Die sogenannte „Eindeutschung“ von Polen im SS- Konzentrationslager Hinzert
„Volkstum“ – Rassenideologie der Nationalsozialisten
Überall in Europa, wo die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg Besatzungsregime errichten konnten, folgte die Verschleppung von Menschen zur Zwangsarbeit, um den Krieg und die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen zu halten. Polen war das erste Opfer des Krieges, und bereits 1939 begannen die Nationalsozialisten in Polen damit, ihr rassistisches und auf Vernichtung ausgelegtes Besatzungsregime zu errichten. Insgesamt wurden während des Kriegs an die drei Millionen Menschen aus Polen als Zwangsarbeitskräfte nach Deutschland verschleppt. Bereits im Frühjahr 1940 waren es schon Hunderttausende. Um die derart Ausgebeuteten auch beim Arbeitseinsatz rassistischer Ausgrenzung zu unterwerfen gab das Reichssicherheitshauptamt am 8. März 1940 die „Polen-Erlasse“ heraus, später folgten ähnliche Anweisungen in Bezug auf „Ostarbeiter“. Sie sollten die Menschen aus Polen und später der Sowjetunion als rassisch minderwertig und „andersartig“ kategorisieren, sie in allen Lebensbereichen herabsetzen. Zehn Verordnungen regelten eine Kennzeichnungspflicht – ein von den Pol:innen zu erwerbender und zu tragender Aufnäher mit dem Buchstaben P –, schlechte Arbeitsbedingungen, Sonderabgaben, drastische Einschränkung der Bewegungsfreiheit und drakonische Strafen für jedweden Umgang mit der deutschen Bevölkerung. Pol:innen unterstanden direkt der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), nicht der Strafjustiz. Dies hatte u. a. zur Folge, dass sie ohne Verfahren und sogar ohne Grund in sogenannte Arbeitserziehungslager deportiert werden konnten. Für intime Beziehungen zu Deutschen sollten die polnischen Zwangsarbeitskräfte mit dem Tode bestraft werden. Meist drohten polnischen Frauen mehrere Monate Konzentrationslager, und für polnische Männer endete dies in vielen Fällen mit der Todesstrafe durch Erhängen.[1]
Das Verfahren der automatischen Androhung und Verhängung dieser Strafen wurde allerdings bereits im Juli 1941 durch den Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, geändert. Der Hinrichtung durch Erhängen, euphemistisch verbrämt als „übliche Sonderbehandlung“ sollte eine „rassische Beurteilung“ vorausgehen. Deren Ziel war die Feststellung einer möglichen „Wiedereindeutschungsfähigkeit“. So sollten aus Sicht der Nationalsozialisten so viele Arbeitskräfte wie möglich erhalten bleiben.[2] Übergeordnetes ideologisch-rassistisches Ziel war ein „erwünschter Bevölkerungszuwachs“ für den „deutschen Volkskörper“, bei gleichzeitiger Entfernung der entsprechenden „rassisch wertvollen Familien“ aus den Eliten des „polnischen Volkstums“.[3] Bereits im September 1940 hatte Himmler eine rassische Auswahl der Pol:innen im Hinblick auf „Wiedereindeutschungsfähigkeit“ als notwendig erachtet und eine Schätzung von einer Million Menschen, die dies betreffe, abgegeben.[4]
Um diese rassistischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen wurde bereits 1940 ein „Wiedereindeutschungsverfahren“ (WED-Verfahren) entwickelt und verwirklicht. Felix Klormann, der die Praxis des Verfahrens im Hinblick auf das Lager Hinzert erforscht hat, fasst zusammen:
„Das Resultat: Ein perfides zweigliedriges System, das polnische Zwangsarbeiter aufgrund charakterlicher und ‚rassischer‘ Prüfungen entweder in ‚eindeutschungsfähige‘ oder ‚minderwertige‘ Menschen einteilte. Überstand der Betroffene die erste ‚rassische Musterung‘, wurde er ins ‚Altreich‘ verbracht und dort in ein Konzentrationslager eingewiesen. Sofern er alle Anforderungen erfüllen konnte, wurde er als ‚erwünschter Bevölkerungszuwachs‘ anerkannt und entlassen.“[5]
Aus den während des ins Reich eingegliederten Gebieten wurden zwischen 1940 und 1944 mindesten 30.000 bis 35.000 Polen zur „Wiedereindeutschung“ ins „Altreich“ gebracht, was zumeist Lager und Zwangsarbeit bedeutete. Ebenso wurden tausende polnische Frauen als „wiedereindeutschungsfähige“ Hausmädchen verschleppt, die zum Teil bei höheren SS-Mitgliedern arbeiten mussten.[6]
Diejenigen, die diese Beurteilung nicht überstanden, wurden auf unbestimmte Zeit in Konzentrationslager eingewiesen. War der Grund für das Wiedereindeutschungsverfahren allerdings der Vorwurf des verbotenen intimen Umgangs gewesen, so wurden die beschuldigten Männer hingerichtet. Meist wurden noch zur Abschreckung alle (polnischen) Zwangsarbeitskräfte der Umgebung zur Hinrichtung transportiert und mussten dieser beiwohnen. Einige wurden auch zum Henken gezwungen.[7]
[1] Reichsgesetzblatt 1940 I, Nr. 55, S. 555, in: Documenta Occupationis (hg. vom Instytut Zachodni Poznań), Band X: Praca Przymusowa Polaków Pod Panowaniem Hitlerowskim 1939–1945, Poznań 1976, S. 17 ff. Zur Einführung s. Cord Pagenstecher und Ewa Czerwiakowski, Vor 75 Jahren: Die Polen-Erlasse. Ein zentrales Instrument nationalsozialistischer Ausgrenzungs- und Ausbeutungspolitik, in: Zeitgeschichte-online, April 2015, URL: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/vor-75-jahren-die-polen-erlasse (zuletzt aufgerufen am: 14.1.2022); vgl. https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/das-zeichen-p (zuletzt aufgerufen am: 14.1.2022).
[2] Klormann, Felix: „Eindeutschungs-Polen“ im SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert, in: Grotum, Thomas (Hrsg.), Die Gestapo Trier. Beiträge zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehörde, Köln u. a. 2018, S. 115–128, hier S. 115–117.
[3] Schreiben des Reichsführers SS an die Höheren SS und Polizeiführer vom 3.7.1940 mit der Anordnung über den Einsatz von eindeutschungsfähigen Polen, in: United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), RG-15.015 M, 259, zitiert in: Heinemann, Isabel: Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003, S. 282.
[4] Ebenda.
[5] Klormann, Felix: „Eindeutschungs-Polen“ im SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert, in: Grotum, Thomas (Hrsg.), Die Gestapo Trier. Beiträge zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehörde, Köln u. a. 2018, S. 115–128, hier S. 117.
[6] Peter Oliver Loew, Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutschland, München S. 117f. und zur Eindeutschung insgesamt: Ebenda, S. 117–123.
[7] Ebenda.