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Die zwei Herzen der Margaux Kier

Margaux Kier
Margaux Kier

Margaux Kier (eigentlich Margot Kieruj) kam in den 1960er Jahren in Bydgoszcz (dt. Bromberg) als erstes Kind der Eheleute Kieruj zur Welt. Sie hat einen Bruder Bogdan und eine Stiefschwester Lavinia. Mutter Krystyna war Juristin, Vater Otto Benedykt Ingenieur. Die Kindheit in Bydgoszcz erinnert Margaux als unbeschwerte Zeit. Sie wohnte in der Łokietka-Straße 4 und besuchte die [achtjährige – Anm. d. Übers.] Grundschule Nr. 10. Das Mädchen zeichnet sich durch Bestleistungen aus, gehört dem Mathematik-Zirkel an und arbeitet auf die Teilnahme an der Olympiade im Fach Russisch hin.

Ihre künstlerische Begabung tritt früh hervor. In der Schule lernt Margaux, Flöte zu spielen. Im Elternhaus einer Freundin bringt sie sich selbst das Klavierspiel bei. Sie wirkt im Puppentheater mit und erinnert sich bis heute noch an den Spaß, als sie in der Rolle des Wichtels den Part des Erzählers übernahm. In der Schule wirkt sie als Rezitatorin und im Chor an Veranstaltungen mit. In diesem Zusammenhang ist ihr die große Solidarität der Mitschüler:innen bleibend in Erinnerung, aber auch das Engagement ihrer Lehrer:innen und die Herzenswärme der Eltern ihrer Schulkamerad:innen. Anlässlich eines Geburtstags macht ihr die Mutter einer Freundin ein Geschenk wie für einen Erwachsenen – ein Buch, das sie immer noch besitzt: Shakespeares „Hamlet“. Kurz danach lernt sie das Stück mit Jan Englert in der Hauptrolle als Fernsehspiel kennen und ist elektrisiert. Und als sie das Festival in Sopot (dt. Zoppot) im Fernsehen sieht, hat sie den Wunsch, dort auch einmal auftreten zu wollen. Diese Phantasie und diese Unbeschwertheit werden auch nicht durch die Ausreise der Eltern nach Westdeutschland getrübt.

Die Eltern von Margaux reisten als Touristen in Deutschland ein, schlossen sich dem Zweig der Familie väterlicherseits an und kehrten nicht mehr nach Polen zurück. Ihre zehnjährige Tochter und ihr Sohn verweilten dort in der Obhut ihrer Großeltern. Ein Touristenvisum war damals die einzige Möglichkeit, um auszureisen. Für Margaux lief ihr Leben weiter. Sie erhält Zeugnisse mit Auszeichnungen, trägt Gedichte vor, nimmt an Festivitäten ihrer Schule teil und wirkt weiter im Puppentheater mit. Die Einstellung der Mitschüler:innen und der Lehrer:innen zu ihr und zu ihrem Bruder ändern sich nicht. Nur die Großeltern werden gelegentlich von der Polizei vernommen. 1972 ist es dann so weit. Der Antrag auf Familienzusammenführung wird genehmigt.

 

Die Familienzusammenführung
 

Am Tag ihrer Abreise wird Margaux von ihrer Klasse und Lehrkräften zum Zug begleitet. Zum Abschied gibt es Bücher und Maskottchen von der Klassenlehrerin und den Kammerad:innen. Es ist ein frostiger Novemberabend und was für ein Zufall... just an diesem Abend brennt das Bromberger Bahnbetriebswerk. Margaux hat das Gefühl, als ob ihr ganzes bisheriges Leben von einem Feuer erfasst worden sei. Die beiden Kinder werden von der Schwester ihrer Großmutter bis nach Ostberlin begleitet. Margaux verbringt daraufhin das erste halbe Jahr mit ihren Eltern bei den Schwestern ihres Großvaters im nordrhein-westfälischen Gummersbach und besucht dort schon nach einer Woche das Guttenberg-Gymnasium. Als hochbegabtes Kind wird sie ins kalte Wasser geworfen, doch sie erfüllt alle Erwartungen und spricht in nur wenigen Monaten fließend Deutsch. In der Freizeit holt sie mit Hilfe ihrer Mutter und der Tanten Englisch und Latein nach. Nach ihrer Versetzung in die achte Klasse zieht die Familie nach Köln. Margaux kommt auf das Hansa-Gymnasium, das für sein hohes Niveau in den naturwissenschaftlichen Fächern Biologie und Chemie bekannt ist. Da die Schule damals noch ein Jahr vor der Koedukation steht, verbringt sie ihr erstes Jahr in einer reinen Jungenklasse. In dieser Zeit tritt der Sport in ihr Leben, dem sie dann ihre volle Integration verdankt. Als sehr gute Basketballspielerin gehört sie der Schulmannschaft an. Aus diesem Team schafft sie den Sprung in die Regionalliga und anschließend sogar in die Bundesliga. Achtzehn Jahre lang fährt sie jedes Wochenende zu den Spielen, selbst dann noch als sie Mutter wird.

