Polnischer Verein des hl. Michael in Recklinghausen, 1913
25. jähriges Bestehen des polnischen Vereins des hl. Michaels in Recklinghausen, 1913
Polnisches Leben in Recklinghausen am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts war sehr rege und vielfältig. Dazu gehörten zahlreiche Organisationen und Vereine. Eine davon war der bereits 1888 gegründete Verein des hl. Michael, der dem Erzengel Michael gewidmet war.
Aus Anlass des 25. jährigen Bestehens des Vereins wurde 1913 von einem polnischen Fotografen Ig. (Ignacy?) Maciejak (Signatur unten rechts) eine bemerkenswerte Fotomontage angefertigt. Auf einem Hang unterhalb der zentral-mittig dominierenden Statue des Erzengels Michael werden insgesamt 18 Mitgliedergruppen und 9 Fahnenträger abgebildet. Da es sich ausschließlich um festlich gekleidete (teilweise uniformierte) männliche Personen handelt, die nicht von einem katholischen Geistlichen begleitet sind, ist von einer Unabhängigkeit des Vereins von der Katholischen Kirche auszugehen. Eine damals nicht gerade übliche Situation.
Unterhalb der Statue des Erzengels Michael wird in einer Aufschrift das zentrale Bestreben des Vereins formuliert (auf Polnisch):
W dzień sądu Boga na trybunale
Bądź mi Patronem święty Michale
(Heilige Michael, sei mein Patron
Am Tag des jüngsten Gerichts)
Als Zeichen der Verbundenheit mit der neuen Heimat wird oben links das Rathaus von Recklinghausen platziert. Rechts oben ist eine Windmühle zu sehen, das Symbol für Arbeit und Wohlstand.
In der Mitte der Bildkomposition befindet sich oberhalb der Fahnenträger (drei von ihnen tragen Säbeln) eine Aufschrift auf Polnisch:
Towarzystwo św. Michała
w Recklinghausen Süd
założone 9 września 1888 r.
obchodziło srebrny jubileusz istnienia, 25 lat.
24-25 sierpnia 1913 r.
(Der Verein des hl. Michaels
in Recklinghausen Süd
gegründet am 9. September 1888
hat 25. jähriges Bestehen gefeiert.
24-25 August 1913)
Auf der mittleren der insgesamt drei Fahnen ist die Abbildung der hl. Maria mit Jesus zu sehen, geschmückt mit mehreren Schleifen. Auf einer davon befindet sich die Aufschrift (polnisch): Srebrny jubileusz Tow. św. Michała w Reckl. Süd (Silbernes Jubiläum des Vereins des hl. Michael in Recklinghausen Süd). Linke Fahne mit der Aufschrift „25. letni jubileusz“ (25. jähriges Jubiläum) wurde sicherlich extra für diese Feierlichkeiten erstellt. Die rechte Fahne stammt noch aus der Gründungszeit des Vereins im jähr 1888 (Aufschrift auf Polnisch; „Towarzystwo św. Michała w Bruchu założone w dnia. 9. września 1888 r.“ (Der Verein des hl.Michael in - unleserliches Wort - gegründet am 9. September 1888).
Einige der dargestellten Mitglieder tragen Musikinstrumente (unten links), die auf die Existenz einer Blaskapelle mit einem Dirigenten im Verein hindeuten.
Im unteren Bereich des Fotos sind vier Tische als Symbole der aktiven Vereinstätigkeit zu sehen. Auf den Tischen ist u. a. ein Modell für eine Kapelle (?) sowie Schreibutensilien mit einem Stapel von Dokumenten zu sehen. Am rechten Tisch posiert ein Mitglied beim Schreiben, höchst wahrscheinlich in einer Chronik des Vereins. Das gesamte Tisch-Ensemble vermittelt den Eindruck der Seriosität und Solidität des gesamten Vereines. Es fungiert als Basis und Grundlage der Aktivitäten, die alle Mitglieder vereint und sich insgesamt auf die Realisierung des Hauptziels der Vereinigung richtet: Die Verehrung des Erzengels Michael, der im Christentum (aber auch im Judentum und im islam) traditionell als Helfer und Unterstützer beim jüngsten Gericht gilt. An zwei Tischen sind Aufschriften in polnischer Sprache angebracht:
Niech nas jedność łączy wkoło
(Soll die Einheit uns verbinden)
Zgoda, miłość kwitnie nam
(Eintracht und Liebe blühen uns)
Sie bezeugen das erklärte Streben der Vereinsmitglieder nach harmonischer Einheit, gegenseitigem Verständnis und Liebe. Diese harmonische Einheit ist auch das Hauptmerkmal der gesamte Bildkomposition, die damit einen strukturierten, friedlichen und selbstbewussten Eindruck dieser polnischen Vereinigung im deutschen Recklinghausen der Jahrhundertwende 1900 vermittelt.
Zum Verein selbst gibt es derzeit kein Archivmaterial und keine weiteren Quellen- oder Literaturangaben.
Jacek Barski, Mai 2020