Sonja Ziemann und Marek Hłasko
Für die Deutschen war sie „der große Filmstar“ und er war nur „ihr polnischer Ehemann“. Für die Polen war er „der große Literaturrebell“ und sie war nur „seine deutsche Ehefrau“. Die wohl bekannteste deutsch-polnische Ehe der Nachkriegszeit hatte genug Sprengstoff für die Boulevardpresse in beiden Ländern, die Ehe zwischen Sonja Ziemann und Marek Hłasko.
Im Jahre 1957, zwölf Jahre nach dem Krieg, wird in Wrocław (Breslau) der Film „Der achte Wochentag“ (Ósmy dzień tygodnia) gedreht. Die Vorlage lieferte die Erzählung „Der achte Tag der Woche“ von Marek Hłasko. Der Regisseur ist Aleksander Ford. Der Produzent kommt aus Berlin. Artur Brauner, ein deutscher Produzent polnisch-jüdischer Herkunft aus Łódź (Lemberg) leitet seit 1946 die Produktionsfirma CCC-Film in Berlin. Seine schauspielerische Entdeckung ist die Schauspielerin Sonja Ziemann. Sie soll die Hauptrolle spielen. Sonja Ziemann ist von dem Drehbuch, von der Liebesgeschichte in den chaotischen Jahren der Nachkriegszeit und von der Rolle der „Agnieszka“ (dt. Agnes) fasziniert. Nach anfänglicher Skepsis fährt sie nach Wrocław. Auch Hłasko taucht in Wrocław auf. Der umtriebige Schriftsteller will die Filmarbeiten an seinem Stoff persönlich überwachen. Hier treffen sie sich zum ersten Mal und verlieben sich. Doch die Lebenssituation Sonja Ziemanns verbietet ihr sich in der Öffentlichkeit zu dieser Beziehung zu bekennen. Sie steckt gerade in der Scheidung von dem Strumpfhosenfabrikanten Rudolf Hambach. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, Pierre, und Sonja will durch eine Liebesgeschichte die Entscheidung des Gerichtes über das Sorgerecht für das Kind zu ihren Gunsten nicht gefährden. Marek Hłasko hingegen tröstet seinen Liebeskummer in den Armen anderer Frauen. Ein halbes Jahr später, im Februar 1958, fliegt Marek Hłasko auf Einladung des renommierten polnischen Exilverlags in Frankreich Instytut Literacki (frz. Institut Littéraire / Literaturinstitut) nach Paris. Hier schreibt er und publiziert in der Zeitschrift „Kultura“, dem wohl wichtigsten polnischen Literatur- und Kulturorgan jenseits des kommunistischen Polens (monatlich erschienen von 1947 bis 2000). Seine Erzählungen erscheinen auch in Tel Aviv, Kopenhagen und Budapest. Bei einem Besuch Sonja Ziemanns in Paris kommen sie sich näher.
1958 erscheint in „Kultura“ seine Erzählung „Die Friedhöfe“ (Cmentarze). Der Pariser Verlag Instytut Literacki gibt ihm für die Erzählung den Preis für den besten polnischen Autor. In „Die Friedhöfe“ beschreibt Hłasko ein Leben in einem totalitären System und zeigt verunsicherte Menschen, die von Propaganda verblendet sind. Die Antwort der kommunistischen Regierung in Polen kommt schnell. In „Trybuna Ludu“ (Volkstribüne), dem Organ der kommunistischen Partei Polens, erscheint der Hłasko anfeindende Artikel Primadonna jednego tygodnia? („Primadonna einer Woche?“). Dieser Artikel ist der Anfang einer ganzen Serie propagandistischer Artikel gegen Marek Hłasko. Der polnische Schriftsteller fällt in Ungnade der kommunistischen Machthaber in Polen. Als Hłaskos Pass abläuft, und seine Verlängerung im polnischen Konsulat in Berlin verweigert wird, beantragt und erhält Hłasko politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland.
