„Meine Kinder aus Lodz...“ – „Moje Dzieci z Łodzi...“
„DIE ENGLÄNDER KOMMEN, UM UNS ZU BEFREIEN“
„Am 3. September feierten wir den Geburtstag und den Namenstag von zwei Freundinnen. Von draußen hörten wir das Dröhnen der Flugzeuge. Manche Mädchen lachten: ‚Die Engländer kommen, um uns zu befreien.‘ Wir gingen in den Keller hinunter. Dann fielen die Bomben.“[1]
Der Angriff im September schloss die von den Alliierten seit dem August 1943 betriebene Vorbereitung auf den „Luftkampf um Berlin“, auf die Flächenbombardements und das „Round the clock bombing“, wie die pausenlosen Bombardierungen genannt wurden, ab. Nachts sollten die Briten und tagsüber die Amerikaner angreifen. Letztere nahmen vor allem militärische Ziele wie die Standorte der Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet ins Visier. Die sorgfältig geführten Statistiken von damals sprechen von 1.646 Personen, die bei dieser „Generalprobe“ zwischen dem 23. August und dem 4. September 1943 in Berlin umgekommen sind.[2] Ob sich darunter die zwanzig jungen Frauen aus Lodz befinden, das wissen wir nicht.
DANN FIELEN DIE BOMBEN
Danuta Bartkowiak erinnert sich:
„Als ich wieder wach wurde, war es dunkel, ich sah nur Rauch und Trümmer und hörte die Frauen stöhnen und schreien. Und ich fühlte schrecklichen Schmerz. Wir riefen um Hilfe. Ein Mädchen konnte Englisch. Andere Zwangsarbeiter, Tschechen, Serben und Franzosen, kamen angerannt, um uns zu retten. Nach etwa fünf Stunden wurde ich als letzte aus den Trümmern befreit. Dann lag ich draußen auf einer Tragbahre, es regnete, und ich war so glücklich: Ich lebe, ich will zu meiner Mama, nach Hause zurück. Der Krankenwagen brachte uns ins Krankenhaus Prenzlauer Berg[3]. Man verband uns und wickelte uns in Decken. Am ganzen Körper hatte ich Splitter, und alles schmerzte. Ich bekam 13 Tage frei, dann schickte man mich in ein anderes Lager.“[4]
Die Zwangsarbeiterinnen und die Zwangsarbeiter durften bei den Angriffen nicht in die zivilen Luftschutzbunker. Die einzige Ausnahme galt für Arbeitende, die in einer Fabrik von Luftangriffen überrascht wurden.
Janina Głowacka erinnert sich:
„Und die dritte [Arbeitsschicht] von 22 bis sechs Uhr morgens. Ich mochte diese Nachtschicht sehr. Man arbeitete nie die acht Stunden durch, weil es fast jede Nacht Alarm gab und man zu einem wunderbaren Bunker runtergehen musste. Er lag unter der Fabrik, unter dem Fabrikgebäude, und war elegant eingerichtet. Dort konnte man einfach schlafen (...). Alle Zwangsarbeiter schliefen. Die Deutschen schliefen nicht (...).“[5]
Zu ähnlichen Ereignissen sagte Kazimiera Kosonowska aus:
„(...) dass die Luftangriffe auf Berlin für [die Zwangsarbeiterinnen] im Januar begannen. 1943. Da erfuhren wir erst, was Luftangriffe bedeuten. Hinter den Baracken [in denen sie wohnten] waren solche Gräben ausgehoben. Das waren mit Brettern verstärkte Wände, und irgendetwas war auch hineingeschüttet [worden]. (...) sobald die Sirenen anfingen zu heulen, dann haben uns die Wächter dort buchstäblich hineingetrieben. Mit Koffer, mit Bündeln, mit dem, was jeder hatte. (...) Als wir losgingen, hatten wir 10 Minuten. (...) Als wir liefen, da war in der Nähe eine Flugabwehrbatterie. Raketen prasselten auf uns herab wie Tannenbäume. Das Heulen der Bomben. Völlig außer uns vor Schrecken, mit [dem] Wahnsinn in den Augen stürzten wir in den Unterstand. Später, als die Luftangriffe begonnen hatten, fielen Brandbomben, da mussten wir auf dem Weg in den Unterstand an brennendem Asphalt vorbei. So vergingen, so verronnen die Tage, so lebten wir. (...) Die Luftangriffe waren schrecklich am Ende [des Kriegs]. Aber so schrecklich, die Flugzeuge flogen schon so tief, dass man meinen konnte, man könnte sie mit der Hand berühren. (...) Ich weiß nicht, wie wir das überlebt haben.“[6]
[1] Bericht von Danuta Bartkowiak, geb. Wujek, der 1977 von einem Mitarbeiter der „Berliner Geschichtswerkstatt“ transkribiert wurde. Ursprünglich veröffentlicht in der Smartphone-App „Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide“.
[2] Sven Schulte-Rummel, Die große Herausforderung – Alliierter Bombenkrieg und NS-Propaganda: Das Beispiel Berlin, 220 S., Magisterarbeit, 2002.
[3] Berliner Stadtbezirk östlich von Wedding.
[4] Bericht von Danuta Bartkowiak (siehe Fußnote 1).
[5] Transkript des Interviews mit Głowacka, Janina, Interview za255, 16.06.2005, Interview-Archiv „Das Interview-Archiv ‚Zwangsarbeit 1939-1945‘“, Seite 13 und 22, https://archiv.zwangsarbeit-archiv.de/de/interviews/za255
[6] Kazimiera Kosonowska arbeitete im „Gummiwerk M. Daubitz Berlin“. Transkript des Interviews mit Kosonowska, Kazimiera, Interview za209, 27.05.2005, Interview-Archiv „Das Interview-Archiv ‚Zwangsarbeit 1939-1945‘“, Seite 13 und 22, https://archiv.zwangsarbeit-archiv.de/de/interviews/za209