Wiarus Polski – Eine polnische Zeitung aus dem Ruhrrevier
Unterschiedliche Gruppen werden sichtbar
Die noch Anfang des 20. Jahrhunderts dominante Position des „Wiarus Polski“ schwächte sich im Laufe der Jahre ab, was sich in der Etablierung des seit 1909 in Herne herausgegebenen christdemokratisch orientierten „Narodowiec“ („Der Nationalbewusste“) niederschlug. Dieser erreichte bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges im Ruhrgebiet mit 12.000 Exemplaren täglich eine ähnlich hohe Auflage. Damit wurde deutlich, dass innerhalb des nationalpolnisch entwickelten Bevölkerungsteils des Ruhrreviers eine wachsende Gruppe eher konservativ-christlicher Polinnen und Polen existierte, die der Politik des „Wiarus Polski“ skeptisch gegenüberstand oder diese ganz ablehnte. Diese Ablehnung verstärkte sich, je öfter die ZZP mit dem Alten Verband in sozialpolitischen Angelegenheiten betrieblich wie überbetrieblich zusammenarbeitete. Dafür wurde auch der „Wiarus Polski“ mitverantwortlich gemacht. Die Zusammenarbeit wurde für die ideologische Hinwendung einer zunehmenden Anzahl von polnischen Arbeitern innerhalb wie außerhalb der ZZP zu sozialdemokratischen Positionen verantwortlich gemacht, die sich deutlich in der wachsenden Anzahl von polnischen SPD-Wählern bei den Reichstags- und Landtagswahlen zeigte.[7] Vor dem Ersten Weltkrieg war die 1910 beginnende Koordinierung der Lohnforderungen mit dem Alten Verband und der kleinen liberalen Hirsch-Dunckerschen-Gewerkschaft[8] sichtbarster Ausdruck des gemeinsamen Vorgehens, das in dem letztlich verlorenen Streik von 1912 endete.
Das Wahlverhalten bei den Parlamentswahlen vor dem Ersten Weltkrieg machte ein wachsendes Selbstbewusstsein gegenüber nationalpolnischen Organisationen bei einem anderen Teil der polnischen Bevölkerung sichtbar. Im ersten Wahlgang wählte man den polnischen Kandidaten, wie es die nationalpolnischen Organisationen, darunter auch der „Wiarus Polski“, forderten, und demonstrierte so gegenüber dem deutschen Staat seine eigene kulturelle Identität. In den Stichwahlen aber wählten seit 1907 eine ständig größer werdende Anzahl von ihnen unabhängig vom Willen der nationalpolnischen Organisationen oder sogar gegen deren ausdrücklichen Weisungen die Kandidaten der SPD. Diese Entwicklung stellte den „Wiarus Polski“ vor große Probleme, denn es war nicht zuletzt sein Klientel, das sich so verhielt. Zwar wollte er eine selbstbewusste Mündigkeit ‚seiner Polen‘, diese sollte aber auf dem Boden der antisozialdemokratischen Ideologie der Ruch Ludowy fußen. Die Niederlage im Streik 1912 versuchte der „Wiarus Polski“ deshalb offensiv für eine Vertiefung der nationalen Kluft zwischen den deutschen und polnischen Teilen der Gesellschaft zu nutzen. In besonders aggressiver Sprache warf der „Wiarus Polski“ dem Alten Verband vor, die polnischen Arbeiter missbraucht zu haben, indem er diese in vorderster Linie habe streiken lassen, während die deutschen Arbeiter im Hintergrund geblieben wären. Höhepunkt dieser ‚nationalen Offensive‘ war die Formulierung, der jegliche Zusammenarbeit mit Deutschen außerhalb der Betriebe verbietenden „Zehn Gebote für Polen“, die „in einer schon ans Groteske grenzenden und blasphemisch anmutenden Weise eine religiöse Form mit nationalistischem Inhalt füllten“.[9] Sie wurden am 12. Juni 1913 im „Wiarus Polski“ veröffentlicht.
Die Revolution in Deutschland und der „Wiarus Polski“
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges traten die Differenzen unter den nationalpolnischen Organisationen zurück und man stimmte als deutsche Staatsangehörige ähnlich der oppositionellen Sozialdemokratie loyal dem vom deutschen Kaiser geforderten Burgfrieden zu. Die ZZP schloss mit den deutschen Gewerkschaften einen Bund, um die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen gemeinsam zu vertreten. Diese Zusammenarbeit bekam ab 1916 eine immer größere Bedeutung und funktionierte bis in die 1920er Jahre.
