Stefan Kuczyński (1894–1969). Der „patriotische Arzt“ aus Breslau

Foto von Stefan Kuczyński, Sammlung von Dr. Krystyna Świderska, aus https://krotoszyn.naszemiasto.pl
Foto von Stefan Kuczyński

Stefan Ludwik Kuczyński wurde am 25. August 1894 in Smolice (Smolitz) als Sohn von Roch und Helena Kuczyński geboren. In Smolice schloss er die Hauptschule ab und besuchte danach die Mittelschule in Rawicz (Rawitsch). 1914 begann er sein Medizinstudium in Breslau. Seine Pläne wurden durch den Ersten Weltkrieg, der in diesem Jahr ausbrach, durchkreuzt. Er wurde einberufen und nahm nach Kriegsende im Jahr 1918, einem in der Gegend von Rawicz aktiven Sanitätstrupp zugeordnet, am Posener Aufstand teil. Prof. Gerwazy Świderski erinnert sich, dass Kuczyński während der Kämpfe großen Einsatz zeigte und, was besonders erwähnenswert ist, am Kampf um den Bahnhof in seinem Heimatort Smolice teilgenommen hat. 1919 arbeitete er im Allgemeinen Krankenhaus der polnischen Armee in Posen (Poznań). Bald gab er die Arbeit jedoch auf, und kehrte noch im selben Jahr nach Breslau zurück, um sein unterbrochenes Medizinstudium abzuschließen. Er blieb bis zu seinem Tod in dieser Stadt.

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Zeit des Kampfes um die polnischen Grenzen wurden zur treibenden Kraft für Veränderungen in Breslau und Niederschlesien. Stefan Kuczyński nahm eifrig an den Aktivitäten des Polnischen Volksrats (Polska Rada Ludowa) teil, der die lokale Polonia vertrat. Er und andere Aktivisten hatten zu dieser Zeit vor allem zwei Ziele – die Aufrechterhaltung des nationalen und politischen Bewusstseins und die Unterstützung der Vorbereitungen für die Volksabstimmung in Oberschlesien. 

„Das Frühjahr 1921 rückte näher und damit auch der Termin der Volksabstimmung. Die Propagandaarbeit wurde von Tag zu Tag intensiver. Wir trafen uns in den Wohnungen unserer Kollegen [...]“ (Gdy Polska..., S. 161).

Stefan Kuczyński war auch anderweitig aktiv. Er unterstützte die Medizinstudentin Halina Szuman in der polnischen „kleinen Schule“, die sich damals in der Enderstraße 8 (heute Ulica Henryka Pobożnego) befand. Kurz darauf wurde der Unterricht von der Privatwohnung in ein Gebäude in der Neuen Gasse (heute Ulica Nowa) verlegt. Starke Beschädigungen am Gebäude stellten die Schule vor neue Herausforderungen. Kuczyński half bei der Renovierung und kümmerte sich u.a. um die Instandsetzung der Bibliothek. Er übernahm die Betreuung der „kleinen Schule“ und der Bibliothek, organisierte eine Heizung und fertigte eigenhändig Schulbänke an, da es zu wenige gab, um alle Kinder unterzubringen. Auch erstellte er selbständig Lehrmaterialien für den Geschichts- oder Geografieunterricht. Daneben arbeitete unter anderem in der Volksbibliothek (Biblioteka Ludowa) und im Polnischen Volksabstimmungsbüro (Polskie Biuro Plebiscytowe) und setzte sein Studium fort, für das er ein Stipendium von Karol Marcinkowski erhielt, wie Prof. Gerwazy Świderski berichtete: 

„Marcinkowski war ein Lehrmeister und Vorbild für Dr. Kuczyński. Kuczyński verdankte Marcinkowski noch etwas – sein Stipendium. Er war derjenige, der in Posen die Hervorragendes leistende Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft, die Philomathische Gesellschaft ‚Polonia‘ ins Leben gerufen hatte. Das Hauptziel der Organisation bestand im Grunde darin, Studierende an den Universitäten von Breslau, Berlin, Dresden, Freiburg und Greifswald mit Stipendien zu unterstützen.“ (Doktor medycyny, S. 15)