Als sechzehnjährige Gymnasiastin entdeckt Margaux ihre Leidenschaft für den modernen Ausdruckstanz. Da sie gern malt wählt sie außerdem Kunst als Fach. Sport und Kunst sind aber nicht die einzigen Betätigungen, in denen sie Bestnoten erreicht. Das Abiturzeugnis, das sie später ausgehändigt bekommt, ist ein Traum. Mit dem Notendurchschnitt 1 stehen ihr alle Hochschulen offen.

 

Das Arztdiplom
 

Auf Zureden ihrer Eltern bewirbt sich Margaux um einen Platz im hoch angesehenen Fach Medizin. Der Gedanke, Menschen zu helfen, fasziniert sie. Im Studium absolviert sie in Gdańsk (dt. Danzig) ein mehrmonatiges Praktikum, die sogenannte Famulatur. Ihre damals eingegangenen Freundschaften bestehen heute noch. Im letzten Studienjahr, das in der Regel in einem Krankenhaus zugebracht wird, fasst Margaux den Entschluss, Chirurgin zu werden. Bald darauf arbeitet sie als junge Ärztin im Marienkrankenhaus in Bergisch Gladbach bei Köln in der Urologie und übt viele Nachtdienste aus, auch auf der Geburtsstation. Gleichwohl bleibt sie dem Basketball als Leistungssportlerin auch nach der Geburt ihres Sohnes David im Jahr 1991 treu. Als das Kind acht Monate alt ist, nimmt Margaux ihren Beruf wieder auf. Diesmal auf ihrer Wunschstation, der Chirurgie. Es folgen vier intensive Jahre als Notärztin mit nicht wenigen 24-Stunden-Diensten, die viel Stress bedeuten. Sie fährt auch Einsätze als Notärztin auf dem „heulenden“ Krankenwagen und sie macht bei Akutfällen Hausbesuche. Tag und Nacht ist sie auf der Kippe zwischen Leben und Tod.

In dieser Zeit, Mitte der 1990er Jahre, fällt Margaux eine Anzeige auf, die Schauspielkurse annonciert. Ihre innere Stimme sagt ihr, dass dies etwas für sie ist. Sie lernt Gereon Nussbaum vom Theater Comedia Kolonia kennen und reduziert daraufhin ihre Stunden im Krankenhaus. Seitdem versucht sie alles unter einen Hut zu bringen – die Schauspielerei, den Gesang, den Arztberuf und das Familienleben. Ihr Partner Andreas unterstützt sie nach Kräften. Er merkt, wie sehr Margaux es braucht, sich künstlerisch zu beweisen. Immer, wenn sie ihm später von dem einen oder anderen Schauspiel-Workshop erzählt, hört sie ihn sagen: „Mach das. Das tut dir gut. Du brauchst das.“ Ihr Lebensgefährte leitet eine eigene Firma und arbeitet viel im „Home Office“, so dass er den gemeinsamen Sohn betreuen kann. Dabei scheut die junge Familie vor keinem Abenteuer zurück. Kaum, dass das Kind laufen kann, nehmen die Eltern es mit auf eine Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn, über Russland nach China, und sie reisen mit ihm nach Malaysia und von dort aus auf die Philippinen. Das Paar war mit seinem knapp dreijährigen Sohn auch in Mexiko.

