interessieren sich kaum für Schule und Lernen. Sie aber möchte lernen, ist ehrgeizig. Eines Tages soll sie einen Aufsatz über einen Text von Kurt Tucholsky schreiben. Sie kann ihre Gedanken nicht formulieren, gleichzeitig merkt sie aber, dass sie das Werk perfekt verstanden hat. Enttäuscht verlässt sie auch diese Schule und arbeitet als Eisverkäuferin. Ein weiterer Schulwechsel wird zum Rettungsanker. Sie kommt auf die Anna-Freud-Oberschule in Berlin, wo Jugendliche der 11. bis 13. Klasse auf die Abiturprüfung vorbereitet werden. Dorota wählt dort Psychologie als Vertiefungsfach. Unterrichtet wird sie zusammen mit einer Gruppe unangepasster Jugendlicher aus guten Gymnasien. Es sind Individualist:innen, die wie viele ihrer Lehrer:innen linke Ansichten vertreten. In Erinnerung sind ihr der Deutschlehrer und eine Psychologin geblieben. Beide waren Pädagog:innen, die eine kritische Haltung gegenüber der Welt vermittelt haben. Damit war das Schreiben eigenständiger Aufsätze kein Problem mehr. Bald fühlt sie sich zu Hause – in Berlin und in der Schule. Sie schöpft viel aus der Beziehung zu ihrem deutschen Freund. Im Wohnzimmer seines Hauses finden Kammerkonzerte statt, die Eltern nehmen sie zu kulturellen Veranstaltungen mit und empfehlen ihnen Lektüren. Dorota genießt auch das normale jugendliche Leben. Im Jahr 1985 macht sie ihren Schulabschluss. Die herausfordernde Zeit des Hineinwachsens in eine neue Stadt und eine neue Umgebung beschreibt Danielewicz Jahre später im Buch „Auf der Suche nach der Seele Berlins“[1].
[1] „Sommer in der Stadt“, in: Dorota Danielewicz: Berlin. Auf der Suche nach der Seele Berlins, Warschau 2013, S. 22 ff.