AUSWEITUNG DER KAMPFZONE ODER EINE LANDSCHAFT VOLLER HOFFNUNG? Über die Malerei aus Papier von Joanna Buchowska
Jeder kreative Prozess ist mit einer ständigen Entscheidungsfindung verbunden. Und obwohl ihre Kunst den klassischen Etiketten entgleitet, verzichtet sie auf ein überintellektuelles Moralisieren, sie will einfach über etwas malen. Zum Beispiel über ihre Faszination für die Landschaft, darüber, wie sie die Landschaft sieht, und ob jene Landschaft ein gutes Gegenmittel gegen die Reizüberflutung in der uns umgebenden Realität sein kann. Die Nachbildung echter Naturorte in ihren Werken weicht vor den Ansichten, die ihre außergewöhnliche Fantasie diktiert, zurück. Oft handelt es sich um eine Vedute oder eine Stadtlandschaft, deren Hauptbezugspunkt ein architektonisches Element ist; manchmal verwendet sie eine Staffage und lenkt dann die Aufmerksamkeit auf eine traurige Figur mit einem seltsamen Gesicht, in dem man nicht immer einen Menschen erkennt. Vielleicht ist es eine Reaktion auf die Anonymität, die vom System aufgezwungen wird? Manchmal stellt sie eine gewöhnliche Situation und manchmal eine paradoxe Gegebenheit dar. Die Frage ist, inwieweit sie die Tradition der Landschaftsmalerei fortsetzt und inwieweit sie über ihren Rahmen hinausgeht? Die Intimität und autobiografische Metapher umschlingt sie mit universellen Themen, die den Kontext der Botschaft erweitern und gleichzeitig nimmt sie sich vor einer in der Kunstwelt allgegenwärtigen Mittelmäßigkeit in Acht. Manchmal sind es kurze Botschaften, manchmal längere Geschichten, die reduziert oder erweitert, aus der Nähe oder aus der Ferne gesehen, von oben, auf Augenhöhe oder von unten dargestellt werden. Ihre Perspektive folgt entweder der Norm oder wird gestört, bleibt konvergent, wie in den klassischen Stadtlandschaften, oder wird durch kontrastierende Farben erreicht, aber im Allgemeinen werden ihre Botschaften nie zu einer einfachen Abbildung. Die Mischung aus realer Welt (realistische Fotoaufnahmen) und künstlerischer Umwandlung drückt die reinste, authentische, malerische Emotion der Künstlerin aus. Der häufige Einsatz von Humor, Kontrast und einer nicht offensichtlichen Zusammenstellung von Zeitungsausschnitten dient dem Zweck, Betrachter:innen in ein faszinierendes Spiel zu ziehen, in dem die Künstlerin sie ihre eigenen Interpretationswege beschreiten lässt. Sie überfällt sie nie mit einer Flut an Information und respektiert deren Entscheidungen, wobei sie eindeutig Offline-Treffen vorzieht: persönlich, zwischen Menschen.
Und das ist genau das, was wir in der verrückten Welt des Internets vermissen und was wir in den Werken von Joanna Buchowska finden, nämlich Einfühlungsvermögen, Freundlichkeit, eine Art Stille, Abgeschiedenheit und gleichzeitig Achtsamkeit gegenüber der anderen Person. Joanna Buchowska ist geistig wach und fordernd – sowohl gegenüber sich selbst als auch den Betrachter:innen. Dabei meine ich nicht nur vorgebildete Betrachter:innen, denn auch die, die erst beginnen, sich mit Kunst zu befassen, bekommen eine Chance. Indem sie sich stark um Selbstreflexion bemüht, nimmt sie sich nicht aus und nutzt ihr eigenes Bild als selbstironische Wahrnehmung ihrer Position als Künstlerin. Einerseits zeigt sie eine auf behavioristische Reaktionen reduzierte Welt, andererseits eine Sehnsucht nach der verlorenen Hälfte ihrer selbst ... Uns selbst?
Obwohl Joanna Buchowska die kulturelle und ästhetische Depression des 21. Jahrhunderts kennt, ist es ihr gelungen, eine genaue Diagnose zu stellen und mit großer Sensibilität die postpandemische Stimmung zu erspüren: In Zeiten extremer Spannungen und fundamentaler Veränderungen ist der Verlust in ihren Bildern mit einer aufatmenden Bejahung verwoben. Die Betrachtung dieser Bilder ist wie eine Reise ins Unbekannte und doch Vertraute... Mieczysław Porębski sagte einmal mit Blick auf den direkten Kontakt mit der Kunst, dass man mit einem Bild wohnen wollen muss. Ich wohne mit einem Bild von Joanna Buchowska bereits seit einem Dutzend Jahre – immer noch in einer perfekten Symbiose.
Magda Potorska, Juli 2023
Offizielle Seite von Joanna Buchowska
Wichtigste Stipendien und Künstleraufenthalte
Käthe Dorsch Stipendium, Berlin 2009
Artist in Residency, Finnland, 2009
Artist in Residency, Bulgarien, 2010
Stipendium, Herrenhaus Edenkoben, 2016
Stipendium Kulturprojekte Berlin, Senatsverwaltung für Kultur und Europa, 2019
Stipendium der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst, 2020
Subjektive Ausstellungsauswahl
„Abschied vom nüchternen Tag“/ Galerie DER ORT/ Berlin / Einzelausstellung/ 2008
„KRAJ” – sztuka artystów polskiego pochodzenia/ („DAS LAND“ – Kunst von Künstlern:innen polnischer Herkunft)/ Galeria Sztuki Współczesnej Opole/ Gruppenausstellung/ 2008
„Adalbertstr. 9 + – Muscle Temple Painting Society“/ Helsinki Contemporary/ Helsinki, Finnland/ Gruppenausstellung/ 2012
„was, wenn es umgekehrt wäre“/ Walden Kunstausstellungen/ Berlin/ Einzelausstellung/ 2018
„Buchowska/ Weinsčlucker“/ Kunstverein Familie Montez/ Frankfurt am Main/ Duo mit Sador Weinsčlucker/ 2019
„Die Dritte Hälfte“/ Galerie Martin Mertens/ Berlin/ Einzelausstellung/ 2022
„Vorhersagbarkeit der Freude“/ Till Richter Museum, Schloss Buggenhagen/ Einzelausstellung/ 2022
„Fait accompli“/ Galerie Karin Sachs/ München/ Einzelausstellung/ 2023
„à bout portant“/ Galerie Anna25/ Berlin/ Einzelausstellung/ 2023
„I got The News While“ – Joanna Buchowska im Dialog mit Robert Rauschenberg/ ArtKlub Bonn/ 2023