 

Der Weg auf die Bühne
 

Gereon Nussbaum beginnt den Schauspielkurs mit praktischen Übungen. „Würden alle Menschen die Unterweisungen für Schauspieler empfangen, herrschte die totale Harmonie. Die Welt wäre vollkommen“, meint Margaux, die zugleich Gesangsunterricht bei Sophie Rogall nimmt, wobei sie der Jazz besonders interessiert. Den Unterricht an der Schauspielschule und die Gesangsstunden muss sie aus eigener Tasche zahlen. Als sie daraufhin 1996 an einem experimentellen Theater die Rolle der Helena im Stück „Blick zurück in Zorn“ von John Osborne bekommt, ist sie in dem einem ihrer beiden Leben Ärztin und im anderen auf der Bühne.

Margaux handelt häufig intuitiv, so dass vieles einfach en passant passiert. So steht sie eines Nachts in Köln an einer roten Ampel, wobei ihr durch die Scheiben ihres Autos ein zweisprachiges Plakat mit der Aufschrift „Wesele/Hochzeit“ ins Auge fällt. Es handelt sich dabei um ein Theaterprojekt, an dem Studierende von Jerzy Stuhr an der Krakauer Theaterhochschule (Państwowa Wyższa Szkoła Teatralna, PWST) und Schüler:innen von Michal Nocon aus Pulheim bei Köln beteiligt sind. Sie geht hin und trifft auf theaterbegeisterte Menschen, von denen einige Polnisch sprechen. Sie stellt sich dem Regisseur vor und lässt ihre Telefonnummer da. Nach einigen Monaten ruft tatsächlich jemand an und fragt, ob sie an einem Casting für das Drama „Die Zofen“ von Jean Genet Zeit teilnehmen wolle? Es wird eine Vertretung für eine Schauspielerin gesucht. Margaux hat nur wenige Wochen Zeit, um sich die Rolle anzueignen. Das Stück soll bei einem Festival in Südkorea aufgeführt werden.

Da sie gut ausgebildet ist und Kurse im dramatischen Fach belegt hatte, wird sie genommen. Die Zusammenarbeit dauert sieben Jahre. „Es war wie ein Leben in einer Sekte“, erinnert sich Margaux. Ein Leben erfüllt von Gemeinschaftsgefühl, Leidenschaft und Arbeit, vielen Reisen und Treffen mit Theatergrößen wie Jan Peszek, Jerzy Stuhr, Krzysztof Miklaszewski und Zofia Kalińska vom Tadeusz Kantors Cricot-Theater. Eine ihrer wichtigsten Rollen, die sie in den Produktionen des Actor‘s Studios spielt, ist die der „Koryphäe“ in Büchners „Woyzeck“, eine Gesangspartie, die extra für sie geschrieben wurde. Zu den Kooperationspartnern in dieser Zeit gehören die Krakauer Theaterhochschule, das Theater Gardzienice sowie diverse Theater aus Polen, Russland, Spanien und England.

Bis dahin hatte Margaux die Schauspielerei an deutschen Theaterschulen gelernt. Bei Michal Nocon sieht die Ausbildung anders aus. Er setzt mehr auf Körperübungen, die auf der Arbeit von Theaterregisseur Jerzy Grotowski und des Theaters Gardzienice beruhen. Margaux und Nocon treffen sich wöchentlich, um mehrere Stunden miteinander zu trainieren. Im Krankenhaus übernimm sie in dieser Zeit vor allem Dienste in der Nacht. Was sie nie vergessen wird, sind die Workshops zur Vorbereitung auf den Besuch einer Schauspielschule in England, die morgens stattfanden, so dass sie direkt nach ihrem Nachtdienst hingehen konnte. Michal Nocon, dessen ist sie sicher, brachte ihr bei, wie man auf der Bühne wahrhaftig bleibt, wie man die szenische Energie verinnerlicht. Schon damals begreift sie, dass sich ihr Leben als Notärztin und Schauspielerin in den beiden Welten, die sich durchdringen, auf mystische Art und Weise ergänzt. Die Welt jenseits der Medizin ist ein mit schwarzem Samt ausgekleideter Saal. Ein geschlossener, heiliger Raum. Margaux nimmt an weiteren Kursen teil. Um die Workshops von Zofia Kalińska am Cricot-Theater zu besuchen, fährt sie nach London. In Krakau nimmt sie Gesangsunterricht bei der bekannten polnischen Sopranistin Olga Schwajgier.

