Reich-Ranicki, Marcel
Es war der erste und bis jetzt der einzige literarische Straßenfeger in Deutschland. Man verabredete sich zum gemeinsamen Gucken. Am Tag darauf diskutierten die Leute, man ahmte IHN mit seinem unverkennbaren osteuropäischen Akzent nach, zitierte DEN Superstar des „Literarischen Quartetts” im ZDF: Marcel Reich-Ranicki. In den späten 80er Jahren ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er ist nun der erfolgreichste Literaturkritiker Deutschlands. Gern wird er von der deutschen Presse als Literaturpapst bezeichnet.
Hinter ihm liegt bereits die Arbeit als Literaturkritiker im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (FAZ), später als Literaturkritiker der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit” und schließlich als Leiter der Literaturredaktion der FAZ.
Hinter Marcel Reich-Ranicki liegt der Besuch des Gymnasiums in der „Reichshauptstadt“ Berlin, die Deportation nach Polen im Zuge der „Polenaktion” 1938, das unfassbare Grauen im Warschauer Ghetto, der Verlust seiner Familienangehörigen in den Konzentrationslagern, die Flucht und Jahre im Versteck, die Zusammenarbeit mit der polnischen Geheimpolizei (UB), mit dem polnischen Auslandsnachrichtendienst (MBP) und die Arbeit in der polnischen Botschaft in London. Hinter ihm liegt auch die Rückkehr nach Polen, die erneute Inhaftierung, das Publikationsverbot und schließlich 1958 die Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. Ab da lebt der polnisch-deutsche Publizist und Literaturkritiker in der BRD und ist an der Popularisierung der deutschen Literatur maßgeblich beteiligt. Er hat nie seine jüdische und seine polnisch-deutsche Herkunft geleugnet, schrieb jedoch in seiner Autobiographie, dass er "kein eigenes Land, keine Heimat und kein Vaterland" hat. Seine Heimat sei im Letzten die Literatur gewesen. Betrachtet man sein Leben, ist man mehr als geneigt, dies zu glauben.