Das polnische Gymnasium in Marienwerder (Kwidzyń)

Marienwerder (Kwidzyń), Polnisches Gymnasium, 1937.
Marienwerder (Kwidzyń), Polnisches Gymnasium, 1937

1936 wurden alle Bauarbeiten und die Innenausstattung fertig gestellt. Die deutsche Regierung zögerte die Eröffnung der Schule allerdings heraus. Man befürchtete das Entstehen einer starken Bildungseinheit, die der deutschen Germanisierungspolitik gefährlich werden und zukünftige polnische Eliten im Ermland und den Masuren ausbilden könnte. In den Jahren 1934–1937 mahnte der „Verein polnischer Schulgesellschaften“ über hundert Mal die deutschen Ämter, die Schule in Marienwerder endlich zu eröffnen. Das Ausbleiben einer Entscheidung von Seiten der deutschen Regierung rief Empörung in der polnischen Gesellschaft hervor. Das pommersche Kuratorium des Schulbezirks beschloss zu Beginn des Schuljahres 1937 / 1938 die zwei größten und beliebten deutschen Gymnasien in Bromberg (Bydgoszcz) und Graudenz (Grudziądz) als Druckmittel zu schließen. Auf die erhoffte Reaktion musste nicht lange gewartet werden. Am 31. Oktober 1937 informierte der Präsident des Regierungsbezirks, von Kendel, den „Verein polnischer Schulgesellschaften“ über die Erlaubnis des preußischen Schulministeriums, das Gymnasium in Marienwerder zu eröffnen. Am 10. November wurde die Schule feierlich eröffnet. An der Eröffnung nahm der Vorsitzende des „Bundes der Polen in Deutschland“, Pfarrer Bolesław Domański, teil. Die Schule trug den offiziellen Namen “Private Schule mit Hochschulprogramm und polnischer Lehrsprache in Marienwerder“. Ihr Direktor wurde Władysław Gębik, der von Beruf Biologe war. Er kam 1900 in Szczyrk bei Limanowa zur Welt (und starb 1986 in Krakau). Er absolvierte das Gymnasium in der Ortschaft Myślenice in Galizien und ein Agrarstudium an der Jagiellonen-Universität in Krakau. Als Freiwilliger nahm er 1920 am polnisch-sowjetischen Krieg teil. 1924 beendete er das Studium mit dem Titel des Ingenieurs. Er arbeitete und setzte sein Studium an der Universität in Posen (Poznań) fort, erhielt 1928 sein Diplom als Biologie- und Chemielehrer an Mittelschulen und erwarb 1932 den Titel eines Doktors der Philosophie.

Die Lehre des Gymnasiums hatte ein hohes Niveau. Im ersten Jahr waren 94 Jungen an der Schule. Man verband typische Bildungsaufgaben mit einer polnisch-patriotischen Erziehung. Das Lehrerkollegium bestand aus dreizehn Lehrern, von denen fünf die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Die restlichen waren polnische Staatsbürger. Alle Schüler waren unabhängig von ihrem Wohnort dazu verpflichtet im schulischen Internat zu wohnen. In der Schule wohnten auch die Lehrer und andere Mitarbeiter. Auf diese Weise wollte man die Selbstständigkeit der Schüler perfektionieren und ein Gemeinschaftsgefühl herausbilden. Die Schule besaß eine eigene Hymne, das sogenannte „Lied der Marienwerder“. Sie begann mit den Worten "Przeminęły już wieki a myśmy ostali, burzom dziejów nie dali się zgnieść" / „Es sind schon Jahrhunderte vergangen, doch wir sind verblieben, ließen uns von den Stürmen der Geschichte nicht zerquetschen“. Sie wurde im März 1938 vom Lehrer Leon Kauczor komponiert.

Während der zwei Jahre ihrer Existenz war die Schule verschiedenen Schikanen von Seiten der deutschen Regierung und der lokalen Bevölkerung ausgesetzt. Oftmals kam es zu Fällen von Einschüchterungen und Körperverletzung. 1939 verstärkten sich die deutschen Repressalien gegen die Schule. Am 25. August des Jahres wurden Schüler und Lehrer festgenommen und in einer Psychiatrie in Tapiau (heute im Oblast Kaliningrad der Russischen Föderation) untergebracht. In der zweiten Hälfte des Septembers 1939 ließ man die jüngsten Schüler, die noch nicht 18 Jahre alt waren, frei, die älteren wurden in die Wehrmacht eingezogen und die Lehrer und Mitarbeiter fanden sich in den Konzentrationslagern Stutthof, Mauthausen, Sachsenhausen und Gusen wieder. Ein Teil von ihnen überlebte den Krieg nicht. Das Gymnasium wurde aufgelöst. Es wurde nach dem 2. Weltkrieg, Marienwerder (Kwidzyń) lag nun im polnischen Staatsgebiet, wiederbelebt. Zurzeit werden die Traditionen des Gymnasiums im I. Allgemeinen Lyzeum in Marienwerder fortgesetzt.

 

Krzysztof Ruchniewicz, Juni 2014