Barbara Kwiatkowska-Lass (1940–1995)

Barbara Kwiatkowska-Lass 1961 bei den Filmfestspielen in Cannes. Zweiter von rechts Alain Delon, links hinter der Schauspielerin Roman Polański
Barbara Kwiatkowska-Lass 1961 bei den Filmfestspielen in Cannes. Zweiter von rechts Alain Delon, links hinter der Schauspielerin Roman Polański

Barbara Kwiatkowska (geboren am 1. Juni 1940 in Patrowo in Kujawien) war kaum 17 Jahre alt, als sie durch die Titelrolle in Tadeusz Chmielewskis Film „Eva will schlafen“ (1957) über Nacht berühmt werden sollte. Die junge, damals völlig unbekannte Frau spielte an der Seite von Stanisław Mikulski eine Schülerin, die am Tag vor dem Schulbeginn einen Platz zum Schlafen sucht, da sie ihr Internat nicht aufnehmen will. In diesem Streifen wirkten viele große Schauspieler des polnischen Kinos wie Roman Kłosowski, Kalina Jędrusik, Jan Kobuszewski und Ludwik Benoit mit. Die Dialoge stammten von Jeremi Przybora. Kwiatkowska, die keinerlei Erfahrung als Darstellerin hatte, wurde aufgrund eines Wettbewerbs der Wochenzeitschrift „Film“ besetzt. Erst Jahre später stellte sich heraus, dass dieses Casting nur pro forma erfolgte, da Mitarbeiter von Regisseur Tadeusz Chmielewski die auffallend hübsche Erscheinung bereits bei den Tanzaufnahmen zum Kurzfilm „Epizod“ (Episode) von Bronisław Brok entdeckt hatten. Kwiatkowska besuchte damals die Ballettschule in Warszawa (Warschau) und träumte von einer Karriere als Tänzerin. Wäre es nicht zu dieser zufälligen Begegnung am Set gekommen, hätte sie vielleicht nie als Schauspielerin vor der Kamera gestanden. „Die Irreführung in der Auswahl der Darstellerin der Eva bestand darin, dass ich Basia[1] Kwiatkowska schon viel früher ausgesucht hatte. Es gab sogar schon Kostüme für sie. Sie wusste von Anfang an, dass sie gewinnen würde. Ich habe dem Wettbewerb zugestimmt, weil er eine tolle kostenlose Werbung für meinen Film gewesen ist. Basia war ein außergewöhnlich schönes, ganz natürliches, unschuldig wirkendes Mädchen, das sofort einen interessanten Kontrast zu den Übeltätern stand. Dabei war sie schauspielerisch begabt“[2], erinnerte sich Jahre später Tadeusz Chmielewski, für den der Film „Eva will schlafen“ sein Regiedebüt war.

Die Wahl der unbekannten Tänzerin aus einem Dorf in Kujawien für die Titelrolle der Eva erwies sich als ideal. Der Erfolg der Komödie im Stil einer Hinterhofballade war enorm. Barbara Kwiatkowska stieg rasch in die erste Liga der Filmschauspielerinnen auf. Man bewunderte ihre bemerkenswerte Ausstrahlung und rühmte sie für ihren Charme sowie für ihr schauspielerisches Talent. Tausende polnische Männer schwärmten für die junge Frau. Auch Roman Polański, damals Regiestudent an der Filmhochschule in Lodz (Łódź), war von ihr begeistert. Als er ihr 1957 zum ersten Mal im Foyer des Grand Hotels in Lodz begegnete, verschlug es ihm die Sprache wie er Jahre später bekannte: „Sie war das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Dunkelhaarig, fast brünett, mit ovalem Gesicht, wunderschönen langen Wimpern, einem Stupsnäschen und einem elastischen, straffen Körper. Für eine achtzehnjährige Schönheit war sie ziemlich prüde und introvertiert, so dass ich zunächst kein ernsthafter Kandidat für ihre Zuneigung war.“[3] Als er dann seinen Kommilitonen Janusz Morgenstern nach ihr befragte, antwortete der: „Sie spielt in ‚Ewa chce spać‘ und heißt Barbara sonst noch was.“[4]

 

[1] Verkleinerungsform von Barbara – Anm. d. Übers.

[2] Święcicka, Agnieszka: Pierwszemu mężowi zostawiła kabriolet, dla drugiego zakończyła karierę. Oto historia polskiej Brigitte Bardot, in: onet.pl, 02.03.2021, URL: https://plejada.pl/newsy/barbara-kwiatkowska-lass-zazdrosny-drugi-maz-zakonczyl-jej-kariere/b0h1hrj (zuletzt aufgerufen am 13.09.2021).

[3] Gańczak, Filip: Taka była pierwsza żona Polańskiego, in: Newsweek.pl, 06.03.2010, URL: https://web.archive.org/web/20130421040506/http://kultura.newsweek.pl/taka-byla-pierwsza-zona-polanskiego,54738,1,1.html (zuletzt aufgerufen am 13.09.2021).

[4] Ebenda.

