Witold Gombrowicz in Berlin

Witold Gombrowicz am Vortag seiner Abreise nach Frankreich
Witold Gombrowicz am Vortag seiner Abreise nach Frankreich, Berlin am 16.05.1964

Witold Gombrowicz gehört durch seine literarische Philosophie, seine Art der Textkonstruktion und die Ausdruckskraft seiner Sprache zu den bedeutendsten Schriftstellern der polnischen Literatur und Weltliteratur des 20. Jahrhunderts. Seine Romane, Dramen und Tagebücher sind literarische Monumente, weil sie in der Tradition wurzeln und im Universellen fruchten. 1963 kommt Witold Gombrowicz auf Einladung der amerikanischen „Ford Stiftung“ für ein Jahr nach Berlin und beeinflusst in dieser Zeit die Stadt und ihr literarisches Leben.

Die Einladung nach Europa zu kommen, hat Witold Gombrowicz mit großer Freude angenommen. Das sagte er selbst dem Journalisten Tadeusz Nowakowski während eines Radiointerviews für „Wolna Europa“ im Jahre 1963: „Ich dachte schon länger darüber nach, Europa zu sehen. (…) Und im Übrigen war ich sehr neugierig auf Berlin“.

Berlin war 1963 bereits eine geteilte Stadt, deren Westteil seit zwei Jahren mit einer Mauer umgeben war. In diese unwirkliche Stadt tauchte Gombrowicz ein und nannte sie sogleich „die dämonische Stadt“. Vielleicht waren es auch in der Tat Dämonen, die ihn hier umtrieben. Er wohnte zunächst in der Akademie der Künste, wechselte dann noch einmal die Wohnung, um schließlich im Hansaviertel nicht weit von der Akademie in die Bartningallee 11/13 zu ziehen. Seine Wohnung im 15. Stock bot einen herrlichen Blick auf die Stadt. Die von der „Ford Stiftung“ eingeladenen Schriftsteller hatten viel frei verfügbare Zeit und nicht wenig Geld, um Berlin kennen zu lernen und diese Stadt zu verstehen. Es gab keine Vorgaben zu ihrem privaten und beruflichen Leben und so nutzte Gombrowicz die Zeit für sein literarisches Schaffen. Unermüdlich schrieb er an seinen Tagebüchern weiter, unermüdlich setzte er auch die Arbeit an seinem Roman „Kosmos“ fort, an dem er bereits seit zwei Jahren schrieb.

Doch für Witold Gombrowicz war das Leben eines Schriftstellers mehr als nur das Schreiben selbst. Wie bereits zuvor in Warschau im Café Ziemiańska und im Café Rex in Buenos Aires versuchte Gombrowicz auch in Berlin, die Tradition des literarischen Treffens zu beleben. Von August bis Dezember 1963 traf er sich regelmäßig mit deutschen Schriftstellern und Intellektuellen im Café Zuntz am Kurfürstendamm. Doch die hiesigen Schriftsteller wie Günter Graß, Uwe Johnson oder Max Hölzer begegneten Gombrowicz, dem polnischen Kosmopoliten und Exzentriker, mit kühler Reserviertheit. Die jungen Intellektuellen dieser Stadt waren wohl zu schwach für seine egomane Art voller Kontraste und Absurditäten. Am 20. Dezember 1963 fand das letzte Treffen im Café Zuntz statt.

Witold Gombrowicz wurde am 4. August 1904 in Małoszyce im damaligen Russischen Kaiserreich als jüngstes von vier Kindern geboren. Seine Familie, die dem kleinpolnischen Landadel angehörte, zog 1911 nach Warschau um. Hier beendete Witold Gombrowicz 1922 das Gymnasium und 1927 das Jurastudium an der Warschauer Universität. Anschließend lebte er in Paris, wo er eher erfolglos am „Institut des Hautes Études Internationales“ studierte. Nach einem Jahr kehrte Gombrowicz schließlich nach Polen zurück. Bereits in den 20er und 30er Jahren schrieb er literarische Texte, die in dem Sammelband „Pamiętnik z okresu dojrzewania“ (Memoiren aus der Epoche des Reifens) 1933 erschienen. Berühmt in den Literaturkreisen wurde Gombrowicz durch die Veröffentlichung seines Romans „Ferdydurke“ (1938). Kurz vor dem Angriff Nazi-Deutschlands auf Polen 1939 war Witold Gombrowicz als Journalist an Bord des Kreuzschiffes MS Chrobry auf seiner Jungfernfahrt nach Südamerika tätig. Auf dem Schiff erreichten ihn schlimme Nachrichten aus seiner Heimat, die ihn dazu veranlassten, die unruhige Zeit in Argentinien zu verbringen. Erst 24 Jahre später verließ er Südamerika. In Berlin war Gombrowicz seiner Heimat Polen nun wieder sehr nah gekommen. In seiner inzwischen kommunistisch gewordenen Heimat liefen seit Jahren Diskreditierungen gegen ihn. Die kommunistischen Machthaber nutzten seinen „westlichen“ Aufenthalt gekonnt für ihre Propagandazwecke. Sie schickten die polnische Journalistin Barbara Swinarska sogar zu einem Interview nach West-Berlin, welches im Anschluss verfälscht und in einer Gombrowicz diffamierenden Form veröffentlicht wurde.

Sogar der führende polnische Kritiker seiner Zeit, Artur Sandauer, der noch vor dem Krieg glühender Anhänger Gombrowiczs war, schrieb nun über dessen angeblich „faschistische Tendenzen“. Die öffentlichen Verurteilungen trafen Gombrowicz hart und er nahm Abstand von den Plänen in seine Heimat zu fahren – schmerzvoll bestimmt, denn in seinen Tagebüchern schrieb er, dass er bei einem Spaziergang im Berliner Tiergarten die Gerüche des Ostens, seiner Kindheit roch. Mehr als bewusst war ihm wohl die Nähe zu seiner Heimat, die er vor einem Vierteljahrhundert verließ. Nach Polen kehrte er nie wieder zurück. Am 17. Mai 1964 begleiteten Witold Gombrowicz seine engsten Berliner Freunde, die Pianistin Lissa Bauer, der Rechtsanwalt Otto Schily, der Kunsthistoriker Christos Joachimides, die Künstlerin Zuzanna Fels und Tadeusz Kulik, zum Flughafen Berlin-Tegel. Witold Gombrowicz verließ Berlin Richtung Paris. Ab 1964 lebte er in Vence bei Nizza, wo er seine Sekretärin Rita Labrosse heiratete. Am 25. Juli 1969 starb Witold Gombrowicz im südfranzösischen Vence.

 

Mediathek
  • Im Interview mit dem polnischen Journalisten Tadeusz Nowakowski für Radio Freies Europa

    Berlin, 22.09.1963
  • Grabstätte

    Grabstätte von Witold Gombrowicz in Vence
  • Grabstätte von Witold Gombrowicz in Vence

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  • Witold Gombrowicz - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku"

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.