 

Die deutsch-polnischen Konzerte
 

Bei einem Konzert von Tim Fischer kommt Margaux 1999 der Gedanke in den Sinn, der ihre künftige Bühnenkarriere prägend wird. Sie möchte wie Tim Fischer auftreten! Dabei wird ihr klar, dass ihre Bühnenprogramme sie selbst ausdrücken müssen. Sie sollen in jedem Fall zweisprachig sein – polnisch und deutsch – und sie sollen davon handeln, was ihr am Herzen liegt. „Bei Konzerten bist du als Sängerin nur du selbst“, stellt sie fest.

Seit sie achtzehn ist, besuchte Margaux oft den Kölner Jazz-Club Melody, auch, um ihrem Heimweh entgegenzuwirken. Als eines Abends Krzysztof Żukowski dort spielt, nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und fragt ihn, ob er mit ihr zusammen Musik machen würde? In ihrer ersten Band gibt es noch Krzysztof Kozielski am Kontrabass und den Gitarristen Arek Bleszynski. Erst bei den Proben wird ihr bewusst, worauf sie sich bei „ihrem“ Projekt eingelassen hat. Beide sind erfahrene Musiker, die von ihr klare Ansagen erwarten. Die Zeit reicht bloß für vier Proben, denn noch im selben Jahr geben sie im Kulturzentrum Ignis in Köln das erste Konzert. Kurz darauf gastieren sie im Internationalen Theater in Frankfurt am Main, später treten sie regelmäßig im Kölner Theater am Sachsenring auf. In dieser Zeit verwandelt sich Margot Kieruj in die Kunstfigur Margaux Kier. So kann sie jetzt sicher sein, dass ihr Vorname richtig ausgesprochen und der Nachname nicht verstümmelt wird. Wortspiele und Witzeleien führen dann dazu, dass sie zusammen mit dem Regisseur Joe Knipp auf den Namen ihrer Band kommt, die nun Margaux und die BANDiten heißt. Das zweisprachige Repertoire besteht aus ihren Lieblingsliedern wie „Więc teraz serca mam dwa“ (Also habe ich jetzt zwei Herzen) der Gruppe Bajm. Der in Frankfurt lebende Jacek Mikuła überlässt ihr die Noten von „Sing, sing“. Zygmunt Konieczny schickt ihr die Noten zu den Songs „Pocałunki“ (Küsse) und „Tomaszów“. Diese Lieder der legendären Chansonnette Ewa Demarczyk flößen ihr zwar Respekt ein, doch dies hält sie nicht davon ab, das Genre des polnischen Chansons zu adaptieren. Zu ihrem anderen Idol, Seweryn Krajewski, nimmt sie telefonisch Kontakt auf. Die noch fehlenden Notensätze schickt ihr dann die Zeitschrift „Zagraj to sam“ (Spiel es selbst) per Post. Von der Schauspielerin Edith Jeske erhält sie Tim Fischers „Rinnsteinprinzessin“ in einer eigens für sie umgeschriebenen Version. Margaux übersetzt den Text, um das Lied später auch in Polen vorzutragen. Sie ist sich sicher: „Diese Lieder sind einfach meine Geschichte“, doch die größte Metapher für ihr eigenes Leben zwischen beiden Ländern ist zweifelsohne das Lied „Więc teraz serca mam dwa“ von Bajm. Mit dem polnisch-deutschen Repertoire gelingt es ihr, neue Kontakte in Polen zu knüpfen, nachdem sie bis Mitte dreißig fast keine künstlerischen Beziehungen zu ihrem Heimatland hatte. Das holt sie jetzt nach. Ihr Bühnenangebot stößt auf Interesse. Schon zu ihrem ersten Konzert im Ignis waren über 80 Besucher gekommen.