1924 schloss Kuczyński sein Studium ab und begann als Arzt zu arbeiten. Während des Zweiten Weltkriegs half er aufopferungsvoll polnischen Zwangsarbeiter:innen, die in Breslau ankamen. Er stellte Arztbescheinigungen aus, dank derer die Einteilung zu körperlich weniger beschwerlichen Tätigkeiten ermöglicht wurde. So erinnert sich Felicyta Podlak-Damczyk, die ihm 1941 in Breslau begegnete: 

„Dr. Kuczyński […] sprach weniger über meinen Gesundheitszustand, sondern erzählte eine ganze Stunde lang über die Trümmer des Polentums in Breslau, darüber, wo man die Geschichte von Wrocław finden kann, über die Arbeit der hiesigen Polonia. […]“ (Polska grupa konspiracyjna, S. 16)

Am 18. Juni 1942 wurde Kuczyński verhaftet und musste seine Praxis aufgeben. Er wurde beschuldigt, „Aktivitäten von hochverräterischem Charakter“ organisiert zu haben. Der Vorwurf bezog sich u.a. auf die Zusammenarbeit mit der in Breslau tätigen Organisation „Olimp“ (einer 1941 gegründeten polnischen Untergrundorganisation, die sich auf die Integration der Pol:innen, die Selbsthilfe und die Durchführung von Sabotageakten konzentrierte). Fast ein Jahr später fand der Prozess statt, in dem einige der Anklagepunkte aufgehoben wurden. Kuczyński wurde freigesprochen und konnte seine Arbeit wieder aufnehmen. Während des Krieges half er der Gruppe „Lotos“ der Polnischen Heimatarmee in Kobylin, die kranke Pol:innen versorgte.

Angesichts des Vormarschs der Roten Armee wurde Breslau, zusammen mit anderen deutschen Städten, am 25. August 1944 zu einer Festung erklärt. Im Januar 1945 änderte sich die Lage in der Stadt und man begann sich auf die Verteidigung vorzubereiten. Stefan Kuczyński wurde zwei Einrichtungen zugeteilt: der Praxis für Innere Medizin in der Wallstraße 20/22 (heute Ulica Włodkowica) und der chirurgischen Versorgungsstelle im Bunker in der Posener Straße (heute Ulica Poznańska). Mit dem Vormarsch der Roten Armee wurde die Evakuierung der Zivilbevölkerung angeordnet. Kuczyński, ausgebildeter Arzt, sollte in der Festung bleiben und medizinische Hilfe leisten. Seine Frau und seine Kinder sollten die Stadt umgehend verlassen. Kuczyński gelang es jedoch, seine Familie vor der Flucht aus der Stadt bei 20 Grad Kälte zu bewahren.

Während der Kämpfe um Breslau half er den Pol:innen, die sich in der Stadt befanden. In der Bergstraße (heute Ulica Góralska) gab es eines der vielen Lager, die trotz der Kämpfe in der Stadt weiterhin bestanden. In den Baracken befanden sich mehrere tausend Pol:innen, die ständigem Beschuss ausgesetzt waren. Dank einer Intervention beim Oberarzt der Festung und unter dem Vorwand eines übermäßigen Verbrauchs an Verbandsmaterial gelang es Kuczyński die Deutschen davon zu überzeugen, dass die Lagergefangenen in der Bergstraße evakuiert werden müssen. Da zu dieser Zeit die medizinische Versorgung in Breslau ernsthaft gefährdet war, erschien es den Verteidigern vorteilhafter, die Gefangenen an einen sichereren Ort zu verlegen. 

