Die zwei Herzen der Margaux Kier
Die deutsch-polnischen Konzerte
Bei einem Konzert von Tim Fischer kommt Margaux 1999 der Gedanke in den Sinn, der ihre künftige Bühnenkarriere prägend wird. Sie möchte wie Tim Fischer auftreten! Dabei wird ihr klar, dass ihre Bühnenprogramme sie selbst ausdrücken müssen. Sie sollen in jedem Fall zweisprachig sein – polnisch und deutsch – und sie sollen davon handeln, was ihr am Herzen liegt. „Bei Konzerten bist du als Sängerin nur du selbst“, stellt sie fest.
Seit sie achtzehn ist, besuchte Margaux oft den Kölner Jazz-Club Melody, auch, um ihrem Heimweh entgegenzuwirken. Als eines Abends Krzysztof Żukowski dort spielt, nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und fragt ihn, ob er mit ihr zusammen Musik machen würde? In ihrer ersten Band gibt es noch Krzysztof Kozielski am Kontrabass und den Gitarristen Arek Bleszynski. Erst bei den Proben wird ihr bewusst, worauf sie sich bei „ihrem“ Projekt eingelassen hat. Beide sind erfahrene Musiker, die von ihr klare Ansagen erwarten. Die Zeit reicht bloß für vier Proben, denn noch im selben Jahr geben sie im Kulturzentrum Ignis in Köln das erste Konzert. Kurz darauf gastieren sie im Internationalen Theater in Frankfurt am Main, später treten sie regelmäßig im Kölner Theater am Sachsenring auf. In dieser Zeit verwandelt sich Margot Kieruj in die Kunstfigur Margaux Kier. So kann sie jetzt sicher sein, dass ihr Vorname richtig ausgesprochen und der Nachname nicht verstümmelt wird. Wortspiele und Witzeleien führen dann dazu, dass sie zusammen mit dem Regisseur Joe Knipp auf den Namen ihrer Band kommt, die nun Margaux und die BANDiten heißt. Das zweisprachige Repertoire besteht aus ihren Lieblingsliedern wie „Więc teraz serca mam dwa“ (Also habe ich jetzt zwei Herzen) der Gruppe Bajm. Der in Frankfurt lebende Jacek Mikuła überlässt ihr die Noten von „Sing, sing“. Zygmunt Konieczny schickt ihr die Noten zu den Songs „Pocałunki“ (Küsse) und „Tomaszów“. Diese Lieder der legendären Chansonnette Ewa Demarczyk flößen ihr zwar Respekt ein, doch dies hält sie nicht davon ab, das Genre des polnischen Chansons zu adaptieren. Zu ihrem anderen Idol, Seweryn Krajewski, nimmt sie telefonisch Kontakt auf. Die noch fehlenden Notensätze schickt ihr dann die Zeitschrift „Zagraj to sam“ (Spiel es selbst) per Post. Von der Schauspielerin Edith Jeske erhält sie Tim Fischers „Rinnsteinprinzessin“ in einer eigens für sie umgeschriebenen Version. Margaux übersetzt den Text, um das Lied später auch in Polen vorzutragen. Sie ist sich sicher: „Diese Lieder sind einfach meine Geschichte“, doch die größte Metapher für ihr eigenes Leben zwischen beiden Ländern ist zweifelsohne das Lied „Więc teraz serca mam dwa“ von Bajm. Mit dem polnisch-deutschen Repertoire gelingt es ihr, neue Kontakte in Polen zu knüpfen, nachdem sie bis Mitte dreißig fast keine künstlerischen Beziehungen zu ihrem Heimatland hatte. Das holt sie jetzt nach. Ihr Bühnenangebot stößt auf Interesse. Schon zu ihrem ersten Konzert im Ignis waren über 80 Besucher gekommen.
Zum Glück werden die ersten Konzerte von Michal Nocon gefilmt. Es gibt Material, das den Theaterleitern und vor allem Regisseuren vorgelegt werden kann. Bei den nächsten Auftritten aber wird Margaux die Regie selbst übernehmen. Heute weiß sie, wie sehr ihre Stimme dadurch gewonnen hat und wie professionell sie geworden ist. Sie weiß auch, dass sie in den über zwanzig Jahren einen langen Weg gegangen ist. Indessen ist Margaux durch ihr gefühlvolles polnisch-deutsches Repertoire, aber auch optisch eine markante Erscheinung. Sie agiert in einem roten, schulterfreien Kleid. In ihrem Gesicht, umrahmt von langem, dunklem Haar, zeigen sich viele Gefühle. Und wenn sie sich von ihren Emotionen mitreißen lässt, wie bei dem Lied „Wariatka tańczy“ (Die Verrückte tanzt), wirft sie ihre Stöckelschuhe ab und stürzt sich barfuß in einen tanzenden Strudel.