Zum Glück werden die ersten Konzerte von Michal Nocon gefilmt. Es gibt Material, das den Theaterleitern und vor allem Regisseuren vorgelegt werden kann. Bei den nächsten Auftritten aber wird Margaux die Regie selbst übernehmen. Heute weiß sie, wie sehr ihre Stimme dadurch gewonnen hat und wie professionell sie geworden ist. Sie weiß auch, dass sie in den über zwanzig Jahren einen langen Weg gegangen ist. Indessen ist Margaux durch ihr gefühlvolles polnisch-deutsches Repertoire, aber auch optisch eine markante Erscheinung. Sie agiert in einem roten, schulterfreien Kleid. In ihrem Gesicht, umrahmt von langem, dunklem Haar, zeigen sich viele Gefühle. Und wenn sie sich von ihren Emotionen mitreißen lässt, wie bei dem Lied „Wariatka tańczy“ (Die Verrückte tanzt), wirft sie ihre Stöckelschuhe ab und stürzt sich barfuß in einen tanzenden Strudel.

 

Tourneen und Workshops in Polen
 

Die erste Tournee lässt nicht lange auf sich warten. Margaux organisiert sie ganz allein schon 2001, wobei sie hunderte Telefonate führt und unzählige E-Mails schreibt. Das deutsche Konsulat in Gdańsk erweist sich dann als großartiger Helfer und Betreuer in Polen. Margaux erreicht Firmen, die ihre Konzerte sponsern. Die Band wird von einem Filmteam nach Polen begleitet, das während der Tournee ein wunderbar subtiles Porträt ihrer Arbeit dreht. Es gibt aber auch unerwartete Ereignisse und Stress. In Sopot stiehlt jemand das Fahrzeug der Band, so dass die Fortsetzung der Tournee unter einem großen Fragezeichen steht. Zum Glück findet sich ein neuer Sponsor. Es ist die Firma Dr. Oetker, die auch ein Ersatzfahrzeug mit Fahrer zur Verfügung stellt. Die zweite Tournee findet 2002 statt. Sie wird vom Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart gefördert und von Margaux mit noch größerer Rührung erinnert. Die Band trat damals in acht Städten auf, unter anderem in Bydgoszcz, der Heimatstadt von Margaux. Zu diesem zweisprachigen Konzert kamen auch ihre Freunde aus der Kindheit, die halbe ehemalige Klasse der Grundschule Nr. 10. Am nächsten Tag gab es dann eine Zusammenkunft mit der Klassenlehrerin, die schon seit einigen Jahren im Ruhestand war.

Solche Tourneen zu planen und durchzuführen, ist immer kraftraubend. Margaux nutzt für die Events den Urlaub von ihrem Klinikjob. Die übrigen Bandmitglieder müssen ihre zahlreichen Termine gut abstimmen. In den letzten sieben Jahren reist Margaux allein nach Polen, um dort Erfahrungen als Sängerin und Schauspielerin zu sammeln. Diese Phase geht auf einen Kontakt in Dortmund zurück, der ihr praktisch aus heiterem Himmel zugefallen ist. Sie war in der Stadt als Fachärztin stellvertretende Leiterin der Urologie und wollte ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft mieten. In einem der besichtigten Objekte lebte Emilia, eine Schauspielerin, die jedes Jahr von Dortmund zu einer kleinen Bühne in Węgajty bei Olsztyn (dt. Wengaithen, Kreis Allenstein) fuhr. Nachdem Margaux bei ihr eingezogen war, reisten die beiden Frauen gleich gemeinsam zum nächsten Termin nach Polen. Manchmal gab es dort sogar mehrere Anlässe im Jahr. Margaux nimmt an Weihnachtsumzügen teil, aber auch an den Besuchen der Alternativen Theaterschule (Inna Szkoła Teatralna) in den umliegenden Dörfern. Im gemeinsamen Gesang erinnern sich die Gastgeber wieder an Lieder, die seit Jahrzehnten in Vergessenheit geraten sind.

