Verbotene Liebe: Ermordung von Leon Szczepaniak in Stadecken-Elsheim
Wenn auch der Gemeinderat von Stadecken-Elsheim zuvor ein klares politisches Zeichen zur Schaffung eines Erinnerungsortes für Szczepaniak gesetzt hatte, so spiegelte dieser politische Wille die Einstellung der Ortsbevölkerung im Zeitraum der Entstehung des Gedenkortes nur in Teilen wider. Im bereits erwähnten Fernsehbeitrag vom Juni 1975 wurde diese deutlich durch die Äußerungen einiger Befragten aus der örtlichen Bevölkerung, so bezogen zwei „Zeitzeugen“ gegen die Setzung eines Gedenksteines Position. Ein Mann relativierte dabei die deutsche Schuld und sah zugleich in der Aufstellung eines Steines eine Provokation, sowohl für die deutsche als auch für die polnische Seite:
„- Einseitig ist die Sache. Weil wie gesagt ich doch die Sache kenne. Es sind sehr viele Morde in Polen geschehen an deutschen Leuten […] Hüben und Drüben sage ich mir, dass das ungünstig ist. Man würde so was ruhen lassen.
- [Interviewer:] Warum?
- Ja, warum? Es erregt die Gemüter wieder.“[12]
Ein zweiter Befragter relativierte die Tat an sich: „Ich habe so viel mitgemacht und so viel gesehen. Und da hätte man können bald jedem einen Gedenkstein setzen.“[13] Auch eine Elsheimer Gaststätte „lehnte es ab ihren Saal für ein Versöhnungsfest mit Polen zur Verfügung zu stellen. Die Stammgäste solidarisieren sich mit ihrem Wirt“, wie es im Beitrag weiter hieß. Sie äußerten sich unter anderem wie folgt: „Ich bin der Meinung, in Polen sind vielleicht deutsche Soldaten auf die gleiche Weise hingerichtet worden und die kriegen auch keinen Stein gesetzt.“[14] Auch der damalige erste Beigeordnete des Ortes Heinz Horn versuchte in einem Interview die Ermordung Szczepaniaks als rechtmäßig hinzustellen. Dabei berief er sich auf die verbrecherischen NS-Erlasse und konstruiert zudem das völlig irreführende Bild einer egalitären und konsequenten Strafverfolgung auf Grundlage der damaligen Gesetzeslage:
„[M]eines Erachtens nach hat dieser Pole gegen das bestehende Gesetz verstoßen und es war ihm bekannt, dass wenn er sich mit einer Deutschen abgibt, dass ihm die Todesstrafe droht, so wie es uns als Soldaten bekannt war, dass wir als Plünderer erschossen werden, wobei ich selbst einmal bei einer Exekution dabei war.“[15]
Der Sprecher des Beitrags ergänzte dann:
„Die Erfahrung der eigenen Soldatenzeit ist das offizielle Argument in Elsheim, aber sobald Kamera und Tonband abgestellt sind, kommen plötzliche neue Töne in die Argumentation. Da werden die, wie man sagt, die Polacken als Menschen abgelehnt, da rechtfertigt man indirekt das Nazi-Regime, das 1932 schon von 67% der Elsheimer Bürger herbeigesehnt wurde, da droht man dem Pfarrer mit Gegenmaßnahmen.“[16]
Allerdings kam in der Sendung neben Pfarrer Hellriegel auch eine Elsheimer Angehörige eines politisch verfolgten deutschen NS-Opfers zu Wort, und als Kontrapunkt zu den Äußerungen der Zeitzeugen, der Stammtischbesucher und des ersten Beigeordneten wurde über die Elsheimer Pfadfindergruppe und deren ebenfalls im Jahr 1975 geplanten Polenfahrt im Geiste der Versöhnung berichtet. Die Pfadfinder hatten bereits zu diesem Zeitpunkt das Ziel, eine Dokumentation zu erstellen, um über die deutschen Verbrechen in Polen aufzuklären.[17] Auch in der Lokalpresse wurde eine Rechtfertigung des Verbrechens an Leon Szczepaniak nicht akzeptiert:
„Oft wurde dieses Verbrechen mit dem Hinweis entschuldigt, es sei ja damals Gesetz gewesen, daß Polen mit Deutschen keine Beziehungen unterhalten durften. Dann muß man sich aber auch die Frage stellen, ist Gesetz auch immer Recht? Die Vergangenheit und sogar verschiedene Machtverhältnisse in unserer heutigen Welt belehrten uns belehren uns eigentlich eines Besseren.
Doch das Ziel des um Versöhnung werbenden Gemeindebeschlusses ist nicht nur Bewältigung der Vergangenheit, sondern vor allem Blick in die Zukunft. Es soll darum gerungen werden, daß zum polnischen Volk ein ähnlich freundschaftliches Verhältnis entsteht, wie es zum Beispiel mit unserem französischen Nachbarvolk schon gewachsen ist.“[18]