Stefan Kuczyński hat die blutigen Kämpfe um die Festung Breslau überlebt und erinnert sich an den Tag, an dem keine Schüsse mehr in der Stadt zu hören waren, wie folgt: 

„Schließlich ist der 7. Mai gekommen. Siegesrufe waren in der ganzen Stadt zu hören. Wir haben die ersten polnischen Soldaten gesehen. Auf ihren Helmen waren weiße Adler zu sehen, für uns ein heiliges Symbol. Mit angehaltenem Atem und unterdrücktem Schluchzen begrüßten wir sie. Das ‚eiserne Tor‘, das uns den Weg zu unseren neuen Aufgaben versperrte, war aufgebrochen. Wir mussten das sich ausbreitende Feuer löschen, Typhus und Cholera bekämpfen, Menschen in der Stadt ansiedeln, Recht und Ordnung herstellen und schließlich das polnische Wrocław aus den Trümmern erheben.“ (Festung Breslau, S. 57)

Nach Kriegsende war Kuczyński am Wiederaufbau des Gesundheitswesens beteiligt und gehörte zu denjenigen, denen wir die „Errichtung der Stadt aus Trümmern“ verdanken. 1957 wurde er zum Vorsitzenden der Gesellschaft der Niederschlesischen Ärzte (Stowarzyszenie Lekarzy Dolnośląskich) gewählt. Er wurde u.a. mit dem Ritterkreuz des Ordens Polonia Restituta und mit der Rodło-Medaille ausgezeichnet. Bis zu seinem Tod arbeitete er in einer Bezirksklinik. Er starb 1969 und hat, wie Prof. Świderski betonte, „bei Marcinkowski seine Schuld für das Stipendium für sein gesamtes Medizinstudium mehr als zurückgezahlt.“ (Doktor medycyny, S. 15)

 

Kacper Rosner-Leszczyński, Mai 2023

 

 

Literaturverzeichnis

Bruziewicz-Mikłaszewska Barbara, Doktor Ludwik Stefan Kuczyński (1894–1969) i jego rola w międzywojennym Wrocławiu oraz odtworzeniu samorządu lekarskiego, in: Aktywność polskich lekarzy w dwudziestoleciu międzywojennym – w stulecie powołania Izb Lekarskich, Red. Bożena Urbanek, Magdalena Paciorek, Maria Ciesielska, Warszawa 2020, S. 89–94.

Gleiss Horst, Breslauer Exodus 1946. Beiträge zur Dokumentarchronik einer Stadt und ihrer Menschen, Rosenheim 2003.

Konieczny Alfred, Polska grupa konspiracyjna „Olimp” w wojennym Wrocławiu, Wrocław 1989. 

Kuczyński Stefan, Festung Breslau, in: Trudne dni (Wrocław 1945 r. we wspomnieniach pionierów) Bd. 1, bearb. von Mieczysław Markowski, Wrocław 1960, S. 43–57.

Kuczyński Stefan, Gdy Polska odzyskała niepodległość, in: Do nich przyszła Polska, bearb. von Anna Zawisza (2. Auflage), Wrocław 2018, S. 157–171.

Świderski Gerwazy, Doktor medycyny Stefan Kuczyński – legendarna postać Wrocławia (1896−1969), „Medium. Gazeta Dolnośląskiej Izby Lekarskiej” Nr. 10 (207) 2007, S. 15. 

Zawisza Alicja, Studenci Polacy na Uniwersytecie Wrocławskim (1918–1939). Katalog zachowanych archiwaliów, Wrocław 1972.

 

Online-Publikationen

https://krotoszyn.naszemiasto.pl/nasi-powstancy-dr-ludwik-stefan-kuczynski-ze-smolic-zdjecia/ar/c1-7600819 [Zugriff: 16.05.2023] 

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  • Stefan Kuczyński

    nach: Alicja Zawisza, ... S. 37
  • Foto von Stefan Kuczyński

    Sammlung von Dr. Krystyna Świderska
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    Sammlung von Dr. Krystyna Świderska
  • Ulica Nowa in Wrocław

    Ansicht aus dem Jahr 2023
  • Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung

    Ausgestellt von Stefan Kuczyński am 20. September 1946
  • Gedenktafel beim Ärzteclub (Klub Lekarza) in Wrocław

    Ulica Kazimierza Wielkiego 45
  • Gedenktafel

    Am Standesamt in Wrocław
  • Denkmal für die Organisation „Olimp“ in Wrocław

    Ulica Aleksandra Zelwerowicza 46