Das Verhältnis zum deutschen Staat begann sich spätestens seit der Erklärung des US-Präsidenten Wilson im Januar 1918, dass ein unabhängiges Polen mit Zugang zum Meer ein Ergebnis des Friedensschlusses sein müsse, zu ändern. Die politische Arbeit im Deutschen Reich richtete sich nun hauptsächlich auf die Rückkehr ins zukünftige Polen aus, denn dort sah man seine Zukunft und die der polnischen Bevölkerung „in der Fremde“. Ein Ausdruck der Umorientierung war die vom „Wiarus Polski“ im Oktober 1918 mitunterzeichnete zu Beginn dieses Textes, angeführte Erklärung polnischer Organisationen und Redaktionen zum Staatsgebiet des sich abzeichnenden Polen.
Diese Konzentration auf die Rückkehr nach Polen behielt der „Wiarus Polski“ auch bei, als grundlegende Veränderungen in der Staatsstruktur des Deutschen Reiches durch die Revolution im November 1918 eintraten. Die Abschaffung des monarchistischen Ständestaates und die Einführung einer parlamentarischen Demokratie entsprachen durchaus seinen Vorstellungen eines Staatsaufbaus. Außerdem erweiterte sie den Spielraum für die polnischen Organisationen. Deshalb wurde die Revolution auch vom „Wiarus Polski“ eindeutig begrüßt. Allerdings änderte das nichts an seiner Überzeugung, dass die Menschen sich natürlicherweise in Nationen teilen, die bestrebt sind, sich in eigenen Staaten zu organisieren. Deshalb warnte er vor einer Parteinahme im Deutschen Reich für die eine oder andere demokratische oder revolutionäre Fraktion und riet, sich von Kundgebungen und Demonstrationen fernzuhalten. Es sei nicht die Sache der Polinnen und Polen, über die Organisierung des neuen deutschen Staates nachzudenken, das sollten die Deutschen unter sich ausmachen. Nur wenn die grundlegenden demokratischen Errungenschaften in Gefahr gerieten, sei Engagement von polnischer Seite von Nöten. Alles andere wäre Sache der Deutschen, die Polen seien nur Gast, ihre Heimat sei Polen. Deshalb forderte der „Wiarus Polski“ von den Polinnen und Polen, sich ihrer nationalen Pflicht entsprechend in polnischen Organisationen zusammenzuschließen. Die Zusammenarbeit der ZZP im Gewerkschaftsverbund als gemeinsame Vertretung der Arbeiterinteressen unterstützte er allerdings weiterhin, denn sie dienten direkt der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Polen und Polinnen. So veröffentlichte er am 25.10.1918 die Erklärung der ZZP im Oktober 1918 über die erfolgreichen Verhandlungen der vier Gewerkschaften mit den Zechenbesitzern Westfalens und des Niederrheins, in der die Akzeptanz der Gewerkschaften durch die Arbeitgeber als Verhandlungspartner als Durchbruch der Rechte der Arbeiter begrüßt wurde.
Solange die Polinnen und Polen noch in Deutschland lebten, waren sie nach Ansicht des „Wiarus Polski“ weiterhin zur Loyalität gegenüber dem Staat verpflichtet. Vor diesem Hintergrund war es konsequent, dass er wie auch die ZZP sowohl die Aufrufe und Streiks gegen den Kapp-Putsch im März 1920 wie auch gegen die Ruhrbesetzung durch die französischen und belgischen Armeen 1923-25 unterstützte. Die Loyalität endete aber dort, wo sie in Konflikt mit den Gebietsinteressen des neuen Polen standen. So trat der „Wiarus Polski“ anlässlich der Abstimmungen in Schlesien und Ostpreußen entsprechend dem Versailler Vertrag unzweideutig für die Stimmabgabe zugunsten Polens ein. Das führte im Falle Schlesiens zu einem 14-tägigen Erscheinungsverbot im März 1920.
[7] siehe dazu Murzynowska, a.a.O, insbesondere Kapitel V 3. Die Wahlkämpfe und die wachsende politische Bedeutung der Polen im Ruhrgebiet
[8] Der Christliche Gewerkverein boykottierte diese Zusammenarbeit und rief während des Streiks seine Mitglieder zur Arbeit auf.
[9] Kleßmann , a.a.O. S. 394, dort auch Nachdruck der zehn Gebote.