Zu der Zeit unterhielt Barbara Kwiatkowska ein Techtelmechtel mit Tadeusz Chmielewski. Da die Beziehung zu dem verheiraten, um ein Dutzend Jahre älteren Regisseur unweigerlich zum Scheitern verurteilt war, vertraute sich die junge, von Zweifeln geplagte Frau Roman Polański oft an. Schließlich wurden die beiden ein Paar, wobei man ihre Beziehung als liberal bezeichnen kann, da beide noch andere Partner hatten. Mehr noch: Zeitweilig war Barbara auch mit dem Graphiker Lech Zahorski liiert, was Polański nicht davon abhielt, um ihre Hand anzuhalten. Sie willigte ein und das Paar heiratete im September 1959, wobei die Hochzeit so ausgelassen gefeiert worden sein soll, dass die Nachbarn die Polizei rufen mussten. Allerdings zogen die Beamten unverrichteter Dinge wieder ab, als sie in der Braut die berühmte Schauspielerin erkannten.

Ihre Karriere in Frankreich begann durch Protektion von Polański. Da Barbara Kwiatkowska kein Französisch sprach, stellte ihr Mann die Kontakte zu Regisseuren her und wählte auch die Rollen aus. Ihre Texte musste sie phonetisch auswendig lernen. Polańskis Verbindungen trugen ihr die Hauptrolle in dem Film „La 1000eme fenêtre“ (Das Haus der 1000 Fenster) des französischen Regisseurs Robert Ménégoz ein. Ein Jahr später, 1960, spielte sie an der Seite von Alain Delon in der italienisch-französischen Produktion „Halt mal die Bombe, Liebling“ (Originaltitel: Che gioia vivere). Auf Zureden der Produzenten nahm sie damals auch den leichter auszusprechenden Künstlernamen „Lass“ an. Roman Polański gab die Gage seiner Ehefrau für ein rotes Mercedes-Cabrio aus. Bald darauf stellte sich heraus, dass dieses auffällige Auto die einzige Erinnerung an seine Ehe mit der Schauspielerin werden würde.

1961 reist Barbara Kwiatkowska-Lass nach Rom und lernt dort bei den Dreharbeiten zu „Rififi in Tokio“ den österreichischen Schauspieler Karlheinz Böhm kennen, der 1955 als junger Kaiser Franz Joseph in „Sissi“ zur Ikone des Kinos in Deutschland und in Österreich geworden war. Der blendend aussehende Liebhaberdarsteller ist ein Frauenschwarm, dessen Charme auch Kwiatkowska verfällt. Bald darauf wird sie seine dritte Ehefrau. Das Paar lässt sich in Bayern nieder. Die Schauspielerin, die in Polen und im Ausland große Erfolge gefeiert hatte, führt nun ein Leben an der Seite ihres berühmten Gatten. 1964 bringt sie Tochter Katharina zur Welt und führt ihr Leben als Hausfrau und Mutter. Doch die Idylle wird durch Böhms Eifersucht getrübt, der ihr verbietet, weitere Filme zu drehen. Die Schauspielerin unterwirft sich dem Willen ihres Mannes und lässt es zu, dass er ihrer Agentin schreibt, sie solle keine Rollenangebote mehr schicken. „Ich benahm mich wie eine Idiotin. Ich bedauere es, weil meine Entscheidung von meiner Schwäche zeugte“ [4], gestand sie Jahre später in einem Interview.

1967 war Barbara Kwiatkowska dann noch einmal an der Seite von Daniel Olbrychski und Zbigniew Cybulski in der Titelrolle von „Jowita“ zu sehen. Danach verschwand sie fast ganz von der Leinwand und trat nur noch sporadisch in deutschen Film- und TV-Produktionen wie in „Der Pfarrer von St. Pauli“ (1970) sowie in Rainer Werner Fassbinders „Effi Briest“ (1974) auf. Im Wesentlichen widmete sie sich ihrem Haus und der Erziehung der Tochter, die sich als junge Erwachsene ebenfalls für die Schauspielerei entschied. Die Ehe der Eltern zerbrach schließlich 1980. Kwiatkowska wollte wieder auf die Leinwand zurück, doch dies war nicht leicht für sie, da sie nach der langen Pause von der Filmwelt vergessen worden war. Gleichwohl reichte es noch für einige weitere Filme, wobei ihre bekannteste Rolle in dieser Zeit die der Mutter in „Rosa Luxemburg“ (1986) war.

 

[4] Miniewicz, Sonia: Barbara Kwiatkowska-Lass: kochała, żyła, teraz śpi, in: onet.pl, 12.06. 2021, URL: https://kultura.onet.pl/film/wywiady-i-artykuly/barbara-kwiatkowska-lass-kochala-zyla-teraz-spi/rfbqs3f (zuletzt aufgerufen am 13.09.2021).

