Deutsch-polnische Canaletto-Ausstellung in Dresden, Warschau und Essen 1963-1966

Eröffnung der Ausstellung Bernardo Bellotto genannt Canaletto in Dresden.
Eröffnung der Ausstellung "Bernardo Bellotto genannt Canaletto in Dresden und Warschau", Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum, 8.12.1964.

Gezeigt wurde die Ausstellung im Erdgeschoss des seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als Galeriegebäude dienenden Albertinums. Im Krieg schwer beschädigt, war der Bau 1956 mit zahlreichen Sammlungen, unter anderem den von der Sowjetunion restituierten Canaletto-Gemälden, wiedereröffnet worden und verzeichnete bis 1963 dreieinhalb Millionen Besucher.[5]  Für die Dresdner waren also nur die Canaletto-Bestände aus Warschau und Breslau wirklich „neu“. Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Max Seydewitz, 1947-52 sächsischer Ministerpräsident, verband mit der Ausstellung die Hoffnung, „die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk zu vertiefen“, denn „eine wichtige Voraussetzung für die Sicherung eines dauerhaften Friedens ist die Freundschaft der Völker“. Der Generaldirektor des Nationalmuseums Warschau, Stanisław Lorentz, Musikwissenschaftler, Kunsthistoriker und als ehemaliger Widerstandskämpfer für die Dokumentation polnischen Kulturguts unter der deutschen Besatzung vielfach ausgezeichnet, enthielt sich jeder politischen Würdigung. Er referierte stattdessen in seinem Katalogbeitrag „die Bedeutung der Bilder von  Bernardo Bellotto für den Wiederaufbau Warschaus“, der sich bei der Stadtsilhouette und bei einzelnen Gebäuden peinlich genau an den barocken Veduten orientiert hatte, nicht ohne dies auch kritisch zu hinterfragen.

Die Dresdner Ausstellung dürfte im Verhältnis zu den folgenden Stationen in Wien und Essen in neun Monaten rund 120.000 Besucher erzielt haben.[6] Im gleichen Zeitraum verzeichneten die gesamten Staatlichen Kunstsammlungen rund 1,9 Millionen Besucher.[7] Fotografien aus der Ausstellung, die von den freien Bildjournalisten Erich Höhne und Erich Pohl angefertigt wurden und auch in der Tagespresse erschienen,[8] zeigen ein fein gekleidetes bildungsbürgerliches Publikum, das nicht nur die Gemälde, sondern auch den Katalog ausführlich studierte. Tageszeitungen wie die Neue Zeit, das Neue Deutschland  und die Berliner Zeitung, welche Canalettos Warschauer Ansicht der „Krakauer Vorstadt“ abbildete, berichteten ausführlich.[9] Am 12. und 13. Mai 1964 veranstalteten die Staatlichen Kunstsammlungen  Dresden eine Konferenz der beteiligten Wissenschaftler aus Polen und Deutschland. Von September bis November des Jahres wurde die Ausstellung im Nationalmuseum in Warschau gezeigt. Aus diesem Anlass gab Generaldirektor Seydewitz im Warschauer Hotel Bristol einen Cocktailempfang, an dem führende Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Polen, der deutsche und der italienische Botschafter sowie Canaletto-Forscher aus der UdSSR, Italien, den USA, England und Westdeutschland teilnahmen.[10] Anschließend war die Ausstellung in Krakau und Wien zu sehen, inzwischen vermehrt um Leihgaben aus der Leningrader Eremitage, dem Puschkin-Museum in Moskau und dem Kunsthistorischen Museum in Wien.

