Verbotene Liebe: Ermordung von Leon Szczepaniak in Stadecken-Elsheim

Auf dem Elsheimer Friedhof der rheinhessischen Gemeinde Stadecken-Elsheim wurde im Jahr 1975 ein Gedenkstein für den ermordeten polnischen Zwangsarbeiter Leon Szczepaniak (* 10.2.1912 † 27.5.1942) aufgestellt.
Auf dem Elsheimer Friedhof der rheinhessischen Gemeinde Stadecken-Elsheim wurde im Jahr 1975 ein Gedenkstein für den ermordeten polnischen Zwangsarbeiter Leon Szczepaniak (* 10.2.1912 † 27.5.1942) aufgestellt.

Streit um die Erinnerung
 

In einem Südwestfunk-Fernsehbeitrag in der Reihe „Blick ins Land“ unter dem Titel „Keine Versöhnung mit Polen“ vom 26. Juni 1975 skizzierte Pfarrer Hellriegel zunächst die Vorgeschichte zur Entstehung des Steines:

„Den Anstoß zu diesem Stein gab ich 1972, als es dreißig Jahre her war, dass man Leon Szczepaniak hier in Elsheim erhängt hatte. Es war bei einem Volkstrauertag und ich schlug vor seinen Namen in das Kriegerdenkmal einzumeißeln. Man hat das dann abgelehnt, aber der Gemeinderat hat einstimmig beschlossen, einen Stein hier auf dem Elsheimer Friedhof für Leon Szczepaniak zu errichten. Es soll ein Zeichen der Versöhnung sein.“[6]

Gestiftet wurde der Gedenkstein von der CDU-Fraktion Stadecken-Elsheim.[7] In der von den Pfadfindern herausgegebenen Dokumentation wurde die Entstehungsgeschichte des Gedenkortes erläutert und auch der Tag der feierlichen Einweihung des Gedenksteines beschrieben. Der Text verdeutlicht, welche Bedeutung die Schaffung eines solchen Gedenkortes hatte und wie besonders die Initiative in dieser Zeit war:

„Am Sonntag, den 8. Juni 1975 wurde in einer Feierstunde dieser Gedenkstein eingeweiht. Der Erste Sekretär der polnischen Botschaft in Köln, Wladyslaw Skrzypczak sagte dabei: „Der Gedanke an Leon Szczepaniak, an den Polen, der für seine rein menschlichen Gefühle zu einer deutschen Frau – Gefühle, die den damaligen Staat nicht gefährdet haben – sein Leben hingeben mußte, erschüttert aufs tiefste.“

Der Pfadfinderstamm Greifenklau erweiterte die Gedenkfeier zu einem deutsch-polnischen Freundschaftstag. Die Bundestagsabgeordneten Brandt [Hugo Brandt, SPD, geb. am 4. August 1930 in Mainz-Mombach, gest. am 12. September 1989 in Grolsheim] und Gerster [Johannes Gerster, CDU, geb. am 2. Januar 1941 in Mainz, gest. am 21. August 2021 ebenda] waren neben zahlreichen Vertretern der Öffentlichkeit zu der Feier auf dem Elsheimer Friedhof, die Verbandsbürgermeister Dr. H-V. Kirschner eröffnete und bei der Pfarrer L. Hellriegel zum Teil in polnisch [sic] die Gedenkrede hielt, erschienen. Die Katholischen Kirchenchöre von Elsheim und Großwinternheim, die Carolus-Magnus-Bläser und ‑Schola gaben der Feier, zu der Ortsbürgermeister F. Holl geladen hatte, einen würdigen Rahmen. Mehrere Zeitungen des In- und Auslandes berichteten von diesem „Zeichen der Versöhnung“, das damit in Elsheim gesetzt worden war.“

Ein Artikel vom 29. Juni 1975 mit dem Titel „Deutsch-polnischer Tag“ aus Glaube und Leben. Kirchenzeitung für das Bistum Mainz, der im Kirchenarchiv der Pfarrei Schwabenheim aufbewahrt wird, nannte noch weitere bemerkenswerte Details zur Gedenkfeier; so war das „polnische Lied: Posratai Boze [Pośrataj Boże, dt. „Sei gegrüßt, Gott“], das 70 Kinder der Carolus-Magnus-Schola [Kinderchor] sangen“, Teil der Veranstaltung.[8] Hierbei handelt es sich um ein traditionelles Volkslied, das bei Hochzeiten in der Lubliner Gegend gesungen wurde.[9] Berichtet wurde im Artikel auch von einem anschließenden gemeinsamen Essen, bei dem der polnische Botschaftsvertreter Władysław Skrzypczak „die Möglichkeiten, die für zukünftige Jugendbegegnungen vorgesehen sind“[10], erläuterte und die Initiative zur Aufarbeitung der NS-Arbeit damit Raum für eine Annäherung beider Völker schuf. Im Geiste der Versöhnung lautete das im Artikel gezogene Fazit: „Ein guter Sonntag, der das Thema des Heiligen Jahres 1975 ‚Versöhnung‘ konkret werden ließ. Neuanfang einer neuen Generation, der weit über die lokalen Grenzen hinaus Beachtung verdient.“[11]

 

[6] SWF-1-Rheinland-Pfalz-Beitrag von Gemmecke, Rudolf in der Reihe „Blick ins Land“ mit dem Titel „Keine Versöhnung mit Polen“ ausgestrahlt am 26.6.1975.

[7] Puvogel, Ulrike; Stankowski, Martin u.a. (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Bd. I, Bonn 1995, S. 690.

[8] Deutsch-polnischer Tag, in: [Glaube und Leben. Kirchenzeitung für das Bistum Mainz] vom 29.6.1975.

[9] Kolberg, Oskar: Lud. Jego zwyczaje, sposób życia, mowa, podania, przysłowia, obrzędy, gusła, zabawy, pieśni, muzyka i tańce. Serya XVI. Lubelskie. Część pierwsza. Kraków 1883 [Das Volk. Seine Sitten, Lebensweise, Sprache, Sagen, Sprichwörter, Bräuche, Zauberei, Spiele, Lieder, Musik und Tänze. Serie XVI. Lubliner Gebiet. Erster Teil. Krakau 1883], S. 188.

[10] Deutsch-polnischer Tag (29.6.1975).

[11] Ebd.

Mediathek
  • Leon Szczepaniak, vermutlich 1939

    Als Soldat der polnischen Armee (hintere Reihe Mitte) mit seinen Kammeraden auf einem Gruppenfoto, Jahr unbekannt, vermutlich 1939
  • „Schamloser Verkehr mit einem Polen“

    Margarete Heß’ Demütigung in der NS-Propaganda, 1942. 
  • Beitrag in „Glaube und Leben“ (Mainz) zur Einweihung des Gedenksteines am 8. Juli 1975

    Unter der Überschrift „Deutsch-polnischer Tag“ wurde in der katholischen Zeitung „Glaube und Leben“ aus Mainz vom 29.6.1975 über die Gedenksteineinweihung am 8. Juli 1975 berichtet.
  • Der Gedenkstein für Leon Szczepaniak am 25. Mai 2022

    Der Gedenkstein an der Gedenkveranstaltung für Leon Szczepaniak am 25. Mai 2022 mit den Kränzen des Polnischen Generalkonsulats Köln und der Ortsgemeinde Stadecken-Elsheim, 2022