Das Dom Polski in Allenstein / Olsztyn
Vor dem Ersten Weltkrieg befand sich in dem eindrucksvollen Gründerzeitgebäude, errichtet um 1885 von Unternehmer Joachim Hosmann und bis heute äußerlich wenig verändert, eine Reihe von Restaurants und Gasthäusern. 1899 verkaufte Hosmann das Haus an Otto Holzky, der hier ein Hotel namens „Reichshof“ eröffnete. Das Gebäude wechselte in den folgenden Jahren mehrfach den Besitzer aber das Hotel, in dem auch einmal der preußische Generalfeldmarschall Albrecht von Preußen übernachtete, blieb weiter in Betrieb, wenn auch unter wechselndem Namen: 1912 wurde es in „Central Hotel“ umbenannt, ein paar Jahre später wieder zurück in „Reichshof“.
Der Erste Weltkrieg und die damit einhergehenden enormen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zeigten sich auch in der bis dahin provinziell-ruhigen Garnisonstadt, und das Haus an der Bahnhofstraße sollte sich dabei zum Brennpunkt der deutsch-polnischen Beziehungen, oder vielmehr deren Ausbleiben, entwickeln. 1920 wurde das Gebäude von den Behörden der 1918 entstandenen 2. Republik Polens gekauft und Teile des Gebäudes als Sitz des polnischen Plebiszit-Komitees umfunktioniert. Das Hotel blieb als „International“ unter den neuen Besitzern weiter in Betrieb.
Am 22. Juni 1920 wurde der Friedensvertrag von Versailles durch die Nationalversammlung der neugegründeten Weimarer Republik angenommen: Nach den Bestimmungen des Vertrags wurde Polen – seit 1795 zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Russland aufgeteilt – eine international anerkannte und unabhängige Republik, der das Deutsche Reich territoriale Zugeständnisse machen musste. Der als „Diktatfrieden“ empfundene Versailler Vertrag wurde von allen Gesellschaftsschichten Deutschlands abgelehnt. Der linke Politiker, Pazifist und erklärte Kriegsgegner Hugo Haase aus Allenstein/Olsztyn schrieb dazu im Mai 1919: „Als Ostpreuße weise ich besonders auf die Vergewaltigung hin, die der Bevölkerung dieser Provinz zugedacht worden ist... Fast 40 Jahre hindurch habe ich mit den Bewohnern jenes Gebiets, das jetzt vom Deutschen Reich losgerissen werden soll, nie an eine Trennung gedacht, niemals die Vereinigung mit einem anderen Volke gewünscht, sie wird einfach durch einen Gewaltakt wie eine leblose Masse an einen anderen Staat verschoben.“[1]
Laut Vertrag sollten in mehreren Grenzgebieten Volksabstimmungen stattfinden, um die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich oder dessen Nachbarstaaten festzulegen. In der Provinz Ostpreußen waren es das südliche Ermland und Masuren, für die eine Volksabstimmung am 11. Juli 1920 festgelegt wurde. Anfang 1920 trafen britische, französische, italienische und japanische (!) Truppen in Allenstein/Olsztyn ein und übernahmen das militärische Kommando und die zivile Verwaltung. Für das Plebiszit stimmberechtigt waren alle, die am 10. Januar 1920 das zwanzigste Lebensjahr vollendet hatten sowie im Abstimmungsbezirk geboren waren oder dort seit dem 1. Januar 1905 ihren Wohnsitz hatten, also auch die auswärts lebenden Ermländer und Masuren. Die polnische Seite konnte in Masuren auf keine große Unterstützung hoffen, etwas besser sah es dagegen im Landkreis Allenstein aus. Um sichere und faire Wahlen zu gewährleisten, wurde die Stadt Allenstein für eine Weile zu einem eigenen Staat: Die Abstimmungsgebiete wurden zwei interalliierten Kommissionen aus fünf Mitgliedern unterstellt, die von den wichtigsten alliierten und assoziierten Mächten als Vertreter des Völkerbundes ernannt wurden. Seit dem Eintreffen der alliierten Kommission in der Stadt waren die Spannungen allerdings groß. Anfang März kam es im polnischen Konsulat zu einer Auseinandersetzung, wie die konservativ-deutschnationale Ermländische Zeitung am 7. März 1920 berichtete:
„Um die Mittagszeit, als die Kapelle der britischen Truppen vor dem Regierungsgebäude spielte, in dem die interalliierte Kommission ihren Sitz hat, wurde aus einem der Fenster des polnischen Konsulats eine polnische Fahne gehisst. Sobald dies zu sehen war, versammelten sich die Menschen vor dem Konsulat; und auch die Menschen, die sich vor dem Regierungsgebäude versammelt hatten, um das Konzert zu hören, eilten in Richtung Bahnhofstraße und schlossen sich den Menschen vor dem Konsulat an. Die deutsche Bevölkerung rief nun: 'Nieder mit der Fahne!' Als nichts geschah und Generalkonsul Lewandowski sich am Fenster zeigte, stürmten einige Männer auf die Terrasse des Hotel Imperial, das im selben Gebäude untergebracht war, rissen die Fahne unter den Anfeuerungsrufen der Menge herunter und zerrissen sie. Dann sang die Menge ‚Deutschland, Deutschland über alles' und 'Heil dir im Siegerkranz‘.“
Daraufhin enthob die interalliierte Kommission den Bürgermeister von Allenstein, Georg Zülch, seines Amtes, da er sich weigerte, sich beim polnischen Konsulat zu entschuldigen. In den Wochen vor dem Plebiszit verstärkten beide Seiten ihre Aktivitäten, und die Wahlbezirke wurden mit Plakaten und Flugblättern, patriotischen Feiern, Konzerten und Kundgebungen geradezu überschwemmt. Die polnischen Aktivitäten wurden aus dem Haus an der Bahnhofstraße geplant und koordiniert. Die 2. Polnische Republik führte aber gleichzeitig einen blutigen Krieg gegen die Sowjetunion, die Unterstützung des Plebiszits musste im Angesicht der Kriegslage zurückstehen: Im Mai 1920 hatte die Rote Armee in der Nähe von Kiew eine Offensive gestartet, Anfang Juni befanden sich die polnischen Truppen auf dem Rückzug. Es sah nicht gut aus für den neuen polnischen Staat. Je näher das Datum der Abstimmung rückte, desto hektischer wurde die Lage. Am 2. Juli berichtet die Ermländische Zeitung, dass eine Gruppe nationalistischer Deutscher gewaltsam das Haus an der Bahnhofstraße betrat, dort aber zusammengeschlagen und in einen Raum gesperrt wurden. Erneut versammelte sich eine große Menschenmenge vor dem Haus und verlangte die Herausgabe der „Gefangenen“. Bald standen sich Truppen der deutschen Reichswehr, der neugegründeten Armee der Weimarer Republik und britische Truppen mit aufgesetzten Bajonetten gegenüber. Während einige britische Soldaten das Gebäude betraten, drohten die deutschen Truppen damit, Maschinengewehre in Stellung zu bringen. Einige Polen erschienen am Fenster und riefen laut der Ermländischen Zeitung heraus: „Ihr habt nicht einmal Maschinengewehre!“. Die blutüberströmten „Gefangenen“ wurden schließlich von den Briten aus dem Gebäude eskortiert. All diese Eskalationen führten dazu, dass das Haus bald von einer Stacheldrahtsperre umgeben war und von Militärposten bewacht wurde.
[1] Andreas Kossert: Ostpreussen, Geschichte und Mythos, S. 218