 

Die Entwicklung des Repertoires
 

Grenzen überwinden und mehrere Sprachen in einer Melodie vereinen, das ist es, was Margaux will. Für das Konzert „Orient-Express“ in Solingen stellte sie 2002 Lieder in sage und schreibe neun Sprachen zusammen. Zuerst suchte sie nach Texten und Noten einzelner Titel. Um zu verstehen, wovon sie handeln, bat sie bei den türkischen Liedern eine befreundete Ärztin um Übersetzung und übte die Aussprache mit einer Reinigungskraft des OP-Saals im Krankenhaus. Bei den ungarischen und bulgarischen Liedern halfen ihr ehemalige Kommilitonen. Serbisch war kein Problem, da musste sie nur in ein Café Eis essen gehen... Um ein hebräisches Lied zu verstehen, dass sie bei einer anderen Gelegenheit vortragen wollte, besuchte sie eine Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der Hoffnung, dort auf zweisprachige Menschen zu treffen. Und sie wurde nicht enttäuscht. Sehr bald hatte sie Rohübersetzungen ihrer Lieder, die sie dann filigran überarbeitet, in Reimform gebracht und neu vertont hat. Die finalen Texte schreibt Margaux immer selbst. Ihren Musikern, die zur deutschen Jazz-Elite gehören, erklärt sie, worum es in den Songs geht. Das hört man dann auch, denn sie begleiten die Interpretin mit starken Emotionen, viel Phantasie und großer Kreativität.

Im Allgemeinen scheinen Lieder den Weg in ihr Repertoire wie von selbst zu finden. Margaux hört etwas und weiß, es ist ein wunderschönes Stück. Diesbezüglich erzählte ihr der Komponist Jacek Mikuła einmal, wie perfekt seine Interaktion mit Agnieszka Osiecka war. Die beiden waren ein geniales Gespann. Er spielte die Melodie an und sie begann aus dem Stegreif, passende Texte zu verfassen. Einmal schrieb auch die Texterin von Tim Fischers, Edith Jeske, ein Lied für Margaux. Es heißt „Seine Hände“ und handelt von einem Pianisten, der seine Freundin und Arbeitskollegin aus der Bar so wahrnimmt, wie sie ist und nur für sie spielt.... Es war ein schönes Gefühl, als sich die Autorin bei der Premiere erhob und stehend applaudierte! Jetzt aber macht Margaux ihre Texte und ihre Musik selbst. Unterstützt wird sie dabei von dem Pianisten, Schlagzeuger und Komponisten Henning Brand, der auch in ihrer Band ist. Bei alledem beherzigt sie das Bonmot von Jacek Mikuła, das er ihr in einem Briefchen schickte, dessen Kuvert er eigenhändig mit den Konturen einer singenden Diva versehen hatte. Seine Botschaft hieß: „Es mag schwache Texte und schwache Melodien geben, aber in ihrer Kombination kann ein Song magisch sein“.

Das dritte Konzertprogramm „Herzsplitternackt“ inszenierte Margaux 2004 selbst, diskutierte ihr Konzept jedoch mit einem befreundeten Regisseur. Seither spielt sie weniger Theater und hält stattdessen mehr Liederabende ab, die von der unverwechselbaren Atmosphäre leben, die sie auf der Bühne erzeugt. Bei der Auswahl der Titel verlässt sie sich auf ihre Eingebungen und doch kommt es manchmal vor, dass sie wie bei den Liedern von Georg Kreisler über sich selbst hinauswachsen muss, da diese für Männerstimmen geschrieben wurden, was eine spezielle Herausforderung war. Gleichwohl vertritt sie die Auffassung, dass sich ihre stimmlichen Möglichkeiten durch solche Projekte erweitern. 2008 verband sie sich erfolgreich mit ihrem Idol, dem Barden Mirosław Czyżykiewicz, und ging mit ihm auf Tournee. Inspiriert von der gleichnamigen Filmtrilogie von Krzysztof Kieslowski entstand 2009 das Programm „Drei Farben“ mit visuellen Effekten von Thomas Ensberg. Anschließend folgte die Konzertreihe „Cinema paradiso“ (Teil 1 und 2), in der Margaux Musik aus amerikanischen und europäischen Filmen der 1950er bis 1970er Jahre interpretiert, natürlich auch aus polnischen Werken, und so ihre musikalische Hommage an das Kino erklärt.