Am 1. Dezember 1958 erscheint bei Kiepenheuer und Witsch in Köln seine Erzählung „Der achte Tag der Woche“. Im Januar 1959 fliegt Hłasko nach Israel. Monate später besucht ihn in Tel Aviv Sonja Ziemann. Sie wollen heiraten, da aber da sie beide Christen sind und es in Israel keine standesamtliche Trauung gibt, heiraten sie symbolisch. Sonja Ziemann ist eine gefragte Schauspielerin. Sie arbeitet rund um die Uhr und rund um die Welt. Auch Marek Hłaskos Erzählungen werden übersetzt und in Dänemark, Holland, Finnland, Spanien, Deutschland und in den USA veröffentlicht. Anfang Februar 1961 kommt Hłasko zu einem Dreh von Sonja Ziemann nach London mit. Dort heiraten sie am 20. Februar 1961. Offiziell wohnen sie zusammen in West-Berlin in der Villa ihrer Eltern. Hłasko bezieht dort ein eigenes Arbeitszimmer, doch immer wieder „flüchtet“ er mit Alkoholexzessen in eine andere Welt. Das schadet seiner Popularität nicht. 1963 gibt Kiepenheuer und Witsch „Schmutzige Taten“ (Brudne czyny) heraus. 1964 wird im Pariser Instytut Literacki „Alle haben sich abgewandt“ (Wszyscy byli odwróceni) veröffentlicht. Marek Hłasko lebt nun vor allem in der Schweiz. Hier arbeitet er mit dem Magazin „Weltwoche“ zusammen. 1965 verbringen Marek und Sonja einen gemeinsamen Urlaub in Italien. Hłasko entscheidet sich für eine Trennung von ihr. Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris fliegt er 1966 nach Hollywood, um sich mit einem Filmproduzenten zu treffen. Das Treffen arrangiert für ihn Roman Polański. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Schriftsteller und dem Produzenten machen das filmische Vorhaben unmöglich. Dennoch bleibt Marek Hłasko in Kalifornien. Er pflegt einen ausschweifenden Lebensstil. 1969 wird die Ehe zwischen Sonja Ziemann und Marek Hłasko geschieden. Im selben Jahr fliegt Hłasko noch mal nach Tel Aviv. Das ZDF dreht dort einen Film nach seiner Erzählung „Alle hatten sich abgewandt“ (Wszyscy byli odwróceni) mit Sonja Ziemann in der Hauptrolle. Im Juni 1969 fährt er nach Wiesbaden zu dem ZDF-Redakteur Hans Jürgen Bobermin. Hier unterschreibt er einen weiteren Vertrag mit dem ZDF. In der Nacht vom 13. zum 14. Juni 1969 stirbt Marek Hłasko unerwartet mit 35 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten im Haus von Hans Jürgen Bobermin in Wiesbaden. Seine Freunde schließen ein Selbstmord aus. Man findet bei ihm keinen Abschiedsbrief, dafür aber Flugtickets nach Israel und Skizzen für ein neues Drehbuch.
Wie Marek Hłasko selbst waren seine Literaturfiguren romantische Rebellen, die für die Hłasko-Generation zu Symbolfiguren für die Enttäuschung über und Protest gegen die Realität der kommunistischer 50er Jahre in Polen wurden. Marek Hłasko beschrieb scharf und genau das Milieu der Niederungen der Gesellschaft, in denen Hoffnungslosigkeit und Zynismus herrschen. Seine Helden leben von ihren Träumen eines Wandels, einer Wende, doch die Träume werden nie erfüllt.
Sonja Ziemann arbeitete bis in die frühen 1990er Jahre sehr erfolgreich in der Filmbranche. Sie lebt heute in München.