Auch in der Bundesrepublik stieß die Ausstellung auf großes Interesse. „Die Idee kam dem deutschen Kapitalisten im kommunistischen Osten“, schrieb die Zeitschrift „Der Spiegel“ am 2.5.1966: „Als der Krupp-Generalbevollmächtigte Berthold Beitz im Warschauer Nationalmuseum die Bilder eines alten Italieners betrachtet hatte, wollte er sie auch in Deutschland sehen.“[11] Beitz, seit 1953 engster Vertrauter von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, hatte seit langem enge Verbindungen zu Polen. Bereits im Februar 1958 reiste er zu ersten Wirtschaftsgesprächen nach Warschau.[12] Im Dezember 1960 wurde Beitz vom polnischen Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz zu einem Staatsbesuch eingeladen, bei dem mit stillschweigender Billigung des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer eine Intensivierung der polnischen Wirtschaftsbeziehungen mit der Bundesrepublik verhandelt wurde[13] und bei dem er auch mit Außenhandelsminister Trąmpczyński und Parteichef Gomułka zusammentraf. Beitz war ohnehin in Polen hoch angesehen. Im September 1939 vom Oberkommando des deutschen Heeres zur Verwaltung der Ölfelder in Galizien abkommandiert, versteckten er und seine Frau zwischen 1941 und 1944 unter anderem in Borysław Juden und Polen vor der Gestapo. Cyrankiewicz schlug als ersten Schritt einer Annäherung zwischen Westdeutschland und Polen die Intensivierung der kulturellen Beziehungen vor und bot Leihgaben ägyptischer Kunst für eine Ausstellung im Mai 1961 in der Villa Hügel in Essen an.[14]

 

[5] Bernardo Bellotto, Ausstellungskatalog Dresden 1963, S.15

[6] In Wien zählte die Ausstellung vom 29.4. bis 25.7.1965 42.000 Besucher (Berliner Zeitung v. 25.8.1965), in Essen vom 29.04. bis 31.07.1966 51.000 Besucher (villahuegel.de).

[7] Neues Deutschland v. 18.9.1964

[8] Berliner Zeitung und Neues Deutschland v. 14.12.1963

[9] Neue Zeit v. 12.1.1964; Neues Deutschland v. 15.1.1964; Berliner Zeitung v. 22.1.1964

[10] Neues Deutschland v. 4.10.1964

[11] Der Spiegel 19/1966, S. 166

[12] Der Spiegel 6/1961, S. 16

[13] Der Spiegel 6/1961, S. 17

[14] Der Spiegel 6/1961, S. 18; Ausstellung „5000 Jahre Ägyptische Kunst“, Villa Hügel, Essen, 15.05.-27.08.1961 (villahuegel.de)

Mediathek
  • Ausstellungs-Katalog

    "Bernardo Bellotto genannt Canaletto in Dresden und Warschau", 8.12.1963 - 31.8.1964. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum.
  • Eröffnung der Ausstellung "Bernardo Bellotto genannt Canaletto in Dresden und Warschau".

    Dresden, 08.12.1963.
  • Besucher der Ausstellung in Dresden

  • Besucher der Ausstellung in Dresden

    Treppenaufgang im Albertinum.
  • Blick in den Saal

    Besucher der Ausstellung "Bernardo Bellotto genannt Canaletto".
  • Gesamtansicht von Warschau mit der Weichsel, von der Vorstadt Praga aus.

    1770, Öl auf Leinwand, 172,5 x 262 cm.
  • Ansicht von Warschau von der Terrasse des königlichen Schlosses

    Öl auf Leinwand, 166 x 269 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Norodowe w Warszawie.
  • Eiserner-Tor-Platz

    Um 1779, Öl auf Leinwand, 116 x 164 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Norodowe w Warszawie.
  • Neustädter Markt mit der Sakramentinerinnenkirche

    Undatiert, Öl auf Leinwand, 84 x 106 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Norodowe w Warszawie.
  • Ansicht von Ujazdów und Łazienki

    Nach 1775, Öl auf Leinwand, 146 x 243 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Norodowe w Warszawie.
  • Schloss Wilanów von der Parkseite

    Undatiert, Öl auf Leinwand, 84 x 108 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Norodowe w Warszawie.
  • Ausstellungskatalog "Bernardo Belotto 1720-1780"

    "Paintings and drawings from the National Museum of Warsaw", 30.4.-30.5.1957, Whitechapel Art Gallery, London.
  • Deutsch-polnische Canaletto-Ausstellung in Dresden - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.