 

„Euphoria“ – die neue CD
 

Margaux entwickelt sich immer noch weiter, indem sie ihre Stimme, ihr Gehör und ihre Fähigkeiten ständig fordert. Sie hat ihr Potential lange noch nicht ausgeschöpft. Von den Musikern, die mit ihr arbeiten, erhält sie viele Komplimente, doch am meisten baut sie der Zuspruch des Publikums auf. „Es ist ein einzigartiges Gefühl, wenn man bei einem Konzert spürt, dass das Publikum glücklich ist und dass es die Lieder bewegen und begeistern“, sagt sie. Margaux hat die Harmonie in ihrem Leben gefunden. Auf der Bühne macht sie keinen Hehl daraus, dass sie Ärztin ist. Und im Krankenhaus ist es kein Geheimnis, dass Frau Doktor Konzerte gibt.

Jetzt ist die Zeit gekommen, um die Aufnahmen für ihre bereits dritte CD mit dem Arbeitstitel „Euphoria“ einzuspielen. Auf ihr sollen in acht Sprachen die Vision des geeinten Europas, der Vielfalt der Kulturen und der multikulturellen Welt erklingen, darunter auch drei Volkslieder in Jazz-Arrangements. Eines der drei ist „Dwa serduszka“ (Zwei Herzen), weltweit bekannt geworden durch den Film „Zimna wojna“ (The Cold War) von Paweł Pawlikowski. Angetan von der Atmosphäre der 1950er und der 1960er Jahre in Polen und dem schon damals kultigen polnischen Jazz haben die BANDiten das Lied direkt nach dem Film spontan aufgenommen. Das neue Album wird aber auch klassische Chansons und sogar einen Hip-Hop-Song enthalten.

 

Das Wachrufen der Erinnerung
 

Margaux hat sogar noch ein weiteres Gesicht, das dem literarisch interessierten Publikum vertraut ist. 2017 hat sie bravourös die Rolle der Else Lasker-Schüler in „Der blaue Reiter ist gefallen“ gespielt. Das Stück ist im Ersten Weltkrieg und danach angesiedelt, also in der Zeit, in der die Dichterin zur Avantgarde der deutschen Literatur zählte. Kürzlich hatte Margaux auch das Glück und Vergnügen, mit der bekannten deutschen Schauspielerin Nina Hoger zusammenzuarbeiten, mit der sie aus Werken von Mascha Kaleko und Irmgard Keun rezitiert hat. Diese beiden Autorinnen standen 1930 auf den deutschen Bestsellerlisten. Nur drei Jahre später, 1933, wurden ihre Bücher von den Nazis verbrannt. In einem anderen Projekt, fasziniert von der Persönlichkeit Faye Cukiers, moderierte Margaux die Begegnungen der Holocaust-Überlebenden mit dem Kölner Publikum höchst unkonventionell, indem sie die Gespräche mit ihr mit Kostproben aus ihren Memoiren und mit Liedern, die sie selbst vortrug, verwob. Auf die Frage nach ihren persönlichen Lesevorlieben antwortet Margaux ohne zu zögern: „Ich bin ein großer Fan der Lyrik von Wisława Szymborska, der Prosa von Olga Tokarczuk und der Visionen von Stanisław Lem“.

In und rund um Köln trifft man Margaux auch in Theater- und Musikprojekten für Kinder und Jugendliche an. Sie engagiert sich sehr für Migrantenkinder, insbesondere aus polnischen Familien. Bei jeder dieser Gelegenheiten vermittelt sie nebenbei Inhalte der polnischen Kultur. Außerdem ist sie stets bemüht, den Kindern zu helfen, ihre Bikulturalität zu verstehen, denn sie ist ein großer Schatz, der manchmal lange unentdeckt bleibt.

 

Joanna de Vincenz, September 2018
 

Margaux Kier im Netz: www.margauxunddiebanditen.de
 

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  • Rezension im Kölner Stadtanzeiger.

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  • Rezension in der Zeitung DER WESTEN

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  • Margaux Kier praktiziert zudem als Ärztin.

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