Kurzbiografien
Sonja Ziemann wurde am 8. Februar 1926 in Eichwalde bei Berlin geboren. Früh erkannte man ihr tänzerisches und schauspielerisches Talent. Mit zehn Jahren begann sie ihre Ballettausbildung, mit dreizehn Jahren wurde sie in die Tanzschule von Tatjana Gsovsky aufgenommen und besuchte später die Ufa-Schauspielschule in Berlin. Ihr Bühnendebüt feierte sie 1941. Im selben Jahr stand sie zum ersten Mal vor der Kamera. Sonja Ziemann spielte in über 80 Filmen.
Marek Hłasko wurde am 14. Januar 1934 in Warszawa (Warschau) geboren. In Warschau lebte er mit seiner Mutter bis 1944. Nach dem niedergeschlagenen Warschauer Aufstand und der völligen Zerstörung Warschaus zog die Familie nach Częstochowa (Tschenstochau) und später nach Wrocław um. Hier beendete Hłasko die Mittelschule und begann erneut in Warszawa (Warschau) 1949 eine bühnentechnische Ausbildung, die er allerdings nicht abschloss. Er hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, bis er mit seinen schriftstellerischen Arbeiten genügend Geld verdienen konnte. Sein literarisches Debüt Baza Sokołowska („Der Autohof in der Sokołowska-Straße“) erschien 1954. Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Der achte Tag der Woche“ (Ósmy dzień tygdonia), „Der nächste ins Paradies“ (Następny do raju), „Alle waren abgewandt“ (Wszyscy byli odwróceni), „Schmutzige Taten“ (Brudne czyny), „Die schönen Zwanzigjährigen“ (Piękni dwudziestoletni). Marek Hłasko starb am 14. Juni 1969 in Wiesbaden. Sein Grab befindet sich auf dem Powązki-Friedhof in Warschau.
Adam Gusowski, März 2016
Sonja Ziemann - Filmographie
1941: Ein Windstoß
1943: Die Jungfern vom Bischofsberg
1943: Geliebter Schatz
1944: Eine kleine Sommermelodie
1944: Hundstage
1945: Freunde
1945/47: Liebe nach Noten (Überläufer)
1946: Allez Hopp
1946: Sag’ die Wahrheit
1947: Spuk im Schloss
1947: Herzkönig
1948: Danke, es geht mir gut
1948: Wege im Zwielicht
1949: Nichts als Zufälle
1949: Vier junge Detektive
1949: Nächte am Nil
1949: Um eine Nasenlänge
1949: Nach Regen scheint Sonne
1950: Eine Nacht im Separee
1950: Maharadscha wider Willen
1950: Schwarzwaldmädel
1950: Die lustigen Weiber von Windsor
1951: Schön muss man sein
1951: Die Frauen des Herrn S.
1951: Johannes und die 13 Schönheitsköniginnen
1951: Grün ist die Heide
1952: Die Diebin von Bagdad
1952: Alle kann ich nicht heiraten
1952: Muss das sein, Fräulein (Made in Heaven)
1952: Am Brunnen vor dem Tore
1953: Hollandmädel
1953: Christina
1953: Mit siebzehn beginnt das Leben
1953: Die Privatsekretärin
1954: Bei Dir war es immer so schön
1954: Meine Schwester und ich
1954: Die sieben Kleider der Katrin
1954: Große Starparade
1954: Der Zarewitsch
1955: Liebe ohne Illusion
1955: Ich war ein hässliches Mädchen
1955: Mädchen ohne Grenzen
1956: Das Bad auf der Tenne
1956: Dany, bitte schreiben Sie
1956: Opernball
1956: Kaiserball
1956: Nichts als Ärger mit der Liebe
1957: Frühling in Berlin
1957: Die große Sünde
