AUSWEITUNG DER KAMPFZONE ODER EINE LANDSCHAFT VOLLER HOFFNUNG? Über die Malerei aus Papier von Joanna Buchowska
„Nichts vermag den Menschen mehr in die Realität zurückzuführen als an einem fremden und wundervollen Ort anzukommen, an dem niemand bemerkt, dass man sich voller Erstaunen umschaut.“
R. Adams, Unten am Fluss, [1972]
„Er war selbstverständlich ein Teil meines Traums, aber auch ich war ein Teil seines Traums.“
L. Carroll, Durch den Spiegel und was Alice dort fand, [1871]
Die Malerei wird oft als der am meisten humanistische Bereich der visuellen Kreativität verstanden. Wie kann man sie also knapp definieren? Vielleicht als eine Art Illusorität, als ein Versuch, die Welt durch die Energie, die in Farbe und Form steckt, wahrzunehmen? Bestimmt ist es auch eine Frage der Konvention; denn sie ist materiell, erfordert Wissen und Fertigkeiten. Was kann man über die zeitgenössische Malerei sagen, wenn Kritiker:innen behaupten, dass ihre Zeichen schlecht stehen, während andere die Ansicht vertreten, dass nach Jahren der Installationen, der digitalen Fotografie, der Videokunst, der Körperkunst und des Aktionismus aller Art die jahrhundertealte traditionelle Malerei nun wieder salonfähig wird? Hat die heutige Malerei überhaupt noch Grenzen? Es hat den Anschein, dass seitdem die Künstler:innen neue Einsatzmöglichkeiten dieses Mediums entdeckt haben, die zeitgenössische Malerei nicht mehr durch technische Formen begrenzt wird. Lediglich ihr wesentlichstes Merkmal, nämlich das der Zweidimensionalität, aber auch andere Qualitäten wie Farbanordnung und Komposition bleiben bestehen. Nun ja, ein eigentümlicher Zerfall der Form entspricht wohl dem heutigen Zerfall der Welt. Welche Begabungen sollten die Maler:innen neben Talent und fachlichem Können also noch haben? Vor allem die Fähigkeit, die eigene Individualität zum Ausdruck zu bringen. Die Tücke der Kunst ist zweifellos ihre Wiederholbarkeit, denn alles ist schon gewesen ... Aber das, was bereits in irgendeiner Form existiert hat, kann doch neu interpretiert, anders kombiniert werden. Durch das Aufeinanderprallen von oft gegensätzlichen Elementen kann eine neue Qualität erreicht werden.
Die Collage wurde bereits zu der Zeit des chinesischen Kaiserreichs verwendet, doch als bewusst eingesetztes, künstlerisches Ausdrucksmittel kam dieser Begriff in der modernen Kunst erst mit den surrealistischen Werken von Max Ernst auf. Vereinfacht ausgedrückt ist die Collage die Schaffung einer eigenen Komposition eines neuen Werks, die durch die Kombination von Fragmenten verschiedener Materialien, meist Papier, manchmal auch Stofffetzen, entsteht. Die Collage ist in der Regel eindimensional, kann aber auch reliefartig sein. Die plastische Version ist eine Assemblage, für die Objekte von ihrer ursprünglichen Bestimmung zweckentfremdet werden und sich je nach künstlerischer Vorstellung verändern. „Coller“ bedeutet auf Französisch „kleben“. Aber kann Kleben auch Malen sein? Verwandlung bildet ein Gegengewicht zur Wiederholbarkeit, zur Vermeidung der Versuchung, sich selbst zu zitieren, sie ist ein entscheidender Schritt nach vorn. Man kann wohl nie gänzlich vorhersehen, welche Auswirkungen ein Bruch mit den technischen Eigenschaften eines vertrauten Mediums und eine damit einhergehende, radikale Veränderung des bisherigen kreativen Prozesses haben werden. Deshalb ist die Entschlossenheit von Joanna Buchowska, eines Tages ihre Komfortzone verlassen zu wollen, alles aufzugeben, was mit dem bisherigen Erfolg, der von ihr praktizierten Staffeleimalerei verbunden war, und neu anzufangen, keine emotionale, die Form hervorhebende, künstlerische Geste, sondern ein beeindruckendes Manifest kreativer Reife. Es hat viele Jahre gedauert bis zu einem solchen Schritt – dazu waren zunächst eine meisterhafte Beherrschung ihres Handwerks (um die sie so mancher Klassiker beneiden könnte!) und dann die Entwicklung einer absolut souveränen Herangehensweise an die bisherigen Leistungen, d. h. das Bewusstsein und der Wiedererkennungswert ihrer individuellen Form, notwendig. Die Verwandlung wird so zu einem Mittel des künstlerischen Überlebens, und die Wahl der Collage, das Malen mit der Collage, ihre Alternative für die Modernität und malerische Unabhängigkeit.
Joanna – das ist Aufrichtigkeit und reinster Enthusiasmus, sowohl im Leben als auch in der Kunst. Hätte sie also angesichts einer sich rasant verändernden Realität unbeweglich bleiben können? Nicht mit diesem Temperament! Ihre Originalität ist ein Gut an sich, das sich der Banalität entgegensetzt. Sie hat ihre Technik verändert, aber nicht die künstlerische Erzählweise. Ihre Kunst zeichnet sich nach wie vor durch eine sinnliche Annäherung sowohl an die dargestellte Welt als auch an die Betrachter:innen aus, die sie mag und respektiert. Und wie zuvor ist auch im aktuellen Werk kein Platz für zwecklose Spezialeffekte, für stilistische Tricks oder für das Auffüllen der Leere mit einem nicht durchdachten Formenspiel. In perfekter Beherrschung des „anvertrauten Materials“ ist sie sich dessen bewusst, was in ihren Bildern geschieht und wozu es dort passiert, weil ihre Kunst stets ihren eigenen Bedingungen folgt.
Ihre neue Kommunikationssprache ist zugänglich und verführerisch, wie es vor nicht allzu langer Zeit das Malen mit Farben war. Indem sie die Wirklichkeit durch das Prisma ihrer eigenen Sichtweise betrachtet, verzichtet sie nicht auf die drei grundlegenden Merkmale der Malerei und, der Theorie von Kandinsky folgend, behält sie den Punkt, die Linie und die Fläche bei. Indem sie Ausschnitte aus Zeitungen, Magazinen, Papier aller Art auf den Bildträger klebt, setzt sie Tusche, Tinte, Marker, manchmal auch Acrylfarbe ein. Natürlich firnisst sie. Manchmal sogar ... mit Nagellack. Wenn man ihre Werke aus der Nähe betrachtet, erkennt man eine hervorragende Komposition, fast ohne Verbindungen. Nun, so funktioniert die absolute Magie ihrer Bilder. Aber was ist eigentlich ein Bild? Die einen lockt es mit seiner monetären Anziehungskraft an, für die anderen hat es den Geschmack eines Abenteuers und einer ständigen Entdeckung der wundersamen Existenz einer Parallelwelt, durch die Joanna Buchowska ohne allgegenwärtige Hektik, mit aufrichtiger Leidenschaft und Ergriffenheit führt. Ohne Worte kommentiert sie diese Welt mit Farbe und Komposition. Schon die Suche nach diesem einen Stück Papier, das für die nächste Vision notwendig ist, wird für sie zu einer äußerst spannenden Wanderung und zum Beginn eines Dialogs mit den Betrachter:innen.