Nach der Scheidung von ihrem Mann fand sie sich in einer neuen Rolle wieder. Nach der Ausrufung des Kriegszustands in Polen beschloss Kwiatkowska, die gegen das kommunistische Regime aufbegehrende Opposition zu unterstützen. Sie organisierte Hilfe für die Solidarność und schickte Pakete nach Polen. In ihrem Haus in Bayern hielten sich polnische Oppositionelle auf und es kam auch vor, dass Menschen dort Zuflucht suchten. Eine einzigartige Freundschaft verband die Schauspielerin mit Jacek Kaczmarski, dem bekannten Barden der Gewerkschaftsbewegung. Zu ihren Besuchern zählten auch Andrzej Wajda und Agnieszka Osiecka. In den 1980er Jahren begann ihre Zusammenarbeit mit dem Sender Radio Free Europe in München, wo sie sich auch im freiheitlichen Klub Niezależnej Myśli Politycznej im. Juliusza Mieroszewskiego (Juliusz Mieroszewski-Klub für freies politisches Denken) engagierte. Gemeinsam mit ihrem neuen Lebenspartner, dem Jazzmusiker Leszek Zadlo (poln. Schreibweise Leszek Żądło) rief Barbara Kwiatkowska hier den Verein Stowarzyszenie na Rzecz Porozumienia Niemiecko-Polskiego (Verein zur Förderung der Deutsch-Polnischen Verständigung) ins Leben und leitete ihn auch. Das Paar zog sogar einen Ortswechsel nach Kraków (Krakau) in Erwägung, wo es ein Haus erwarb. Doch dieser Plan blieb unerfüllt, da sie just, als alles in ihrem Leben gut zu laufen schien, die Diagnose ihrer schweren Krankheit erhielt, die auf virale Leberentzündung Typ C lautete. Die Ärzte gaben der Schauspielerin nur noch maximal zehn Jahre Lebenszeit. Ihr Tod kam dann jedoch plötzlich. Sie starb im März 1995 an einer Hirnblutung, die sie in einem Konzert des berühmten Jazztrompeters Al Porcino in Baldham bei München erlitt. Die Beerdigung, die von einem Skandal überschattet wurde, fand auf dem Rakowicki-Friedhof in Kraków statt. Kurz vor der Trauerfeier fiel auf, dass die Urne mit den sterblichen Überresten der Schauspielerin abhanden gekommen war. Diese wurde erst nach einer umfangreichen Suchaktion, an der auch der polnische Staatsschutz beteiligt war, in Bytom (Beuthen) wieder aufgefunden, so dass die Beisetzung mit einiger Verspätung nachgeholt werden konnte. Auf der Grabplatte wurden Noten eines ihr gewidmeten Musikstücks von Leszek Zadlo in Stein gemeißelt, außerdem eine Inschrift aus der Feder von Jacek Kaczmarski, dem guten Freund der Schauspielerin, die da lautet: „Ewa will schlafen... Basia lebte, liebte. Jetzt schläft Sie.“

 

Monika Stefanek, November 2021

 

Ich danke Leszek Zadlo und dem Archiv der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen für die Überlassung der Fotos für diesen Beitrag.

 

Mediathek
  • Barbara Kwiatkowska-Lass

    1959
  • Barbara Kwiatkowska-Lass 1961 bei den Filmfestspielen in Cannes

    Zweiter von rechts Alain Delon, links hinter der Schauspielerin Roman Polański
  • Barbara Kwiatkowska-Lass und Alain Delon

    Im Film „Halt mal die Bombe, Liebling“, 1961
  • Barbara Kwiatkowska-Lass mit ihrem zweiten Ehemann Karlheinz Böhm

    New York, 1962
  • Barbara Kwiatkowska (in der Mitte) in „Halt mal die Bombe, Liebling“

    1961
  • Leszek Zadlo, Barbara Kwiatkowska und ihre Schwester

    Paketaktion im Rahmen der Polenhilfe, München, Februar-März 1982
  • Paketaktion im Rahmen der Polenhilfe während des Kriegszustandes

    München, Februar-März 1982
  • Mitarbeiter:innen des Senders Radio Freies Europa, Februar 1994

    Von links: unbekannt, Jacek Kaczmarski, Leszek Zadlo, Barbara Kwiatkowska, Zbigniew Łapiński
  • Treffen im Konsulat der Republik Polen in München am 12.12.1992

    In der Mitte Leszek Zadlo, rechts Barbara Kwiatkowska
  • Treffen im Konsulat der Republik Polen in München

    Mitarbeiter:innen des Senders Radio Freies Europa, rechts außen Leszek Zadlo, neben ihm Barbara Kwiatkowska, 12.12.1992
  • Im Konsulat der Republik Polen in München, März 1993

    Von links: Pfarrer Tadeusz Kirschke, Barbara Kwiatkowska, unbekannt
  • Jerzy Fedorowicz (links) und Barbara Kwiatkowska

    Foto: Krzysztof Litwin
  • Barbara Kwiatkowska-Lass

    1984
  • Mitarbeiter:innen des Senders Radio Freies Europa

    Treffen in Warschau
  • Barbara Kwiatkowska-Lass bei einem Treffen der Mitarbeiter des Senders Radio Freies Europa

    Warschau
  • Treffen mit Barbara Kwiatkowska

    Krakau, 1990er Jahre
  • Das Grab von Barbara Kwiatkowska-Lass

    Auf dem Rakowicki-Friedhof in Krakau