1957: Frauenarzt Dr. Bertram
1957: Die Zürcher Verlobung
1958: Heimweh, Stacheldraht und gute Kameraden (Gli italiani sono matti)
1958: Tabarin
1958: Der achte Wochentag
1958: Die Beklagte (TV)
1958: Texasmädel (Sérénade au Texas)
1958: Hunde, wollt ihr ewig leben
1959: Liebe auf krummen Beinen
1959: Menschen im Hotel
1959: Abschied von den Wolken
1959: Strafbataillon 999
1959: Nacht fiel über Gotenhafen
1960: Affäre Nabob
1960: Geheime Wege (The Secret Ways)
1961: Denn das Weib ist schwach
1961: Verpfiffen
1961: Der Traum von Lieschen Müller
1961: Ihr schönster Tag
1962: Journey into nowhere
1962: Axel Munthe – Der Arzt von San Michele
1964: Frühstück mit dem Tod
1965: 2 x 2 im Himmelbett
1965: Madeleine und Manouche (TV)
1965: Das Leben des Horace A. W. Tabor (TV)
1967: Josephine (TV)
1967: Liebesgeschichten (TV-Serie, eine Folge)
1969: Die Brücke von Remagen (The Bridge at Remagen)
1969: Das ausschweifende Leben des Marquis de Sade (De Sade)
1970: Alle hatten sich abgewandt (TV)
1970: Fröhliche Weihnachten (TV)
1971: Das Messer
1973: Der Kommissar (TV-Serie, eine Folge)
1977: Das Biest (TV)
1996: Guten Morgen, Mallorca (TV-Serie, eine Folge)
1997: Park Hotel Stern (TV-Serie, zwei Folgen)
2011: Germaine Damar – Der tanzende Stern (Doku)
Marek Hłasko - Bibliographie
Pierwszy krok w chmurach (dt. Der erste Schritt in den Wolken), Warszawa / Warschau, Czytelnik 1956
Cmentarze (dt. Die Friedhöfe); Następny do raju (dt. Der Nächste ins Paradies), Paris, Instytut Literacki 1958
Opowiadania (dt. Erzählungen), Paris, Instytut Literacki 1963
Wszyscy byli odwróceni (dt. Alle hatten sich abgewandt); Brudne czyny (dt. Schmutzige Taten), Paris, Instytut Literacki 1964
Nawrócony w Jaffie; (engl. Converted in Jaffa) London, Polska Fundacja Kulturalna 1966
Piękni dwudziestoletni (dt. Die schönen Zwanzigjährigen), Paris, Instytut Literacki 1966
Sowa, córka piekarza (ohne dt. Übers.) Paris, Księgarnia Polska 1968
Opowiadania (dt. Erzählungen), Warszawa / Warschau, Czytelnik 1976
Utwory wybrane (dt. Ausgewählte Werke), Kraków / Krakau, Wydawnictwo ABC; KOS 1980-1981
Namiętności (dt. Die Leidenschaft) Kraków / Krakau, Wydawnictwo Literackie 1982
Utwory wybrane (dt. Ausgewählte Werke), Warszawa / Warschau, Czytelnik 1985
Palcie ryż każdego dnia (Brennt den Reis jeden Tag), Warszawa / Warschau, PIW 1983
Dzieła zebrane (dt. Gesammelte Werke), Warszawa / Warschau, Da Capo 1993-1994
Listy Marka Hłaski (dt. Die Briefe von Marek Hłasko), Warszawa / Warschau, Oficyna Ypsylon 1994
Verfilmungen
Koniec nocy (dt. Am Ende der Nacht), 1956, R: J. Dziedzina
Ósmy dzień tygodnia (dt. Der achte Wochentag), 1957, R: A. Ford
Pętla (dt. Die Schlinge), 1958, R: W. J. Has
Baza ludzi umarłych (ohne dt. Übers.) 1958, R: C. Petelski
Sonata marymoncka (ohne dt. Übers.) 1987, R: J. Ridan
Śliczna dziewczyna (ohne dt. Übers.) 1993, R: D. Pawłowicz
Isprani (ohne dt. Übers) 1995, R: Z. Ogresta
Niebo nad fabryką (ohne dt. Übers.) 2001, R: P. Porczyński